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Geschichten rund um Liebe, Familie oder Freundschaft
von Neruda » Fr 21 Mai, 2010 19:03
Gegen 21:00 Uhr geht die Sonne unter; irgendwo am Ende der Elbe brennt der Wind im Gesicht und die dichte weiße Wolkendecke presst dir die Tränen zurück in die Augenhöhlen. Du kannst das Rauschen des Wassers nicht von dem der Flugzeuge über dir unterscheiden. Ihre Miniaturflügel schieben sich in den Zuckerwattehimmel, tragen die Hoffnungen und Träume irgendwelcher Idioten Richtung Schlaraffenland. Unten am Deich stehe ich und verspotte dich, während du „Das Leben ist schön!“ mit den Fingern in die Einsamkeit schreibst. Wir haben uns nie verstanden.
Die Fenster sind weit aufgerissen. Hinter den Jalousien. Dort wartet ganz sicher kein anderes Leben. Und wenn ich jetzt zur Terrassentür schreite, wirst du noch immer dort oben stehen und glauben das Leben wäre schön, weil deine romantischen Gefühle dich übermannen, weil du denkst es wäre lebenswerter wenn der Abend es in rosarotes Licht taucht. Vergiss nicht, dass in wenigen Minuten die Dunkelheit kommt und dich alleine lässt, dich und deine verdammte träumerische Melancholie.
„Das Leben liebt dich nicht, Baby“, schreie ich und schaue in deine schlammigen Tümpelaugen „es gibt dir nur die Chance dich selbst zu lieben“. Und wieder liebt dieser Blick nur mich. Ich gebe dir noch diese Nacht. Dann musst du es alleine schaffen, ohne den Mond und die Sterne und den Leuchtturm am anderen Ufer. Du reichst mir deine zerrissenen Hände; die Witterung hat dir sichtlich zugesetzt. Ich greife nach ihnen und ziehe dich in meinen Bauch hinein, nähre dich mit allem was ich habe.
Wenn die Sonne aufgeht, presse ich dich zurück in deine Welt. Dort ist es noch immer nicht Morgen.
"...and the poets are just kids who didn't make it." -Fall Out Boy-
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von cube » Di 14 Sep, 2010 15:15
Da wird ein Träumer, ein Melancholiker, ein Lebenschönfinder verspottet, belehrt und angeschrien - von einer, die solche Menschen dumm und naiv zu finden scheint. Die zumindest vorgibt so zu denken. Wobei ich ihre Verkleidung im Text nicht sehr überzeugend finde. Es wirkt auf mich eher als wäre die Erzählerin nur vordergründig Romantikfeindlich und spottete aus Verzweiflung über denjenigen, der Das Leben ist schön! proklamiert. Als wollte sie das selbst auch glauben, könnte aber die Erfahrung, dass auf Rosarot immer Dunkelheit folgt, nicht verdrängen. Später wird die Wut hinter dem Spott deutlich, als sie schreit, dass das Leben ihn nicht liebt. Wer so einen Satz schreit, hat völlig die Contenance verloren und lässt hinter die Maske des Spotts blicken. Mich beschleicht besonders bei diesem aber auch bei anderen dieser Dialog-Sätze das Gefühl die Erzählerin führe eigentlich ein inneres Zwiegespräch. Ich ordne ihr weibliches Geschlecht zu, weil sie den Anderen im vorletzten Absatz in ihren Bauch zieht. Das lässt sich wörtlich nur verstehen, wenn es eine Frau tut, aber auch das im übertragenen Sinn schützende passte eher zu dieser. Oder weil ich sie verdammt nochmal ja irgendwie benennen muss und mir keinen Mann vorstellen will, der irgendwas in seinen Bauch zieht. :D Obwohl ich gerade diesen Spott und das Lustigmachen über Hoffende und Träumende - "irgendwelche Idioten" - erfahrungsgemäß einem Mann zugeordnet hätte. Hm. Ihre Miniaturflügel schieben sich in den Zuckerwattehimmel, tragen die Hoffnungen und Träume irgendwelcher Idioten Richtung Schlaraffenland. Unten am Deich stehe ich und verspotte dich, während du „Das Leben ist schön!“ mit den Fingern in die Einsamkeit schreibst. Wir haben uns nie verstanden. ... Ich greife nach ihnen und ziehe dich in meinen Bauch hinein, nähre dich mit allem was ich habe.
Diese zwei Passagen finde ich stark. Oben ist der Bruch mit der Romantik durch die krassen Gegensätze schön dargestellt. Das untere erinnert mich an lateinamerikanische Schreiber, bei denen auch gern mal ein Herz aus der Brust geschnitten wird, wenn der Protagonist sagt, er verschenke sein Herz. Durch das Gegenständliche wirkt es rau und brutal, aber auch geerdet, als wollte die Erzählerin ein Beispiel geben, was wirklich gebraucht wird, und das ist in diesem Moment kein Rumgeträume, sondern ein handfester Akt. Grüße
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von Neruda » Di 21 Sep, 2010 18:23
Hey cube,
danke für deinen Kommentar. Im Großen und Ganzen hast du mit deiner Interpretation des Textes meine Intention gut getroffen. Das mit dem inneren Zwiegespräch sehe ich da zwar nicht, allerdings hast du schon Recht damit, dass die Protagonistin gerne ebenfalls an dieses Das Leben ist schön - Märchen glauben würde, im Gegensatz zu ihrem gegenüber weiß sie aber, das das nicht die Realität ist und das die wenigsten Geschichten gut ausgehen. Im Grunde versucht sie nur ihr gegenüber auf die Wirklichkeit vorzubereiten um es zu beschützen. Ich sehe die Protagonistin übrigens auch eher als weibliche person, obwohl der Text das ja eher offen lässt. Eigentlich spielt das Geschlecht hier auch keine Rolle. Schön, dass dir der Text zumindest teilweise gefiel. :)
Lg, Kim
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von Wolfgang » Fr 24 Sep, 2010 15:57
Hallo Neruda,
Deine Geschichte hat mich dazu gebracht, dass ich sie mehrmals gelesen habe, aber leider hat sie mich nicht berührt. Das hat mich verdutzt und ich fragte mich: warum?
Ich finde, Du schreibst Bildhaft, zum Beispiel: die Wolkentränen presst dir die Tränen zurück in die Augenhöhlen. Ja, das ist eine Hyperbel, die überrascht und den emotionalen Zustand des lit. Ich gut ausdrückt.
Der ganze Text ist aus der Sicht eines lit. Ich geschrieben, dass seine Gedanken und Gefühle schildert. Und gegen Ende - der Teil mit dem Bauch - da verliere ich den Faden. Zwar mag diese Stelle emotional passen und einen Höhepunkt darstellen, aber es ist doch eine sehr spezifische Sichtweise, die man teilen kann aber nicht muss.
Was mich nun kalt lässt, hat genau damit zu tun. Die Gesichte packt mich nicht, weil sie sagt, etwas ist so und so und du - lieber Leser - kannst es auch so empfinden oder eben nicht.
Dieses Konzept aber überzeugt mich nicht, da ich glaube, das dies eine Art Notlüsung ist, die darauf beruht, dass das lit. Ich nicht offenbar wird. Gut, es schildert seine Gefühle und tritt in eine Art Dialog mit einem anderen lit. Ich, aber beide bleiben zu sehr unbestimmt, um ein klares, abgerundetes Bild ergeben zu können. Beide kommen mir vor, wie Schlaglichter in der Dunkelheit, die kurz aufleuchten und dann gleich wieder verlöschen. Aber um noch einmal zum Bauch zurückzukommen. Die Stelle überzeugt mich nicht, weil ich zu wenig über beide weiß, um verstehen zu können, ob das überhaupt hilft, bzw, ob das wirklich eine Lösung wäre - für das lit. Du. Denn, der Text ist sehr spezifisch auf das lit. Ich ausgerichtet, es kann sich also auch nur um eine Einbildung seinerseits handeln. Und letztendlich, meine Hauptüberlegung: Das Leben ist schön kontra Das Leben liebt dich nicht sind nur Schlagworte, die in diesem Umfang beide nicht zutreffen. Jeder hat mal miese Tage, aber dann scheint auch wieder die Sonne. Es wird kaum jemanden geben, dessen Leben nur wunderbar oder nur grauenhaft ist. Das normale Leben liegt irgendwo dazwischen
Anfangs habe ich die Sprache mit ihren Übertreibungen gelobt, dazu stehe ich auch weiter, sie halte ich für gutes Kopfkino. Aber, durch die Übertreibungen wird eine extrem subjektive Sichtweise geknüpft, der man als Leser folgen kann oder nicht. Ferner sind die beiden Figuren zu wenig beleuchtet um der Aussage, das Leben ist schön, bzw. das Leben liebt dich nicht, wirkliches Gewicht verleihen zu können.
Kurz und gut: Deine Geschichte fasziniert mich, lässt mich aber auch kalt.
Viele Grüße
Wolfgang
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Wolfgang
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