Das Schwefelholz über die Schachtel ziehend und den Rauch des ersten Zuges in die Luft pustend, starrte er weiter beharrlich auf die spärlich beleuchtete Windsor Street vor seinem Fenster. Den Vorhang gerade so weit geöffnet, dass er die Tür des kleinen Pubs gegenüber beobachten, eventuell heraustretende Gäste ihn jedoch nicht sehen konnten, wartete er. Sein Plattenspieler sang leise Melodien in die ansonsten vollkommene Stille seiner kleinen, engen Wohnung, in der sich Bücher stapelten und Schwarz-Weiß Fotografien an den Wänden von längst vergangenen, glücklicheren Momenten erzählten. Manuskripte seiner Werke lagen quer über den Schreibtisch verteilt, auf welchem, glänzend und gepflegt, seine Schreibmaschine stand. Sie war ihm das einzig wirklich Wertvolle, sie schenkte ihm Leben und Glück, machte seine Ideen haltbar und ließ ihm einen Sinn für seine Monotonie zurück. Normalerweise verbrachte er Tage an ihr, versank in die Traumwelten seiner Gedanken, erzeugte Helden und Antihelden, ließ die Liebe von Menschen zerbrechen und die Unglücklichen meistens im Anschluss sterben. Seine Themen waren der Alkohol und die Frauen, die Depression und das Versagen, die Prostitution des Menschen für das Materielle, kurz gesagt all das, woran seine Welt litt. Woran er litt. Und wovon er sich nicht lösen konnte, egal wie viele Wörter er aneinander fügen würde, egal wie viele Seiten er noch zu den Stapeln in seiner Wohnung hinzulegen sollte. Er war all dieser Dinge müde geworden.
Doch heute Abend schrieb er nicht. Heute Abend wartete er darauf, dass er ein weiteres Mal zerbrechen würde. Er wartete auf den Rausch des Alkohols, auf die Depression und auf den Moment des Versagens. Er wartete auf sie. Darauf, dass sie durch die Tür des Pubs heraustreten würde, ihn nicht sehen - und gehen würde. Die Standuhr schlug ein weiteres Mal, er war im Stehen eingeschlafen, mit dem Kopf an die Fensterscheibe gekippt, die Ein-Uhr-Zigarette lag glimmend auf dem Boden.
Er flog durch die Schwärze des Alls, grüßte den Mond und genoss die Geschwindigkeit des Lichts. Er fuhr auf den Ringen des Saturns Karussell, schwamm in den Strömen der Asteroide zum Jupiter und aß mit ihm zu Abend. Doch nirgendwo konnte er lange verweilen, nirgendwo verließen ihn seine Unruhe und Gehetztheit und niemals konnte er vergessen, dass er eigentlich auf der Suche war. Wie konnte er nur so viel kostbare Zeit mit Geschwätz und Essen verschwenden? Er merkte wie er zu schwitzen begann. Schnell verabschiedete er sich von Jupiter und raste durch dass All, schneller als es nach Einstein möglich war. Zeit und Raum verbogen sich für ihn, und er wusste dass er endlich vorwärts kam. Er flog zum Unbekannten hin und von der Sonne weg. Es reizte ihn. Er folgte den Linien der Sternschnuppen, kam vorbei an verglühten Sternen und entfernte sich dabei immer weiter von der Sonne.
Vor ihm lag eine lange Straße des Universums, leer, ohne jegliches Leben, ohne jegliche Freude oder Wärme. Er
spürte wie es ihm kälter wurde. Sein Magen zog sich zusammen, seine Hände wurden klamm und ein zarter Frost überzog sein Haar.
spürte wie es ihm kälter wurde. Sein Magen zog sich zusammen, seine Hände wurden klamm und ein zarter Frost überzog sein Haar.
Er steuerte auf den Neptun zu, den kältesten aller Planeten. Und wie er sich ihm näherte, umso langsamer wurde er. Und wie er nur noch wenige Lichtsekunden von ihm weg war, konnte er sie erkennen. Wie sie in einem silbernen Kleid und ihrem wallenden blonden Haar über die Oberfläche des Planeten tanzte. Sie war eine eindrucksvolle Erscheinung. Das Orchester der Sterne spielte ihren liebsten Walzer, die Abendgesellschaft des Universums sah ihr gebannt zu und selbst Pluto, schlecht gelaunt wegen seiner Verbannung aus dem Sonnensystem, wiegte sich verträumt im Takte der Musik. Er wollte zu ihr, sich von ihr an die Hand nehmen und sich führen lassen. Er wollte in ihre Arme, ihr Haar zurückstreichen und sie auf die Wange küssen. Doch so wie er auf sie zuschritt auf den unsichtbaren Wegen merkte er, dass er, mit jedem Schritt den er tat sich genau einen weiter von ihr entfernte. Dass, wenn er schneller ging, ihre Gestalt noch kleiner wurde, dass er, wenn er die Richtung ändern wollte, sich nicht drehen konnte. Er verstand, dass er machtlos war. Verzweifelt warf er einen letzten Blick zurück - und sah just in diesem Moment wie eine große, herkulische Gestalt seine Dame an die Hand nahm, während in der anderen ein großer, furchteinflößender Dreizack ragte. Die muskulösen Arme der Kreatur, über die sich blaue, kalte Haut spannte, endeten in einem Oberkörper, welcher tausendmal härter anmutete als jede Form gegossenen Stahles. Auf diesem gewaltigen Rumpf saß ein Kopf, so groß wie ein Eisblock der Arktis, geschmückt durch lange Algen als Haare. Die Nüstern des Ungetüms blähten sich weit, und Dampf entwich seinem Mund. Doch als das ungleiche Paar zu tanzen begann, bemerkte unser Reisender die meerblauen Augen und den Blick des Riesen. Stolz, unnachgiebig und stark. Und in diesem Moment wusste er, dass er kein Ungeheuer, kein Ungetüm - sondern einen Gott gesehen hatte.
Neptun tanzte mit seiner Dame. Danach wurde alles schwarz, und er merkte wie er zurück gezogen wurde.
Er wachte schweißgebadet auf. Die Zigarette hatte einen Brandfleck in seinem Teppich hinterlassen, nach dem sie sich zuvor durch einen paar Seiten durchgebrannt hatte. Die Standuhr schlug vier Uhr. Er stand auf, sah durch das Fenster zum Pub und wusste, dass er sie ein weiteres Mal verpasst hatte.
Es war Zeit für Mr. Burke, endlich aufzugeben.