Märchen, Science Fiction, Fantasy

Die Geschichte vom Weinen

Beitragvon i.z. » Do 30 Dez, 2010 01:52


[center]Die Geschichte vom Weinen[/center]

Es war einst ein König in Irgendwo, der war von seiner Seele her ein guter und frohgesinnter Mann, und daher hasste er allen Trübsal und alle Traurigkeit. Er wünschte sein Volk fröhlich und glücklich zu sehen, obgleich die Zeiten schwere waren. Und so verbot er das Weinen.

Fortan waren seine Gefängnisse gefüllt mit Kindern, die das neue Gesetz nicht einhalten konnten. Und das Volk, dem die Kinder genommen waren, war unglücklicher denn je. Doch davon verstand der einsame König nichts. Denn er hatte keine Kinder.

Wenn nun der Herrscher auf seinen Balkon trat und auf die Stadt hernieder blickte und ihrem Treiben lauschte, so vernahm er kein Weinen und kein Klagen. Doch auch alles Gelächter und jeder Gesang waren verschwunden. Zu hören blieb nur das monotone Stapfen zahlreicher, schwerer Schritte durch staubige Straßen von teilnahmsloser Kälte.
Der König wurde sehr zornig darüber, wollte er doch Fröhlichkeit vernehmen und konnte nicht begreifen, wie ein Volk, das nimmermehr zu Weinen hatte, doch auch nicht frohlockte. Und so befahl er seiner Palastwache durch die Straßen zu schreiten und zu lachen und zu singen und die Heiterkeit ins Volk zu tragen.

Wenn der Fürstliche nun auf seinen Balkon hinaustrat, so hörte er nichts als Lachen und Gesang, denn auch das Volk tat es der Wache gleich und gab sich vergnügt. Doch ihr Gelächter war gestellt – aus Furcht vor ihrem König, den sie lang schon grausam nannten – und ihre Lieder standen in Moll. Doch davon verstand der des Lebens unerprobte König nichts. Denn er hatte sich nie gefürchtet.

Nun trug es sich zu, dass eine Prinzessin aus Anderswo, die die Gesetze des Reiches nicht kannte, in ihrer Kutsche durch die Lande fuhr, denn sie suchte nach einem legendären Phönix, der in den hohen Bergen hauste. Die einzige Tochter der hohen Frau nämlich war schwer erkrankt und den Ärzten fehlte die Macht, ihr Leben zu retten. So legte die Prinzessin alle Hoffnung in den mythischen Vogel, von dem es hieß, dass seine Tränen alle Wunden und alle Krankheiten zu heilen vermochten.
Doch als die Prinzessin mit ihrem Gefolge den Hort des edlen Tieres erreicht hatte, fand sie diesen verlassen. Denn die Miliz des Reiches hatte den Vogel in den Kerker gesperrt, weil er mit seinen Tränen das Gesetz gebrochen hatte.

Zu erschöpft von der Reise, verstarb die Tochter der Prinzessin in den kalten Winden, welche die rauen Gipfel durchpeitschten. Die Prinzessin, zu Tode betrübt über ihren Verlust, weinte bitterlich, Tage und Wochen hindurch, so dass ihr Wehklagen vom Wind hinab ins Tal getragen wurde.
Die Miliz – eifrig dabei, alle Verstöße zu ahnden – machte sich sodann auf ins Gebirge und verhaftete die Prinzessin, deren Stand sie nicht kannten, und ihr Gefolge.Nur ein junger Zeugwartslehrling entkam ihrem Griff. Doch der gutgläubige König wusste von all dem nichts. Denn die Milizionäre – obgleich sie ihm von ihrer glorreichen Verhaftung Bericht erstatteten – verschwiegen, dass die Kriminelle sich selbst Prinzessin nannte; aus Not: denn sie wollten die wertvollen Kleider, die beschlagene Kutsche und die edlen Pferde, welche sie mit sich führte, für sich selbst behalten, damit der Erlös daraus ihre Dörfer, deren Ernten – aufgrund der Trübseligkeit aller – misslich waren, über den Winter brächte.

Einen Monat später erreichte der junge Lehrling, der sich zu Fuß seinen Weg aus den Bergen suchen musste, ausgehungert, halb erfroren und erschöpft, seine Heimat und berichtete dem Prinzen von Anderswo, was seiner Frau und seiner Tochter widerfahren war. Gebrochen durch den Verlust und erzürnt ob jenes Frevels, fasste jener just den Entschluss, seine Prinzessin aus den Klauen des finsteren Herrschers, der – das stand fest – sie ob ihrer Schönheit entführt hatte, zu befreien und aus Rache das ganze barbarische Reich niederzubrennen.
So überfiel der Prinz das Reich Irgendwo und seine Streitmacht wütete unerbittlich in den Dörfern an der Grenze des Reiches. Der General, welcher mit seiner Armee entsandt wurde, dem Feinde zu begegnen, fand nur Asche, Tod und versalzende Erde vor. Er selbst stammte aus einem kleinen Dorf dorten in der Nähe und als er dieses erreichte und ähnlich zugerichtet vorfand, da sank er in den Trümmern seines Elternhauses auf die Knie und weinte.
Seinen pflichtbewussten Soldaten ließ er damit keine andere Wahl, als ihn zu verhaften und in den Kerker zu sperren.

Ohne ihren General – den größten Helden von Irgendwo – war die Streitmacht kopflos, da der König alles andere als ein kluger Stratege war. Bald schon stand das Heer aus Anderswo vor den Toren der Hauptstadt. Der König, der nicht verstehen konnte, wieso all dies geschah, verkroch sich in der hintersten und kleinsten Kammer seines Palastes, denn sein Herz war nicht von Kühnheit beseelt. Und hörte von dorther nur mehr das Singen und Lachen seiner Palastwachen, die noch immer angewiesen waren, die Straßen fröhlicher zu machen. Eiligst fasste er einen letzten und verzweifelten Plan und kritzelte ein Gnadenurteil für seinen General, damit er – der größte Held von Irgendwo – zurückkehre, um das Reich zu erretten.

Der Wille des Schicksal war es, dass dieser General im Kerker die Zelle neben der verhafteten Prinzessin bezogen hatte und über ein kleines Loch in der Wand mit ihr sprach. Als einziger im Gemäuer glaubte er ihr ihre Geschichte und so verriet er schweren Herzens seinen König und machte sich, kaum dass er freigelassen worden war, des Nachts heimlich auf ins Lager der Belagerer.
Da er unbewaffnet kam, ließ man ihn zum Prinzen vor. Er erzählte ihm alles und der Prinz glaubte ihm, da er auch von Dingen zu sprechen wusste, die nur seine Prinzessin wissen konnte.
So zogen im Morgengrauen die Belagerer von der Stadt ab und erstürmten stattdessen den Kerker. Sie befreiten die Prinzessin und alle eingesperrten Kinder und wollten schon zurückkehren in ihr Reich. Der Prinz war des Krieges müde und hatte nun nicht länger vor, den König von seinem Thron zu stoßen. Doch die Kunde vom übergelaufenen General hatte sich schnell verbreitet und das Volk liebte den größten Helden von Irgendwo weit inniger, als ihren feigen König. So zog die Meute selbst zum Palast und keine Wachen stellten sich ihr in den Weg.

Der General jedoch stürmte ihr voran – nicht um sie zu führen, sondern um seinen König zu retten, von dem er wusste, dass er ein aufrichtiger Mensch war, und den er nur unter größtem Leid verraten konnte. Sein Treuebruch sollte diesem guten, einsamen, feigen Mann jedoch nicht das Leben kosten.
Er fand seinen Herrn in der hintersten und kleinsten Kammer des Palastes, weinend. Denn er fürchtete sich, zum ersten Mal in seinem Leben, und verstand nicht, wieso sein Volk, das er nur fröhlich und glücklich wissen wollte, so hasste.

Der General verhalf in dieser Nacht dem Monarchen heimlich zur Flucht; und der König von Irgendwo war in diesen Landen nimmer mehr gesehen. Das Reiche Irgendwo wurde Teil von Anderswo und das war die erste Entscheidung des Volkes. Was aus dem General, dem großen Helden wurde, ist nicht bekannt. Du aber sollst von dieser Geschichte behalten, dass das Weinen uns gleichsam zu Menschen macht, wie das Lachen es tut – und willst du das eine meiden, so wird das andre daran zugrunde gehen; und dein verwaistes Herz erkalten.
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Aw: Die Geschichte vom Weinen

Beitragvon Struppigel » Di 04 Jan, 2011 12:04


Hallo Paul,

die Geschichte gefällt mir sehr. Sie hat, was die Szenerie und den Schluss angeht (eine Lehre ziehen, gutes Ende), starken märchencharakter. Vielleicht sollte man sie sogar als Märchen bezeichnen. Dass Weinen und Lachen nah beieinander liegen und das eine ohne das andere nicht existiert, wird auf zwei Ebenen gezeigt. Da ist das Volk, das nicht mehr lacht, weil das Weinen verboten wurde. Da ist der Phönix, der mit seinen Tränen hätte heilen können (sein Weinen hätte darum Frohsinn zur Folge). Schlimmer noch als Traurigkeit, ist kein Gefühl mehr ausdrücken zu können. Das ist die erste Essenz, die ich aus der Geschichte lese und die auch an Schluss direkt formuliert wird.

Die zweite sind die Handlungen der Charaktere und wie sie am Ende dafür belohnt oder bestraft werden. Der General wird trotz und wegen seines Überlaufens als Held gefeiert. Verrat wird in diesem Fall belohnt, weil es nicht immer richtig ist, treu und ohne Verstand zu dienen. Doch er sollte eben gut überlegt sein, der General hat nicht umsonst Schuldgefühle und versucht den Schaden für den König zu begrenzen.
Der König wird bestraft. Nicht, weil er Böses wollte, sondern weil er seines Amtes nicht fähig war und zu wenig über sein Handeln reflektiert hat.

Nun, ich mag solcherlei Geschichten. Ich denke, dass diese hier außerdem gut für Kinder geeignet ist.

Die Miliz – eifrig dabei, alle Verstöße zu ahnden – machte sich sodann auf ins Gebirge und verhaftete die Prinzessin, deren Stand sie nicht kannten, und ihr Gefolge, bis auf einen jungen Zeugwartslehrling, der ihrem Griff entkam

Den Satz würd ich in zwei Sätze teilen, da er doch ziemlich verschachtelt ist.
Nur der Zeugwartslehrling entkam ihrem Griff. – wäre eine Möglichkeit.

Einen Monat später dann erreichte der junge Lehrling,

"dann" ist überflüssig
Das Reiche Irgendwo wurde Teil von Anderswo und das war die erste Entscheidung des Volkes.

Ansätze von Demokratie :D

Viele Grüße
Struppi
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Aw: Die Geschichte vom Weinen

Beitragvon i.z. » Mi 23 Mär, 2011 18:00


Hallo Struppi,

dein Kommentar ist ja schon ne Weile her. Hab ihn schon vor einiger Zeit gelesen, nur selbige noch nicht gefunden eine Antwort zu formulieren. Jedenfalls danke ich dir fürs Lesen und es freut mich, dass die Geschichte dein Gefallen gefunden hat.

Geschrieben hab ich sie eigentlich für meine kleine, mittlerweile 12-Jährige Schwester, als Gute-Nacht-Geschichte. Sie fand sie ganz toll.

Den angemerkten Stellen werde ich ändern, vor allem weil mir was aufgefallen ist:

"Die Miliz – eifrig dabei, alle Verstöße zu ahnden – machte sich sodann auf ins Gebirge und verhaftete die Prinzessin, deren Stand sie nicht kannten, und ihr Gefolge, bis auf einen jungen Zeugwartslehrling, der ihrem Griff entkam."


- wesen Griff? Dem der Miliz oder dem der Prinzessin? ^^"

Gruß, i.z.
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