Märchen, Science Fiction, Fantasy

Krupp

Beitragvon cube » Mo 19 Aug, 2013 11:21


Krupp klabautert durch die weichen Wellentäler. Sich umblickend, sieht er Figuren diffuse Gasgestalten, ziehen ueber Deck wie zerrissene Schleier aus Gaze. Man sucht und forscht, verlässlich an den falschen Stellen. Die Tradition der Diskontinuität macht sich bezahlt, scharf schneidet der Rumpf der Instabilität durch die Welt etablierter Erscheinungen. Waberndes Halo, ICH. Krupp indes übt Kunststücke auf der Krücke Improvisation, balanciert auf dem Stock und gleichzeitig den Stock auf seiner Nasenspitze, übt sich in der Nachäffung eines ernsten Menschen ... wie amuesant, das alles, allein schon sein Name, aber nein, es passt, schließlich sezierte er Dutzende mit dem geschärften Federkiel und protokollierte, was er fand : spiralförmige Deformationen auf dem Pumpmuskel zB. in den Situationen seine reduzierte Aufmerksamkeits-Spannweite, und kreisfoermig wirken die kleinen Zyklen, aber mit Abstand betrachtet fuehrts doch nach oben! ein kaum fuehlbares Ansteigen auf geneigten Ebenen; es bleiben Lange Weilen, doch immerhin, nach oben! denn die rotschwarzmarmorierten Lungenflügel : mit denen fliegt niemand mehr ...
Zeugungsmomente. Bei jeder Sektion masturbiert er seinen Samen in die wahnhafte Wirklichkeit, für jedes tote Kind ein neues erschaffend, sie wachsen auf und verschlingen ihn - aber nein!, das ist ein Trugbild - eine Prophetie? er würde höchstens verschlungen werden, noch steht er hier und fest. Verschlungenwerden allerdings haette verdient, wer seine moeglichen Verschlinger nicht zur Strecke bringt. wir wollen uns an dieser Stelle keinen schwaechenden Trugbildern aussetzen. das schaerfste kommt erst noch, etwas Unerhoertes, dafuer wird Kraft benoetigt. Kruppsche Kraefte, gespeist aus tellurischen Quellen. Krupp wartet, noch ist es nicht an der Zeit, sie zu richten. Erst wird er sehen, wie sie heranwachsen, stark und schnell sollen sie werden, diese hässlichen Kreaturen, so absurd und widersprüchlich. Alle, die Sezierten und die Heranwachsenden, sind er, Krupp.
Als er von Süden heraufkam, machte ihm das zu schaffen, die kalte Luft mit den klaren Wahrheiten, mittags, nach dem Niederlegen, spürte er bisweilen die Entropie sich anschleichen, einen vollgepissten Leichensack über seinen Brägen legend, die Luft wurde sauer und schal, der Kehlkopf dünn und dünner - japsend fuhr er auf und musste lachen. Das bin ich, Krupp, erinnerte er, sterblich und verfallend, sündig und schuldig, in herrlichster Einsamkeit und Eintönigkeit reise ich gen Norden, stets mein Urteil erwartend, doch wer will mich richten? Es gibt keine Richter fuer mich, denn ein Gericht und ein Urteil, das waere Gnade. Hier gibt es nur ihn und die Seinen, Halos und Auren, Wellen und Weilen, lange und kurze.
All das Großartige. Erkenntnisse treiben vorbei, er glaubt, sie entdeckt zu haben, das mag sein, und retten zu müssen, ach verkappte Selbstliebe, wer wäre schon vor Kindereien gefeit? Krupp holt sie als Schiffbrüchige an Bord, zwingt sie zur Maloche und wirft sie in die schäumende See zurück, erinnernd, dass alles nichts ist, er selbst eingeschlossen, dass man sich nicht binden soll, auch nicht an Ideen. Alles wird verschlungen vom Strudel der Jahre. Unsterblichkeit, wie lange war sie her? Krupp wird nachdenklich, blickt über die Kämme der Zeiten und stellt sich sein Gesicht als Totenschädel vor, bis das Fleisch fault und endlich die Haut in Fetzen vom Gerüst der Knochen hängt. Für jetzt ist alles gezeigt, erkennt Krupp, und nichts ist klarer.

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rivus (Di 20 Aug, 2013 20:24)
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Re: Krupp

Beitragvon findefuchs » Di 20 Aug, 2013 19:13


Hallo Cube,

"Call me Ishmael?" Warum eigentlich nicht. Es ist doch legitim, einen bekannten literarischen Stoff in die heutige Zeit zu übersetzen und umzuschreiben. Das kann durchaus begeistern und mich erstaunt, mit wieviel Sprachgeschick Du dem Original nachspürst und es mit Deinem Stil so beeindruckend modern spiegelst.

Die Zeiten und die Überlebenskämpfe haben sich geändert und bleiben doch ähnlich, scheinst Du sagen zu wollen. Ob auf dem Melvill'schen Walfänger, oder dem Bremer Seenotkreuzer, die Gewalt der schicksalhaften Ereignisse, mit denen die Menschen auf den Schiffen konfrontiert werden, bleibt gleich dramatisch.



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Re: Krupp

Beitragvon cube » Mi 21 Aug, 2013 12:01


hi finde,

danke für die Blumen! ich kenne Moby Dick kaum, und alles, was ich weiß, kenne ich nicht von eigener Lektüre her. aber witzig, dass du hier etwas siehst, dass sich einem andern Stil annähert. in meinen Augen schon fast eine Stilkopie, war mein Vorbild der Protagonist von Benn's früher und sehr eigener Prosa, die er schrieb, als er fleißig sezierte, womit er ja nicht klargekommen sein soll - oder er schrieb die Texte kurz nach seiner Verabschiedung, weiß ich nicht mehr genau, schon ne Weile her, dass ich darüber las. der Namen von Benns fiktionaler Gestalt ist Rönne. ich habe einige Eigenschaften und Blickwinkel, wie ich sie verstand, zu übernehmen versucht, da wäre zum Beispiel etwas, das ich als gefühlskalten Herrenmensch-Gestus verstehe, und anderes dann hineincollagiert, wie zB die klassische stoische Übung, sich den eigenen Tod vorzustellen, um angesichts dieses zwingenden Teils des Lebens gelassen bleiben zu können ...
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Re: Krupp

Beitragvon rivus » Fr 23 Aug, 2013 07:02


hi cube,
ich skizzierte schon, bevor dein feedback zu findes leseeindrücke da war. --- ich stellte mir beim lesen zugleich eine figur vor, die dem seewolf von jack london, seinem körperlich versehrten bruder, ähnlich war. dieser seewolf, der kapitän seines seelenlebens bleiben wollte, behauptete sich bekanntermaßen brutal, ganz nach darwinscher manier, auf einem walfänger, mit seiner allgegenwärtigen präsenz, die aber immer wieder von kopfschmerzen und pantasien heimgesucht wurde. krupp könnte in meinem lesen die hydeversion vom seewolf darstellen. dein krupp steht für seelenerzeuger, seelenverkäufer. er hat die omnipotente kraft eines geistig überkompensierten krupp, der jede zeit beugt und sogar unendlichkeit dauern lässt und doch am dauern zu knappern hat, über die kämme der zeit hinaus.

mir gefällt sowohl der erzählduktus, als auch die dichte der bilder, die den wahn nähren und plastisch, satz für satz, auch in mein lesen tragen.


lg
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Re: Krupp

Beitragvon cube » Mo 26 Aug, 2013 11:15


hallo rivus,

vielen dank für deine eindrücke, die lassen mich dem text auch noch mal anders annähern, das sind so figuren und worte, die du schreibst, mit denen ich viel anfangen kann, neben martin eden war der seewolf mein liebstes buch von jack london, meine vorstellungswelt ist und war immer williges opfer seiner inszenierungen, denke ich so rückblickend jetzt. der seewolf, ja, der omnipotente, dessen welt von überragender körperkraft und willensstärke allein zusammengehalten wurde, der mit härte und grausamkeit regierte und sich durchsetzte, bis er zum schluss von innen heraus besiegt wird, erblindet und zerfressen wurde.
seine regierung allerdings ist verstehbar als metapher für das überleben des stärksten - sozialdarwinismus, das ist so eine theorie, die passt zur kapitalistischen frühzeit, in der londons romane zeitlich angesiedelt sind.

seelenerzeuger, seelenverkäufer - hm. interessant. da lässt sich einer mit gewalten ein, an die er besser nicht rühren sollte, fällt mir ein, wenn ich den krupp bedenke.
also den text zu schreiben, diese figur zu erfinden, das war auch so ein kleines experiment, wie diese verschiedenen elemente zusammen passen. die passen ja eigentlich nicht, ist so meine idee, aber irgendwie ergeben die doch ein bild, oder? also ich habe den eindruck und ihr scheint das auch zu bestätigen.

[...]
krupp, der jede zeit beugt und sogar unendlichkeit dauern lässt und doch am dauern zu knappern hat, über die kämme der zeit hinaus.


viele grüße und vielen dank, cube
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Re: Krupp

Beitragvon rivus » Mo 26 Aug, 2013 17:49


hallo cube,
ja, du schneidest da ein thema an, in welchen wir beide uns in einer literarischen schnittmenge wiederfinden, denn auch zu meinen lieblingsbüchern zählte martin eden & seewolf, aber noch viel mehr weißzahn und ruf der wildnis, und die menschen des abgrunds, die ich mit meinem blauäugigen und doch aufmerksamen blick, nach der wende, in den straßen und in manchem pub von london fand. du kannst dir gar nicht vorstellen oder vielmehr doch, wie mir der manchesterkapitalismus ins gesicht und in meine sinne sprang, wie mir mein damaliges weltbild, ein von jack-london sehr geprägtes, bei meinem ersten besuch auf der insel bestätigt wurde. ....


hm, dein krupp, hat aus meiner sicht, das zeug zu einer größeren geschichte .... den geschichtsbogen könnte man von "unsterblichkeit, wie lange war sie her" bis "über die kämme der zeit hinaus" spannen und vielleicht sogar, hach, jetzt bin ich wieder bei jack london, die geschichte eines krupps, sage ich mal zum kruppwolf und die gegengeschichte zum kruppmenschen schreiben ....


vg

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Re: Krupp

Beitragvon cube » Di 27 Aug, 2013 20:23


die angelsachsen sind sogar stolz auf ihren sozial noch kälteren kapitalismus als es unserer ist. machen sich lustig über die welfare states und warnen vor marktverzerrendem staatseingreifen zugunsten finanziell schwächerer gesellschaftsglieder. als ob deren modell eines des erfolges wäre. also das ist was ich so in den journalen mitkriege. meine realen wege führten mich nur einmal auf die insel als ich ein mädchen in cambridge besuchte, da fiel mir freilich anderes auf als du wohl ansprichst, beim fellows dinner die strengen blicke längst verstorbener absolventen von goldgerahmten gemälden zb.
als mein couchsurfer heute morgen unterwegs war sah ich als lektüre auf dem nachttisch liegen : john barleycorn!
ich kann mir gerade nicht vorstellen den krupp weiterzuschreiben. so texte mit kaum äußerer handlung, da kann ich schnell rein und stimmung ausdrücken wenns sich gerade so anfühlt, aber so auf dauer wüsste ich nicht was ich da soll. vllt bin ich zu sehr auf handlung simulieren konditioniert in prosa. im krupp stecken auch stimmungen die auf dauer nicht leicht auszuhalten sind, da will ich nach dem ausdruck auch schnell wieder raus können, entkommen. freut mich aber dass du da potential siehst. :-)
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Re: Krupp

Beitragvon rivus » Mi 28 Aug, 2013 04:07


oh cube,
vielen dank für dein statement; nochmal bestätigung einer langen entwicklung. ich war seit damals nicht mehr bei der alten lady, die ich als jüngerer umschüler, mit einer umschulklasse, in der threadneedlestreet, die wir ostdeutschen als berufsumorientierer, nach hinweisen eines altbundesrepublikanischen wirtschaftswissenschaftlers, unbedingt besuchen sollten. ja, da war sie dann life zu bestaunen, die ehrwürdige bank von london, die uns von außen mit kontrastreichen rosa fracks, roten westen und schwarzen zylindern begrüßte und uns doch nur als zaungäste außen vor ließ, während uns eher die kleinen varieté's interessierten, die uns einließen und ebenso bestaunten, da wir doch noch eher osttypisch und kleinkariert mit wanderrucksäcken und windblusen und sowieso auffällig gekleidet waren, als ob wir noch gar nicht zur zivilbürgerlichen, neueuropäischen welt zugerechnet werden konnten, befanden die dortigen theaterleute, dass wir recht gut zu ihnen passen würden, da sie ebenso berührt, die einen oder andren mit zeitungspapier zugedeckten menschen betrachteten, als ob auch die zu einer welt gehörten, die schon längst überfällig war, abzutreten. doch traten andre, schmuck bekleidete menschen unberührt und geschäftig, mit der normalität der neunziger jahre des zwanzigsten jahrhunderts, also immerhin ein jahrhundert später als das von jack london beschriebene, über die unsichtbaren hinweg, als ob die dort liegenden, nur ein stück papiermüll wären, das sich einfach lumpenproletarisch mit dem fußabtreter solidarisierte, traten manche unbewegt noch nach, benutzten sie höchstens intensiv, um den morgenstaub des noch jungen tages und ihre abscheu vor den nicht sichtbaren, doch morbidität atmenden, abzustreifen ... ach, john barleycorn, war pflichtlektüre, später, als einige von uns beruflich nochmal umsattelten, um eben diesen inzwischen auch in ostdeutschland beheimaten menschentypus, nicht mit genau derselben verachtung gegenüberzustehen und ihn aus dem nichtseßhaften aufzufangen ...


ja, cube, ich verstehe deine distanzierung, habe ich doch zumindestens von mir ähnlich gestrickte geschichten, auch schon längst in verstaubten schubläden abgelegt ...
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