an den randspuren von wien
Verfasst: Do 20 Nov, 2008 20:10
randspuren
14.1.
um mitternacht oder kurz danach hat sie mir die kalten finger in den nacken gedrückt, gemurmelt: „ich bin müde, hannes“ und die fingerspitzen an meinem schlüsselbein aufwärts wandern lassen. sie liebt meine gänsehaut, weil sie ihr zeigen, dass ich sie spüre, hat sie mir einmal gesagt, aber sie sagt ja auch, ich soll sie nicht berühren, ich soll sie doch lassen, soll ihre haut lassen, die nach mandelöl riecht, wenn noch der schaum vom vollbad in ihren haaren klebt, da möchte ich dann gerne sagen: „meine badenixe“, ganz leise, „meine badenixe, du verbrauchst unser ganzes warmwasser“ und ihre haare, die sie frühmorgens immer durchs glätteisen zieht, dass die luft um sie herum zu brennen scheint, die soll ich auch lassen. ab und an, wenn ich ihre worte wieder einmal ignoriere, küsst sie meinen zeigefinger, sagt: „fingerkuppenaugen“ während sie schon aufsteht um ins bett zu gehen und die tür, die sie hinter sich schließt, dämpft ihre worte: „mach später das licht aus.“, obwohl das schwachsinn ist, das licht muss gar nicht gelöscht werden, in der fensterscheibe spiegelt sich die glühbirne, die durchgebrannt ist und deshalb ausgewechselt werden solle.
sie weiß das.
und dann bleibe ich alleine zurück und denke nur daran, wie ich sie zum ersten mal lächeln sah, das war ende august vor fünf jahren, in einem café am stadtrand, sie strich sich über ihr kleid, das viel zu groß gemustert war und lächelte die wand an. ich wollte unbedingt wissen, wie sich die rillen ihres abgesplitterten schneidezahns, an dem der sommer noch klebte, anfühlten, wenn man mit der zunge darüberfuhr. es war im grunde ein wetten und gewinnen, das mit uns, damals wusste ich nicht, dass der sommer für niemanden lächelt. nur für schweden.
19.1.
„ich werde töne malen, hannes“ hat sie heute gesagt, als sie sich im auto so hinsetzte, dass ihr mund eine luftlinie weit von meinem ohr entfernt war, „ich werde sie auf krüge malen, auf schränke und auf die bettdecke“. ich hab dazu lieber geschwiegen, es ist schön, wenn sie spricht, dann taucht sie die satzenden in chlorwasser und die laute verfärben sich, „und auf dich male ich sie auch, hannes – auf dich sowieso.“
ihre stimme klingt nur selten so weich, wie, wenn sie „schaum“ sagt und, dass es für sie wie schwedisch klingt. als wir zusammengezogen sind und uns zur einstimmung abends gemeinsam in die badewanne gelegt haben, schmolzen die bläschen im wasser und sie flüsterte: jag älskar dig på söndag“. ich tastete unter wasser nach ihrem bauch, aber sie schob meine hände beharrlich weg, schaute mich dabei lange an und zerplatzte ihre seifenblasenstimme mit einem satz, „hannes, lass das“. ich habe mir nie die mühe gemacht, ein schwedischwörterbuch zu kaufen, vielleicht, weil ich dann das gefühl hätte, ihr ihr schweden wegzunehmen; und sie stieg erst nach mir aus der wanne, wie seither jedes mal, den blick auf meinen nackten körper geheftet.
sie liebt schwedisch. sie liebt schaum. und sie liebt meine begierde, die irgendwann nur noch scham sein wird.
20.1.
ich dachte einmal, es sei dasselbe, an jemanden zu denken und über jemanden zu denken, aber als ich klein war, fand ich auch, dass alle gummibärchen gleich schmecken.
24.1.
wir haben uns heute abend „das lächeln einer sommernacht“ angesehen, nur, weil sie sagt, dass alle filme von schwedischen regisseuren wundervoll wären. wir sehen uns monatlich etliche filme schwedischer regisseure an. sie malte sich die lippen rot, als wir wilde erdbeeren sahen und lässt wie im himmel immer wieder unser verständnis in bildern malen, dass nur noch der braun befleckte mond, der noch so halb weiß wie das fruchtfleisch von geschälten kastanien, uns heute ins wohnzimmer scheint. ich liebe ihr lachen, wenn die schauspieler weinen und ihr weinen, wenn sie lachen, und wenn der abspann einblendet wird, springt sie auf und zieht die kassette aus dem rekorder, weil sie sagt, der abspann wäre das ende. das ende von allem. sie sieht mir nie in die augen, wenn sie die kasette in die papierschachtel schiebt und den fernseher ausschaltet. ich habe sie heute gefragt: „hat das etwas mit fernweh zu tun? ist es das?“, aber sie hat nur spöttisch geschaut, dass ich nur bat, sie solle sich doch wieder zu mir setzen. sie ist in die küche gegangen, hat von dort aus gerufen: „du willst doch auch tee, oder?“ und wie wir später mit unseren teetassen dasaßen und unsere sehnsucht darin ertränkten, hätte ich gerne geschrien: „hör mal, ich weiß es doch, ich weiß doch.“
27.1.
sie war heute von acht uhr morgens bis sieben uhr abends weg, da hab ich mir wie im himmel angsehen bis zum ende von allem und jeden einzelnen namen der mitwirkenden gelesen, mich abends auf ihre bettseite gelegt, den duft ihres kissens versucht mit allen sinnen wahrzunehmen, ihn nicht nur zu riechen und zu fühlen, sondern zu sehen und zu hören, hab mir vorgestellt, dass sie da liegt, dass sie da lächelt und sagt: „ich hab heut viel an dich gedacht, hannes.“, dass ich sie kitzeln könnte und es ein einziges mal passend wäre zu rufen: „was soll ich mit dir machen, hm? meine kleine badenixe... was willst du?“
früher habe ich ab und an noch ihre hände genommen und geführt, weil ich ihr zeigen wollte, dass ich mensch bin und jetzt stelle ich um acht uhr das erste whiskeyglas auf den wohnzimmertisch und ignoriere ihre hochgezogene augenbraue. kontrollverlust sei eine schwäche und vertrauen ebenfalls eine.
es gab eine zeit, da bat sie mich, weniger zu trinken, aber es gab auch eine zeit, da sagte sie: „ich brauche dich“. da war jedes schaumschmelzen egal und ich dachte, man könne auch hier in deutschland lächeln zwischen leinentüchern einfangen.
29.1.
hätte heute morgen gerne gesagt: „ich will dich küssen.“ heute morgen, heute mittag und heute abend. und in der zeit dazwischen auch.
1.2.
sie war heute betrunken, als ich nach hause kam, und als ich fragte, was denn los sei, rief sie übermütig, sich immerzu im kreis drehend: „menschärgerdichnicht, das ist es, das bin ich, menschärgerdichnicht.“ und sie schlug viel zu sanft nach mir, als ich sie in den arm nahm, sie muss sich nicht wehren, weil alkohol die ausrede für ihre zuneigung ist und sie hat ununterbrochen geflüstert: „erzähl mir etwas. sing mir etwas, hannes, ich bin tonmaler, lass mich die töne malen, sie waren heut so leise und ich sing sie mir laut, hannes, schrei sie mir.“
sie atmete laut, ich sammelte die luft aus ihren lungen.
„wer soll denn singen? ich kann doch gar nicht singen, das weißt du doch“ und sie drückte mir die hände auf die augen, rief: „sing! sing, singsingsing!“
die sonne brach mir an ihrer haut weg.
3.2.
sie schläft jeden abend vor mir ein – manchmal, wenn ich nicht schlafen kann, schiebe ich meine hände unter ihr hemd, eines meiner alten, das sie über nacht trägt, streiche über die haut, die sich über ihre wirbelsäule spannt und küsse ihre stirn.
gestern abend habe ich über ihre nacken gestrichen, weil ich wissen wollte, wie sich ihre haut da anfühlt und sie schlug ihre augen auf, ich ließ meinen kopf schnell ins kissen fallen.
am morgen taten wir beide so, als wäre nichts gewesen.
die haut an ihrem nacken ist wie whiskey.
4.2.
jeden abend sitzt sie im arbeitszimmer und beim klang ihres: „ich bin gleich bei dir.“ kann ich hören, wie viele worte trauer und selbstzweifel sie heute geschrieben hat. ich habe abends gefragt, wie sie da drinnen überhaupt arbeiten könne. sie hat gelacht und die tür zugemacht. ich müsse ja nicht hineinschauen, wenn mich das chaos darin störe, hat sie später gemeint.
ein raum voller erinnerungen und fernweh, der irgendwann nicht mehr ausreichte. aus ein raum. dann ein haus.
im wohnzimmer hängt ein neues bild, darunter steht: sonnenuntergang in schweden. und neben dem telefonhörer klebt ein gelber notizzettel. ich kann ihre runde schrift nicht lesen, es muss wohl wieder einmal ihre mutter angerufen haben, deren stimme auch wie schaum klingt, wie zitronenschaum womöglich, die in staccatosätzen mit mir spricht und sich immer wieder entschuldigt: „mein deutsch ist nicht gut.“
5.2.
ich habe maila heute gesagt, dass ich gerne ein kind hätte und sie hat gemeint: „du bist verrückt, wie stellst du dir das vor“ und: „du nimmst das leben zu einfach“.
in solchen momenten denke ich, sie nimmt sich zu wichtig, sie, die tonbrennerin, die alle leerzeilen zwischen meinen worten zu sätzen spinnt. ich habe sie in ihrem roman nicht wiedererkannt, auch wenn mir frauen und männern, vorzugsweise frauen, auf ihren lesungen die hand schütteln und sagen, ich könne sehr stolz auf meine frau sein, ein sehr persönliches, wunderschönes buch. als ich ihr das gesagt habe, hat sie das gesicht verzogen: „man muss arbeit und privatleben einfach trennen, hannes.“ ich frage mich allerdings, wieso man familie und ehemann auch trennen muss.
29.3.
sie hat sich zwei wochen frei genommen und wir haben das picasso museum und den eifelturm gesehen. ich habe gesagt: „schön ist es hier. richtig entspannend“ und sie hat sich am zweiten tag aufs hotelzimmer verzogen um zu arbeiten, dabei sollte dort niemand arbeiten und ich hab mich heute hinter sie gestellt und ihren namen so leise gesagt, dass sie mich hören musste und sie hat mich auch gehört, aber so getan, als würde sie es nicht. ich konnte nicht lesen, was sie schrieb. wir fühlen in unterschiedlichen sprachen.
manchmal frage ich mich, ob sie mich wohl noch liebt oder es einfach nur die gewohnheit ist, die sie zum bleiben verordnet.
6.4.
wenn ich kinder hätte, dann würden sie markus und sabine heißen, dann würde ich mit ihnen nach moskau fliegen und mit ihnen ins theater gehen. dann würde ich ihnen alles erzählen. gar alles. sie lächelte, als ihr das erzählte. sie sagt, das kann ich mit ihr auch machen.
ich habe aufgehört, ihre lügen zu zählen.
17.5.
wir führen gespräche, in denen das schweigen siegt und besitzen ein schweigen, in denen die worte trumpfen. tag für tag klaubt sie mir meine sätze aus den mundwinkeln, wenn sie mir den kaffeeschaum wegwischt und ich genieße es, sie zu vermissen, wenn sie abends ausgeht oder mit ihrer mutter telefoniert, das tut sie jetzt sowieso öfters. mir bleibt nichts, außer die sehnsucht in den vier tassen kaffee zu ertränken, die sie täglich trinkt. ich muss ständig daran denken, wie sie sagte: „ich bin nicht wie die anderen“.
es müsste heißen: „ich will nicht wie die anderen sein.“
9.6.
der sommer kommt und ich habe mir die füße am heißen blech auf dem balkon verbrennt; es fühlte sich an, als wäre die luft ein aus metall geschmolzener hohlkörper.
16.7.
sie saß im wohnzimmer und weinte zum filmabspann von wie im himmel, weil sie dachte, dass ich erst später nach hause kommen würde. die augen schwarz umrahmt von der verwischten schminke und die haare ungewaschen, das wohnzimmer roch nach rauch und schweiß. auf dem wohnzimmer stand eine leere flasche vodka. sie hielt das bild sonnenuntergang in schweden an ihre brust gedrückt.
noch nie habe ich sie so schön gesehen, wie dieses eine mal, als der moment knackte wie beim öffnen einer walnuss.
23.7
ich frage mich, wie lange es dauern wird, bis das schweigen uns erdrückt und, ob sie dann versuchen wird, unser schweigen mit dem gebrochenen deutsch ihrer mutter zu durchbrechen.
14.1.
um mitternacht oder kurz danach hat sie mir die kalten finger in den nacken gedrückt, gemurmelt: „ich bin müde, hannes“ und die fingerspitzen an meinem schlüsselbein aufwärts wandern lassen. sie liebt meine gänsehaut, weil sie ihr zeigen, dass ich sie spüre, hat sie mir einmal gesagt, aber sie sagt ja auch, ich soll sie nicht berühren, ich soll sie doch lassen, soll ihre haut lassen, die nach mandelöl riecht, wenn noch der schaum vom vollbad in ihren haaren klebt, da möchte ich dann gerne sagen: „meine badenixe“, ganz leise, „meine badenixe, du verbrauchst unser ganzes warmwasser“ und ihre haare, die sie frühmorgens immer durchs glätteisen zieht, dass die luft um sie herum zu brennen scheint, die soll ich auch lassen. ab und an, wenn ich ihre worte wieder einmal ignoriere, küsst sie meinen zeigefinger, sagt: „fingerkuppenaugen“ während sie schon aufsteht um ins bett zu gehen und die tür, die sie hinter sich schließt, dämpft ihre worte: „mach später das licht aus.“, obwohl das schwachsinn ist, das licht muss gar nicht gelöscht werden, in der fensterscheibe spiegelt sich die glühbirne, die durchgebrannt ist und deshalb ausgewechselt werden solle.
sie weiß das.
und dann bleibe ich alleine zurück und denke nur daran, wie ich sie zum ersten mal lächeln sah, das war ende august vor fünf jahren, in einem café am stadtrand, sie strich sich über ihr kleid, das viel zu groß gemustert war und lächelte die wand an. ich wollte unbedingt wissen, wie sich die rillen ihres abgesplitterten schneidezahns, an dem der sommer noch klebte, anfühlten, wenn man mit der zunge darüberfuhr. es war im grunde ein wetten und gewinnen, das mit uns, damals wusste ich nicht, dass der sommer für niemanden lächelt. nur für schweden.
19.1.
„ich werde töne malen, hannes“ hat sie heute gesagt, als sie sich im auto so hinsetzte, dass ihr mund eine luftlinie weit von meinem ohr entfernt war, „ich werde sie auf krüge malen, auf schränke und auf die bettdecke“. ich hab dazu lieber geschwiegen, es ist schön, wenn sie spricht, dann taucht sie die satzenden in chlorwasser und die laute verfärben sich, „und auf dich male ich sie auch, hannes – auf dich sowieso.“
ihre stimme klingt nur selten so weich, wie, wenn sie „schaum“ sagt und, dass es für sie wie schwedisch klingt. als wir zusammengezogen sind und uns zur einstimmung abends gemeinsam in die badewanne gelegt haben, schmolzen die bläschen im wasser und sie flüsterte: jag älskar dig på söndag“. ich tastete unter wasser nach ihrem bauch, aber sie schob meine hände beharrlich weg, schaute mich dabei lange an und zerplatzte ihre seifenblasenstimme mit einem satz, „hannes, lass das“. ich habe mir nie die mühe gemacht, ein schwedischwörterbuch zu kaufen, vielleicht, weil ich dann das gefühl hätte, ihr ihr schweden wegzunehmen; und sie stieg erst nach mir aus der wanne, wie seither jedes mal, den blick auf meinen nackten körper geheftet.
sie liebt schwedisch. sie liebt schaum. und sie liebt meine begierde, die irgendwann nur noch scham sein wird.
20.1.
ich dachte einmal, es sei dasselbe, an jemanden zu denken und über jemanden zu denken, aber als ich klein war, fand ich auch, dass alle gummibärchen gleich schmecken.
24.1.
wir haben uns heute abend „das lächeln einer sommernacht“ angesehen, nur, weil sie sagt, dass alle filme von schwedischen regisseuren wundervoll wären. wir sehen uns monatlich etliche filme schwedischer regisseure an. sie malte sich die lippen rot, als wir wilde erdbeeren sahen und lässt wie im himmel immer wieder unser verständnis in bildern malen, dass nur noch der braun befleckte mond, der noch so halb weiß wie das fruchtfleisch von geschälten kastanien, uns heute ins wohnzimmer scheint. ich liebe ihr lachen, wenn die schauspieler weinen und ihr weinen, wenn sie lachen, und wenn der abspann einblendet wird, springt sie auf und zieht die kassette aus dem rekorder, weil sie sagt, der abspann wäre das ende. das ende von allem. sie sieht mir nie in die augen, wenn sie die kasette in die papierschachtel schiebt und den fernseher ausschaltet. ich habe sie heute gefragt: „hat das etwas mit fernweh zu tun? ist es das?“, aber sie hat nur spöttisch geschaut, dass ich nur bat, sie solle sich doch wieder zu mir setzen. sie ist in die küche gegangen, hat von dort aus gerufen: „du willst doch auch tee, oder?“ und wie wir später mit unseren teetassen dasaßen und unsere sehnsucht darin ertränkten, hätte ich gerne geschrien: „hör mal, ich weiß es doch, ich weiß doch.“
27.1.
sie war heute von acht uhr morgens bis sieben uhr abends weg, da hab ich mir wie im himmel angsehen bis zum ende von allem und jeden einzelnen namen der mitwirkenden gelesen, mich abends auf ihre bettseite gelegt, den duft ihres kissens versucht mit allen sinnen wahrzunehmen, ihn nicht nur zu riechen und zu fühlen, sondern zu sehen und zu hören, hab mir vorgestellt, dass sie da liegt, dass sie da lächelt und sagt: „ich hab heut viel an dich gedacht, hannes.“, dass ich sie kitzeln könnte und es ein einziges mal passend wäre zu rufen: „was soll ich mit dir machen, hm? meine kleine badenixe... was willst du?“
früher habe ich ab und an noch ihre hände genommen und geführt, weil ich ihr zeigen wollte, dass ich mensch bin und jetzt stelle ich um acht uhr das erste whiskeyglas auf den wohnzimmertisch und ignoriere ihre hochgezogene augenbraue. kontrollverlust sei eine schwäche und vertrauen ebenfalls eine.
es gab eine zeit, da bat sie mich, weniger zu trinken, aber es gab auch eine zeit, da sagte sie: „ich brauche dich“. da war jedes schaumschmelzen egal und ich dachte, man könne auch hier in deutschland lächeln zwischen leinentüchern einfangen.
29.1.
hätte heute morgen gerne gesagt: „ich will dich küssen.“ heute morgen, heute mittag und heute abend. und in der zeit dazwischen auch.
1.2.
sie war heute betrunken, als ich nach hause kam, und als ich fragte, was denn los sei, rief sie übermütig, sich immerzu im kreis drehend: „menschärgerdichnicht, das ist es, das bin ich, menschärgerdichnicht.“ und sie schlug viel zu sanft nach mir, als ich sie in den arm nahm, sie muss sich nicht wehren, weil alkohol die ausrede für ihre zuneigung ist und sie hat ununterbrochen geflüstert: „erzähl mir etwas. sing mir etwas, hannes, ich bin tonmaler, lass mich die töne malen, sie waren heut so leise und ich sing sie mir laut, hannes, schrei sie mir.“
sie atmete laut, ich sammelte die luft aus ihren lungen.
„wer soll denn singen? ich kann doch gar nicht singen, das weißt du doch“ und sie drückte mir die hände auf die augen, rief: „sing! sing, singsingsing!“
die sonne brach mir an ihrer haut weg.
3.2.
sie schläft jeden abend vor mir ein – manchmal, wenn ich nicht schlafen kann, schiebe ich meine hände unter ihr hemd, eines meiner alten, das sie über nacht trägt, streiche über die haut, die sich über ihre wirbelsäule spannt und küsse ihre stirn.
gestern abend habe ich über ihre nacken gestrichen, weil ich wissen wollte, wie sich ihre haut da anfühlt und sie schlug ihre augen auf, ich ließ meinen kopf schnell ins kissen fallen.
am morgen taten wir beide so, als wäre nichts gewesen.
die haut an ihrem nacken ist wie whiskey.
4.2.
jeden abend sitzt sie im arbeitszimmer und beim klang ihres: „ich bin gleich bei dir.“ kann ich hören, wie viele worte trauer und selbstzweifel sie heute geschrieben hat. ich habe abends gefragt, wie sie da drinnen überhaupt arbeiten könne. sie hat gelacht und die tür zugemacht. ich müsse ja nicht hineinschauen, wenn mich das chaos darin störe, hat sie später gemeint.
ein raum voller erinnerungen und fernweh, der irgendwann nicht mehr ausreichte. aus ein raum. dann ein haus.
im wohnzimmer hängt ein neues bild, darunter steht: sonnenuntergang in schweden. und neben dem telefonhörer klebt ein gelber notizzettel. ich kann ihre runde schrift nicht lesen, es muss wohl wieder einmal ihre mutter angerufen haben, deren stimme auch wie schaum klingt, wie zitronenschaum womöglich, die in staccatosätzen mit mir spricht und sich immer wieder entschuldigt: „mein deutsch ist nicht gut.“
5.2.
ich habe maila heute gesagt, dass ich gerne ein kind hätte und sie hat gemeint: „du bist verrückt, wie stellst du dir das vor“ und: „du nimmst das leben zu einfach“.
in solchen momenten denke ich, sie nimmt sich zu wichtig, sie, die tonbrennerin, die alle leerzeilen zwischen meinen worten zu sätzen spinnt. ich habe sie in ihrem roman nicht wiedererkannt, auch wenn mir frauen und männern, vorzugsweise frauen, auf ihren lesungen die hand schütteln und sagen, ich könne sehr stolz auf meine frau sein, ein sehr persönliches, wunderschönes buch. als ich ihr das gesagt habe, hat sie das gesicht verzogen: „man muss arbeit und privatleben einfach trennen, hannes.“ ich frage mich allerdings, wieso man familie und ehemann auch trennen muss.
29.3.
sie hat sich zwei wochen frei genommen und wir haben das picasso museum und den eifelturm gesehen. ich habe gesagt: „schön ist es hier. richtig entspannend“ und sie hat sich am zweiten tag aufs hotelzimmer verzogen um zu arbeiten, dabei sollte dort niemand arbeiten und ich hab mich heute hinter sie gestellt und ihren namen so leise gesagt, dass sie mich hören musste und sie hat mich auch gehört, aber so getan, als würde sie es nicht. ich konnte nicht lesen, was sie schrieb. wir fühlen in unterschiedlichen sprachen.
manchmal frage ich mich, ob sie mich wohl noch liebt oder es einfach nur die gewohnheit ist, die sie zum bleiben verordnet.
6.4.
wenn ich kinder hätte, dann würden sie markus und sabine heißen, dann würde ich mit ihnen nach moskau fliegen und mit ihnen ins theater gehen. dann würde ich ihnen alles erzählen. gar alles. sie lächelte, als ihr das erzählte. sie sagt, das kann ich mit ihr auch machen.
ich habe aufgehört, ihre lügen zu zählen.
17.5.
wir führen gespräche, in denen das schweigen siegt und besitzen ein schweigen, in denen die worte trumpfen. tag für tag klaubt sie mir meine sätze aus den mundwinkeln, wenn sie mir den kaffeeschaum wegwischt und ich genieße es, sie zu vermissen, wenn sie abends ausgeht oder mit ihrer mutter telefoniert, das tut sie jetzt sowieso öfters. mir bleibt nichts, außer die sehnsucht in den vier tassen kaffee zu ertränken, die sie täglich trinkt. ich muss ständig daran denken, wie sie sagte: „ich bin nicht wie die anderen“.
es müsste heißen: „ich will nicht wie die anderen sein.“
9.6.
der sommer kommt und ich habe mir die füße am heißen blech auf dem balkon verbrennt; es fühlte sich an, als wäre die luft ein aus metall geschmolzener hohlkörper.
16.7.
sie saß im wohnzimmer und weinte zum filmabspann von wie im himmel, weil sie dachte, dass ich erst später nach hause kommen würde. die augen schwarz umrahmt von der verwischten schminke und die haare ungewaschen, das wohnzimmer roch nach rauch und schweiß. auf dem wohnzimmer stand eine leere flasche vodka. sie hielt das bild sonnenuntergang in schweden an ihre brust gedrückt.
noch nie habe ich sie so schön gesehen, wie dieses eine mal, als der moment knackte wie beim öffnen einer walnuss.
23.7
ich frage mich, wie lange es dauern wird, bis das schweigen uns erdrückt und, ob sie dann versuchen wird, unser schweigen mit dem gebrochenen deutsch ihrer mutter zu durchbrechen.