Geschichten rund um Liebe, Familie oder Freundschaft

Marko

Beitragvon schmirgelpapier » Mi 18 Feb, 2009 18:52


Markos Augen sind grünblau und gerippt. Er erzählt, dass man am Meer den Erdrücken sehen könne und dieser ein klitzekleines Bisschen gebogen sei. Vom Baden im Meer werde die ganze Haut salzig.

In der Woche darauf steht die Waschküche unter Wasser, ich entdecke es als erste von uns um sechs Uhr morgens. Ich rücke den Stuhl in der Küche an die Arbeitsfläche und hole aus dem Küchenschrank den Salzsteuer. Wir haben unser eigenes Meer, Mama sage ich ihr, als sie mich später unten findet, nur mit der Unterhose im Wasser watend. Wir suchen im Badezimmer nach den Handtüchern und tragen sie nach unten. Am nächsten Tag bin ich erkältet; beim Mittagessen ist der Salzstreuer leer.

Die Tapetenfarbe ist über dem Waschbecken ein kleines Stück breit am kräftigsten. Ich stelle mich gerne auf den Hocker und berühre die Wand. Im Badezimmer riecht es nach Seife. Ich sage Marko, dass ich im Fasching als Tapete gehen werde. Er zuckt die Schultern. Als ich das nächste Mal in der Badewanne liege und mir Mama die Haare kämmt, frage ich sie, wieso Marko nicht mehr mit mir zusammen badet. Sie sagt, dass das eben so ist. Die Haut an den Fingerspitzen ist aufgeweicht und wellt sich; wenn ich den Daumen an den Zeigefinger reibe, fühlt es sich an, wie Mehl zwischen den Fingern.

Im Sommerurlaub in Italien sage ich zu Marko, seine Augen sähen aus wie blaugefärbte Herzmuscheln. Er hält sich am Strand zwei Muschelhälften vors Gesicht und fragt, ob man da wirklich keinen Unterschied sähe. Ich halte die Hand ins Wasser, dass meine Haut schlierig scheint und sage Blödmann. Auf der Heimfahrt ist es heiß und stickig, wir haben keine Klimaanlage, also hängen wir die Schlafdeckchen für meine Puppen vor die Scheiben. Mama singt schief und zu hoch acht Stunden lang dasselbe Lied. Ich sage Mama, ich kann so nicht schlafen, aber sie lacht nur und fährt mit ihrer Hand beim Singen durch die Luft.

Ich weigere mich so lange zu baden, bis der Meergeruch von selbst verflogen ist.

Wenn Mama manchmal weint, sammeln sich ihre Tränen auf meiner Haut. Wenn sie an meinem Schlüsselbein festkleben, wische ich sie flüchtig weg, dort fühlen sie sich an wie kalte Finger. Abends im Bett fahre ich die Wege des Salzwassers nach und drücke die Fingerkuppen in die Haut.

Ich frage Marko, wieso Mama traurig ist, aber sein Blick hängt nur verschoben in der Luft, wie immer, wenn er Klavier spielt und sich darauf konzentriert, mit jeder Hand etwas anderes zu spielen. Wenn er spielt, rutschen seine Finger über die Tasten, als fühle er in ihnen die Töne. Frag sie eben, ich kann sowas nicht erzählen, sagt er, stolpert vor dem b, spricht es aus wie p und kommt aus dem Takt. Tschuldigung, sage ich; er seufzt.

In der Schule greift mir ein Junge an den Po und als ich es Marko sage, verprügelt er ihn, dass er auf dem Boden liegt und aus der Nase blutet, aber Marko hört nicht auf, bis ein Krankenwagen kommt.
Ich erzähle Mama eine Woche später davon. Ihre Augen werden milchig und wässrig. Ist nicht so schlimm, sage ich, sie drückt meinen Kopf an ihre Brust und streicht mir die Haare quer über den Kopf. So etwas passiert nie wieder, sagt sie.

Im nächsten Sommer reiche ich Mama bis zu den Schultern und kämme meine Haare alleine beim Baden. Sie fragt mich, ob es mich immer noch stört, dass Marko nicht mehr mit mir badet. Ich werde rot.
Im Badezimmer muss ich mich nicht mehr auf den Hocker stellen um die Tapete über dem Waschbecken berühren zu können, es reicht, mich auf die Zehenspitzen zu stellen, aber es ist einfach nicht das selbe Gefühl.

Wo ist er, frage ich Mama und krieche zu ihr unter die Bettdecke. Sie wischt mit der Hand durch die Luft, dass ein bisschen Zigarettenasche in meinen Schoß fällt. Weg ist er, sagt sie, ihre Stimme klingt zerknittert. Sie drückt die Zigarette aus, dreht mir den Rücken zu. Gute Nacht, flüstere ich.

Warum ist er weg, ich setze mich auf den Badewannenrand. Marko drückt Gel aus der Tube auf seine Handflächen, fährt mit ihnen durchs Haar. Du warst ihr Baby, sagt er, er hat dich angefasst und jetzt ist er weg. Lass gut sein. Er wuschelt mir mit den Gelhänden durchs Haar, ich sage ihm, dass er gut aussieht, er grinst.

Im Sommer teilt sich Markos klarer Blick, das Gerippte in seinem Blick glättet sich. Wir lassen an seinem fünfzehnten Geburtstag Himmelslaternen steigen, das orangefarbene Papier bläst sich langsam auf. Später sagt mir Mama, ich solle Marko zum Essen rufen. Er hat sich auf ins Baumhaus im Garten verzogen. Ich höre seine Stimme und das japsende Lachen von Luisa, das ich nicht leiden kann. Es gibt Essen, Marko rufe ich. Die beiden haben die Leiter nach oben gezogen. Verschwinde, sagt Mark und Luisa japst, Betreten verboten.


Luisa kommt jetzt öfters.
Auf Markos Zimmertür klebt dann ein Notizzettel Betreten verboten.
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Re: La mer c'est ca que Le ciel pleut.

Beitragvon Smilodon » Mo 23 Feb, 2009 22:37


Hallo schmirgelpapier,

Rollenprosa - fällt mir zu deiner Geschichte nur ein und das kann gründlich daneben gehen und vielleicht ist es in diesem Fall nicht total daneben gegangen, aber gehörig genug, um dir einige Verbesserungsvorschläge zu machen.

Es ist verdammt schwer, die Stimme eines zehnjährigen nachzuahmen und das dann über 3 Seiten hinweig durchzuhalten. Du schaffst das aber einigermaßen, aber leider wirkt es irgendwann derart langweilig, dass es nur noch nervt, spätestens nach dem zweiten Absatz könnte man das Kind mit dem Kopf an die Wand hauen, damit es endlich die Klappe hält - Nein, so brutal wollen wir gar nicht sein, aber die Erzählstimme nervt gewaltig in ihrer Naivität. In der extremen Form wie du es tust, kann man das mal einen Absatz lang machen, aber keine dreiseitige Geschichte.

Darunter fällt für mich auch das hohle Geschwafel mit dem Meer und dem Himmel, nicht nur weil die Metapher abgegriffen ist, auch weil kein Mensch so redet und das alles ziemlich gestelzt wirkt und den Erzähler nur noch naiver macht, wenn es das der Mutter nachplappert. "Es gibt immer irgendjemanden, der einem Salz streut.", und dann noch so einen Satz als Schlussmoral, nein, sowas geht gar nicht. Das ist kitschig und absolut realitätsfremd, tut mir leid.

Zu diesen beiden Punkten kann ich dir leider auch keine wirklichen Vorschläge machen, außer: Neu schreiben und darauf verzichten. Doch nichtmal das würde ich dir vorschlagen, da auch der Inhalt und das Thema ziemlich abgegriffen sind und öde - Schwesterchen und Brüderchen planschen zusammen in einer Badewanne, dürfen es irgendwann nicht mehr und dann wird Brüderchen erwachsen, hat eine Freundin usw. Ne, das sind Dinge, die öden schon grundsätzlich an, weil sie so vorhersehbar und langweilig sind, tut mir leid - da gibt es Milliarden spannendere Sachen, über die man schreiben kann.

Vom Stil her verbessern kannst du dich vor allem, indem du mal Struppis Leitfaden zur Kunst des Weglassens durchliest. An vielen Stellen bevormundest du den Leser, indem du Dinge erzählst, die man sich auch denken kann oder die schonmal gesagt wurden. Oder du erzählst überflüssige Dinge, wie z.B. wo die ihre Luftmatratze gekauft haben, dass die Mutter Und dann kam Polly guckt oder ähnliches - viele Beispiele dafür findest du in den Details unten.

Zum Titel findest du auch einen Hinweis in den Details - das Französische geht auf jeden Fall gar nicht und passt auch gar nicht zum Erzählton, geschweige denn zur Geschichte (die machen Urlaub in Italien, nicht in Frankreich ;) ). Auch dazu hat Struppi einen Leitfaden geschrieben, den du dir vielleicht mal anschauen kannst in einer ruhigen Minute.

Ansonsten sieht man dem Text zwar schon an, dass das nicht deine erste Geschichte ist, weil du irgendwie einen Ton so lange durchhalten kannst, aber tut mir leid, es ist trotzdem nichts geworden - vielleicht aber war es trotzdem lehrreich für dich als Experiment oder so.

Liebe Grüße,

Smilodon

PS: Hier noch eine Reihe von Kleinigkeiten, ich hab sie als PDF hochgeladen, das war einfacher als das alles hier reinzufummeln:
<!-- l <a class="postlink-local" href="http://www.literatur-forum.info/temp/Korrektur-Lamercestca.pdf">temp/Korrektur-Lamercestca.pdf<!-- l

PPS: Noch was: Die Luftmatratzenmetapher ist ziemlich platt, wenn das tatsächlich auf die beginnende sexuelle Reife Markos anspielen sollen, dass er in eine "rote" Luftmatratze mit einem Ast "hineinsticht".... ich bitte dich... ansonsten ist die Luftmatratengeschichte aber zusammenhangslos in der Geschichte, kannst sie genauso gut auch weglassen. Wie so vieles andere auch.
Menneskets hjertes tanke er ond fra barndommen av.
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Re: La mer c'est ca que Le ciel pleut.

Beitragvon schmirgelpapier » Di 24 Feb, 2009 17:01


Hallo Smilodon,

danke dir vorweg für die Auseinandersetzung mit dem Text. Auch für die PDF-Datei.

Über das Brüderchen-Schwesterchen-Beziehungskistchen ging es im Grunde auch gar nicht, wenn, dann war es nur liebe Verpackun rundherum, weil das Mädchen es als wichtig empfindet. Bedeutend war eher der Vater, etc.

Ad Weglassen: Ich weiß, ich weiß. Eines meiner größten Probleme, nach dieser Sache mit dem "So würde niemand reden".

Das Französische ist mir egal, allerdings war es mir vorübergehend lieber als "Das Meer" oder "Marko" oder wasweißdennich und ein passender Titel fiel mir noch nicht ein ;) .

Ein Experiment war es sicherlich für mich. Wie so vieles.

Und eine mehr-oder-weniger-Version, zumindest das, was so geändert werden konnte, wurde erstellt.

Grüße,
Schmirgelpapier
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Re: Marko

Beitragvon SabineK63 » Mi 27 Jan, 2010 16:01


Hallo Schmirgelpapier,

bei Deiner Geschichte bin ich anderer Meinung als meine Vorredner. Sie hat mich mit ihrer leichten Erzählweise gefesselt, die harte Wirklichkeit hinter der scheinbaren kindlichen Idylle verborgen. Mit dem zweiten Absatz hast Du mich in die Kindperspektive hinein gezogen. Von Qual keine Rede, für mich gelungen. Ein paar kleinere Sachen sind mir beim Lesen aufgefallen, mal sehen, ob ich sie noch zusammen bekomme:
Die Tapetenfarbe ist über dem Waschbecken ein kleines Stück breit am kräftigsten.
Der Satz irritiert mich ein wenig. Ich weiß zwar, was gemeint ist, aber "ein kleines Stück breit" klingt für mich umständlich. Kann aber sein, dass mir das beim nächsten Lesen gerade gefällt.
frage ich sie, wieso Marko nicht mehr mit mir zusammen badet.
In der Satzstellung ist es indirekte Rede, da wäre ein Konjunktiv angebracht.
Die Haut an den Fingerspitzen ist aufgeweicht und wellt sich; wenn ich den Daumen an den Zeigefinger reibe, fühlt es sich an, wie Mehl zwischen den Fingern.
Gefällt mir sehr gut. :)
Ich weigere mich so lange zu baden, bis der Meergeruch von selbst verflogen ist.
Wahrscheinlich meinst Du hier solange, in dem Sinn, dass sie sich lange weigert zu baden. Wenn Du es auseinander schreibst, weigert sie sich eine genügend lange Zeit in der Badewanne zu bleiben, bis der Geruch weg ist.
Im Badezimmer muss ich mich nicht mehr auf den Hocker stellen um die Tapete über dem Waschbecken berühren zu können, es reicht, mich auf die Zehenspitzen zu stellen, aber es ist einfach nicht das selbe (zusammen) Gefühl.
Gefällt mir gut als Zeichen fürs älter werden.
Du warst ihr Baby, sagt er, er hat dich angefasst und jetzt ist er weg.
Das kam mir doch etwas unvermittelt, vorher taucht "er" nicht auf, und jetzt ist er weg und der Täter. Das könnte schon vor langer Zeit passiert sein, oder gerade im letzten Jahr. Aber wann hat es dann die Mutter bemerkt? Trotzdem, auch wenn es unvermittelt kommt, scheint es in die Atmosphäre zu passen. Ist also vielleicht nur ein Eindruck von mir, den Du ignorieren kannst.
Er hat sich auf ins Baumhaus im Garten verzogen.

Es gibt Essen, Marko (Komma?) rufe ich.

Verschwinde, sagt Mark
Mark mit Absicht?
Auch, wenn mir beinahe der Missbrauchsverdacht in der Geschichte zuviel ist, weil die Geschwisterbeziehung mir genug Entwicklung hinein bringt, habe ich Deinen Text sehr gern gelesen.

Lieben Gruß
Sabine
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