Geschichten rund um Liebe, Familie oder Freundschaft

Einfach weg

Beitragvon Jeff101 » Do 13 Aug, 2009 19:44


Einfach weg



1.
Die große Wanduhr im Wohnzimmer schlug 3. Es war soweit. Er nahm seinen Rucksack. Gepackt und vorbereitet hatte er ihn schon seit einer langen Zeit. Immer und immer wieder. Doch er kam nie dazu. Nun wusste er, die Zeit war gekommen. Er hatte sich erst vor 2 Stunden vergewissert, dass alles in seinem Rucksack drin war, was er brauchte. Oder brauchen könnte. Er schulterte die Tasche. Der rote Eastpak spannte sich über seinen schmalen Rücken. Er öffnete die Tür und schloss sie ganz leise hinter sich. Er wollte nicht, dass jemand wach wurde. Dann ging er die knarrende Treppe ganz leise hinunter. Sie knarrte nur einmal, ganz kurz. Er zog sich leise seine Schuhe an, lehnte den Rucksack noch einmal gegen die Wand im kleinen Flur. Dann zog er sich seine graue Sweatshirt Jacke über sein lilanes T-Shirt. Als er seinen Rucksack wieder über die Schultern zog, schaute er noch ein letztes Mal zurück, in die Küche, von der er in den Flur schauen konnte. Dann ging er. Schloss leise die hölzerne Haustür. Einfach so. Sagte nichts. Hatte nichts angekündigt, nie eine Andeutung gemacht. Er ließ nur die Worte „Einfach weg... hab Handy mit“ hinter sich, auf einem Zettel geschrieben, liegend auf dem Küchentisch. Es war Nacht. Eine warme Mitsommernacht. Vereinzelt konnte er die Sterne erkennen. Er sah den Mond. Obwohl der große Vollmond an kleinen Teilen von Wolken bedeckt war hatte er ihn noch nie so hell leuchten sehen. Er ging die lange Straße entlang. Links und rechts von der Straße waren Einfamilienhäuser, typische Häuser der 1910er. Keins war besonders gepflegt, aber es sah auch keines wirklich schrömmelig aus. Die Parkplätze vor den Häusern, neben den Gehwegen wurden von Jahre alten Bäumen getrennt. In der ganzen Straße brannte nur noch in einem Fenster das Licht. Er stellte sich drunter und holte sein Handy aus seiner schwarz-grau karierten Hose, die ihm bis unter die Knie ging.


2.
Er rief Sophie an. Ließ nur ganz kurz klingeln. Sie schaute aus dem Fenster auf ihn hinab. Verschwand wieder. Die Tür öffnete sich. Sie lehnte sie an. Beide gingen ohne ein Wort in den großen, gepflegten Garten. Sie legten sich auf den Rücken ins Gras. Man konnte die Sterne schon besser sehen, die Wolken hatten sich verzogen. Es dauerte ein paar Minuten, dann begann Sophie das Gespräch. „Chris?“ Chris gab ihr mit einem aufmerksamen Seufzer zu verstehen, dass er ihr zuhörte. „Chris“ - eine kurze Pause trat ein. Sie drehte sich zu ihm, legte ihre Hand auf seine Brust, konnte sein Herz spüren. Es schlug schneller als gewöhnlich. Er war nervös. Sie wusste es. „Ich will nicht, dass du gehst. Das kannst du mir doch nicht antun. Du bist das Einzige, was mich noch hier hält.“ „Aber ich muss einfach“, gab er leise zurück. Er konnte ihr nicht in die Augen schauen, sah immer noch in die Sterne. „Wieso? Du kannst doch hier bleiben. Bei dir ist doch alles perfekt. Ich hab doch ständig Streit mit meinen Eltern, nicht du.“ So flehend hatte Chris Sophie noch nie gehört. Er griff ihre Hand. „Dann komm doch mit.“ Er drehte sich zu ihr. Schaute ihr in die tief-blauen Augen, die er nur durch die hell leuchtende Fackel hinter ihnen erkennen konnte. Er sah Tränen in ihren Augen glitzern. Er strich mit seiner rechten Hand über ihre Wange, über ihr Kinn und schließlich über ihre schmalen Lippen. „Ich kann doch nicht einfach mitkommen. Du weißt was meine Eltern mit mir machen würden. Ich dürfte es nie.“ „Sie müssen es ja nicht erfahren“, er lächelte sie verschmitzt an. Sophie hatte strenge Eltern, das wusste er. Aber sie kümmerten sich wenigstens um sie. Das war das, was ihm bei seinen Eltern so sehr fehlte. Er durfte alles, es interessierte niemanden, was er tat. Chris Hand verharrte in Sophies Nacken, unter ihren langen, blonden Haaren. „Siehst du.“ Chris machte eine kurze Pause, suchte nach den richtigen Worten. „Du kannst nicht weg und ich muss. Ich kann doch nichts dafür. Ich halte es hier einfach nicht mehr aus. Ich muss hier einfach weg. Ich muss einfach meine Ruhe haben vor meinen Eltern, vor meiner Schwester.“ Chris’ Schwester war 18 und damit 3 Jahre älter als Chris. Sie war eingebildet, arrogant und schrieb nur gute Noten. Sie machte das Abitur und war das völlige Gegenteil von Chris. „Ich brauch’ halt Ruhe vor meiner ganzen Familie. Die einzige Person,, die ich bei mir haben will bist du. Aber du kannst nicht mitkommen, also muss ich alleine gehen.“ „Ich will aber mit.“ „Dann komm doch auch mit. Dann denk doch einmal nicht daran, was passieren könnte, wenn du weg bist. Machs einfach. Denk nicht an deine Eltern. Denk nur an dich. Und mich. An uns. Ans ‚Wir’. Ich versteh dich manchmal echt nicht.“ „Ich denke immer ans ‚wir’. Aber manchmal muss ich einfach gucken, was meine Eltern dazu sagen würden. Und wenn ich wieder nach Hause komme darf ich dich bestimmt nie wieder sehen. Dann krieg’ ich solchen Ärger. Sie werden außerdem mit der Polizei nach mir suchen lassen, ich kann hier nicht einfach verschwinden.“ „Ich schon. Und ich glaube, jetzt grade ist der richtige Augenblick.“ Chris war sauer, er verstand ihre Einstellung nicht. Er wollte aufstehen, doch sie hielt ihn fest. Sie legte sich auf ihn. Küsste ihn. Sie küssten sich fast die ganze Nacht durch. Es war bestimmt schon nach 5, als Sophie von ihm abließ. „Wie schaffe ich, dass du bleibst?“ „Gar nicht, aber du könntest mitkommen.“ Sophie kuschelte sich an Chris’ Brust. Sie schwieg lange. Chris schaute in die Sterne und dachte nach. Er fragte sich, warum er das alles machte, aber fand darauf keine Antwort. Er wusste nicht einmal wohin er wollte. Aber er wusste, er würde es heraus finden. Er hatte achthundertfünfzig Euro auf seinem Konto und wollte immer schon nach Berlin. Zur Not hatte er noch die Kreditkarte von seinem Vater. Er hatte drei oder vier Stück, da würde er schon nicht merken, wenn eine fehlte, dachte Chris. Eine Sternschnuppe. ‚Ich wünsche mir, dass Sophie mitkommen kann, wo auch immer es hingehen soll’, dachte er. Im gleichem Moment fragte Sophie: „Wo willst du eigentlich hin?“ Ihre Stimme war leise und nachdenklich. Sie war traurig, wusste, er würde wirklich gehen. Er schaute sie an. „Ich wollte immer schon mal nach Berlin.“ „Berlin also? Aber du musst mir versprechen, dass du mich jeden Tag anrufst und mir auf jeden Fall eine Karte schreibst.“ „Wenn’s mehr nicht ist. Ich könnte dich auch mitnehmen.“ Sie lachte leise. Es war ein trauriges Lachen. Beide wussten, dass sich hier ihre Wege trennten. Aber sie wussten auch, dass es höchstens vier Wochen sein konnten. Dann fing die Schule wieder an. „Ich glaub ich muss langsam mal los“, sagte Chris mit einem Blick auf seine Uhr. Er wollte mit dem Bus zum Duisburger Hauptbahnhof fahren. Von dort aus würde er sich ein Ticket nach Berlin kaufen.
Beide standen auf. Sophie begleitet ihn wortlos bis zur Bushaltestelle. Als der Bus dann endlich kam, umarmten sich beide zum Abschied. Sie küssten sich. Die Zeit schien still zu stehen. Der Bus hielt neben ihnen, sie hörten die Tür aufgehen. „Ich liebe dich“, flüsterte Chris leise, drehte sich um und stieg in den Bus.



3.
Der Bus war komplett leer, bis auf Chris und den Busfahrer. Chris hatte sich nach ganz hinten gesetzt und seine schwarze Basecap tief ins Gesicht gezogen. Er wollte nicht, dass jemand sah, dass er weinte. Er weinte nicht, weil er sich von seiner Familie verabschiedet hatte, er weinte nicht, weil er wusste, dass er Ärger kriegen würde, er weinte nicht, weil er nur so eine kurze Zeit mit Sophie hatte, er weinte, weil er sie liebte. Er vermisste sie, jetzt wo er sie nicht sehen konnte. Und er wusste nicht, wann er wieder kam, ob er zu Schulbeginn wieder da war. Dann würde er den Anfang der 10. Klasse verpassen, aber das war ihm egal. Er wollte nur bei Sophie sein.
Er hörte auf zu weinen, wischte seine Tränen weg. Er stand auf und ging nach vorne, setzte sich auf den Platz schräg hinter dem Fahrer.
„Darf ich Sie mal was fragen?“ „Hast du bereits. Aber du darfst ruhig noch eine Frage stellen.“ Der pummelige Busfahrer mit seiner Fliegersonnenbrille schien netter zu sein, als er aussah. „Okay. Waren Sie schon einmal im Begriff einen riesigen Fehler zu tun? Sie wussten genau, es war ein Fehler aber waren sich auch sicher, dass Sie es einfach durch machen mussten?“ „Genau genommen, waren das jetzt zwei Fragen, Kleiner“ Er machte eine Pause. Der Bus kam an einer Ampel zu stehen. „Es geht um deine Freundin, richtig?“ „Ja, kann man so sagen.“ „Gut. Ja, ich hab schon mal einen großen Fehler gemacht, bei der Liebe meines Lebens. Ich bin – bildlich gesprochen – vor ihr weg gelaufen. Ich suchte nach meiner eigenen Identität, obwohl ich eigentlich wusste, wer ich war. Ich hatte meine Identität quasi...“, der Busfahrer macht eine nachdenkliche Pause, „ich hatte sie verlegt, verstehst du was ich dir sagen will?“ „Um ehrlich zu sein, nein, ich weiß nicht, was Sie meinen. Oh, wir sind ja schon am Bahnhof. Hier muss ich raus.“ „Okay, dann bleibt keine Zeit es dir zu erklären. Ich will dir aber eins mit auf den Weg geben: Wer auch immer du bist, das weißt nur du ganz allein. Du brauchst keine Reise um dein wahres Ich zu finden, es lauert in dir drin, du musst es nur finden.“ „Ich weiß nicht ganz, was ich darauf antworten soll, aber danke. Tschüss.“ Chris stieg aus dem Bus und ging in den Bahnhof. Er stellte sich ans Terminal um sich ein Bahnticket zu kaufen. „Einmal nach Berlin Hauptbahnhof, bitte.“ „Berlin? Dahin haben wir heute keine Tickets mehr.“ „Oh.. äh..“ Chris war geschockt. „Wohin fährt denn der Zug, der als nächstes fährt?“ „Der? In 5 Minuten fährt ein ICE nach Fehmarn. Wie wär’s damit?“ Chris überlegte. Fehmarn und Berlin war ja schon ein ziemlicher Unterschied. „Okay, dann nehm ich den.“ Chris bezahlte und musste sich ziemlich beeilen um noch pünktlich den Zug zu erwischen.

4.
Es war das erste Mal, dass Chris froh war, dass die Züge immer mit Verspätung kamen. Chris stieg ein. Er musste erst einmal seinen Platz suchen. Als er ihn gefunden hatte, war er froh, dass er endlich sitzen konnte, dazu noch am Fenster. Die Gegend schoss förmlich an dem Zug vorbei. Chris schaute sich in seinem Wagon um. Er war fast leer. Es saßen nur 5 andere Leute drin, aber Chris schaute sie sich nicht genauer an. Er sah auf die Uhr. Es würde noch ein paar Stunden dauern, bis er auf Fehmarn, seinem plötzlichem Ziel, ankam. Er machte die Augen zu und versuchte zu schlafen. Doch er konnte nicht, er musste immerzu an Sophie denken. An ihre Stimme, ihre blauen Augen, die langen wunderschönen Haare, die langen Beine. Einfach an alles, vor allem an die Zeit, die sie miteinander verbracht hatten.

Der ICE hielt und Chris wachte auf. Er war wohl doch eingeschlafen. Aber er war noch nicht an seinem Ziel, das dauerte noch ungefähr eine Stunde. Ein älterer Mann stieg zu ihm ins Abteil. Er hatte graue kurze Haare und trug eine Brille. Er hatte einen beige-braun-rot karierten Anzug an. Chris fand es sah lustig aus, doch er lachte nicht. Er hatte Respekt vor älteren Leuten, und dieser Herr schien schon über achtzig zu sein. Er setzte sich ihm gegenüber und hatte, genauso wie Chris, nur einen Rucksack bei sich. Chris schaute aus dem Fenster. Da sprach er ihn an. „Wohin soll’s denn gehen?“ „Eigentlich wollte ich nach Berlin. Aber jetzt fahr ich nach Fehmarn. Und Sie?“ „Ich mache auch eine kleine Reise nach Fehmarn.“ Eine kurze Pause trat ein, in der der Mann Chris sehr genau musterte. „Was macht eine so junge Person ganz alleine auf dem Weg nach Fehmarn, sollte da jemand bei sein?“ „Ja, doch. Eigentlich schon. Aber meine Eltern wissen hier nichts von.“ Chris wurde rot. „Jedenfalls noch nicht. Sie wären sowieso nicht mitgekommen. Da musste ich auf eigene Faust fahren.“ „Ich hätte früher ja schon großen Ärger gekriegt, hätte ich so was gemacht.“ „Den werde ich auch kriegen. Glaube ich jedenfalls“, Chris machte eine kurze Pause. „Ich glaube manchmal, meine Eltern interessiert es nicht so ganz, was ich tue. Ich kann machen was ich will. Es kommt nie ein ‚hast du gut gemacht, Chris’ oder ein ‚nein, das geht so nicht Chris, da muss sich was verändern’ oder irgendwas. Sie beachten mich einfach nicht.“ „Chris heißt du also? Darf ich dich auch so nennen?“ Chris nickte. „Okay, Chris. Ich bin Manni. Ich will dir mal eins sagen. Es ist doch nicht wichtig, ob sie was gut oder schlecht finden. Versuch doch einfach deine Sache durchzuziehen, es ihnen einmal richtig zu zeigen. Und wenn das nicht funktioniert.. hast du ja immer noch deine Freunde, von denen du die nötige Annerkennung und Beachtung schon kriegen wirst. Hast du eine Freundin?“ Chris nickte wieder. „Du hast eine Freundin und fährst ganz alleine weg? Wieso? Wo ist sie? Warum ist sie nicht mitgekommen?“ „Ach.. ich weiß auch nicht. Sie darf nicht, sie hat Angst Ärger von ihren Eltern zu bekommen. Ihre Eltern sind streng. Genau das Gegenteil von meinen Eltern.“ „Fehlt sie dir denn nicht?“ „Doch. Aber“, Chris überlegte nach der richtigen Formulierung und schaute kurz aus dem Fenster. Der alte Mann, Manni, musterte ihn nachdenklich und beendete für Chris den Satz. „Aber du musst es einfach tun.“ „Ja, kann man so sagen. Verstehen Sie“ „Bitte, sag ‚du’ zu mir.“ Chris wurde rot. „Okay. Äh.. verstehst du.. ich brauch’ einfach mal die Zeit für mich um überhaupt zu wissen wer ich bin.“ „Wie heißt deine Freundin?“ „Sophie“, sagte Chris mit einem Lächeln auf dem Gesicht. „Du bist Sophies Freund, so viel steht schon einmal fest. Was willst du denn da herausfinden?“ „Aber ich bin doch immer noch eine andere Person. Mit vielen Eigenschaften. Mit Talenten. Mit Fähigkeiten.“ Manni unterbrach ihn. „Genau. Du bist du. Denk mal drüber nach.“ Chris musste an den Busfahrer denken ‚Du brauchst keine Reise um dein wahres Ich zu finden, es lauert in dir drin, du musst es nur finden.’ Langsam wusste er, was der Busfahrer meinte, was Manni meinte. Den Rest der Fahrt schwiegen die beiden. Manni fing an zu lesen. ‚Der kleine Prinz’, Chris hatte mal von dem Buch gehört. Es sollte gut sein, aber er hatte es noch nicht gelesen.


5.
Der Zug hielt und beide stiegen aus. „Hier trennen sich wohl unsere Wege“, Manni reichte Chris die Hand. „Danke. Für Ihre Worte.“ „Nichts zu danken, wofür ist man denn alt geworden, wenn nicht um anderen Tipps zu geben, was die Liebe angeht?“ Beide lachten und verabschiedeten sich. Chris kaufte sich zuallererst eine Karte der Stadt, in der er sich gerade befand. Er machte sich auf den Weg zur Jugendherberge, die auf der Karte empfohlen war. Es waren wunderschöne Straßen, über die er ging. Am Straßenrad waren Felder. Mal Mais, mal Gerste, mal Sonnenblumen. Hier und da zog Chris seinen Photoapparat und machte Photos, für Sophie. Er ging weiter. Vor der Jugendherberge stand ein Mädchen. Sie war groß, schmal und hatte lange blonde Haare. „Sophie?“ Chris legte seine Hand auf ihren Schulter. Da drehte das Mädchen sich um. Es war nicht Sophie. Chris hatte sich vertan. Er wurde rot. „Oh, tut mir Leid. Ich hab dich verwechselt mit jemandem, den ich...“


6.
Er drehte sich um. Er wusste was er zu tun hatte. Er ging zurück zum Bahnhof. Chris kaufte sich sofort ein Ticket nach Hause. Er rief Sophie nicht an, wie versprochen. Er wusste einfach nur, dass er sie sehen musste. Auf der langen Heimfahrt wurde er nervös. Er schaute aus dem Fenster. Dort sah er die gleiche Landschaft, die er auf der Hinfahrt gesehen hatte, nur dass es nun langsam dunkel wurde. Der Zug hielt mit quietschenden Bremsen in Duisburg. Chris setzte sich in den nächsten Bus, der in seine Richtung fuhr. Als er einstieg, bemerkte er, es war der gleiche Busfahrer wie am Morgen. „Guten Tag, schon wieder zurück?“ „Ja, ich habe verstanden, was Sie meinten. Ich muss einfach nur noch meine Freundin sehen. Ich vermisse sie einfach.“ „Also weißt du, wer du bist?“ „Ich bin ich“, antworte Chris mit einem Lächeln im Gesicht, das Manni, dem alten Mann, galt. „Genau. So, Endstation, jedenfalls für dich.“ Der Busfahrer zwinkerte ihm zu. Chris ging in Richtung von Sophies Haus. Als er davor angekommen war, stellte er sich unter ihr Fenster und holte sein Handy aus der Hosentasche. Er rief sie an. „Endlich, ich dachte du rufst mich nie an.“ „Das ist ja eine sehr nette Begrüßung, mein Schatz.“ „Aber ich hab Recht“, Sophie schien froh seine Stimme zu hören, „und? Wie ist es? In Berlin?“ „Keine Ahnung. Aber ich weiß, wie es ist endlich zu Hause zu sein.“ Bei diesen Worten schaute Sophie aus dem Fenster. Sie konnte ihre Freude nicht verbergen und kreischte. Ihr Handy fiel aus dem Fenster, zum Glück fing Chris es auf. Sophie kam die Treppe herunter gerannt, aus dem ersten Stock, in dem ihr Zimmer war. Sie öffnete die Tür und sprang die 5 Stufen runter. Sie umarmte Chris, als wolle sie ihn nie mehr los lassen. Sie wollte es auch nicht. Beide küssten sich. Es schien, als ob die Zeit sehr langsam verging, als ob alles in Zeitlupe geschah. Sie gingen, nach dieser innigen Begrüßung, wieder in den Garten. „Warum bist du wieder hier?“ „Ich fühlte mich nur zur Hälfte anwesend, die andere Hälfte habe ich hier gelassen. Das soll nie wieder so sein.“


_________________________________________________
Es ist meine erste Geschichte, die ich hier veröffentliche, daher bin ich mir nicht sicher, ob es der richtige Bereich ist. Wenn nicht, bitte verschieben.

Ich bitte um konstruktive Kritik, mit der man wirklich was anfangen kann. Danke :)

Gruß, Jeff101
Jeff101
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Re: Einfach weg

Beitragvon Struppigel » Fr 14 Aug, 2009 11:04


Hallo Jeff,

ich kenne Dich noch nicht, darum ein herzliches Willkommen in unserem Forum!
Nun zu Deiner Geschichte:
Mir fällt sehr positiv Deine gute Rechtschreibung auf. Eigentlich sollte sie selbstverständlich sein, aber in Foren sind vor Fehlern wimmelnde Texte leider nicht so selten. Es gibt jedoch Ungenauigkeiten bei der Sprache, dazu später mehr.

Ein formaler Aspekt: Zahlen bis einschließlich Zwölf sollte man in Geschichten ausschreiben. Also erst vor zwei Stunden und Chris’ Schwester war 18 und damit drei Jahre älter als Chris. Dagegen wäre das Ausschreiben bei Er hatte achthundertfünfzig Euro auf seinem Konto nicht nötig gewesen.
Die Gründe für diese Festlegung sind vermutlich die gleichen, weshalb Abkürzungen wie bspw oder usw in literarischen Texten nicht verwendet werden sollten. Es gilt als unhöflich und wirkt faul.

Erster Abschnitt:
Gepackt und vorbereitet hatte er ihn schon seit einer langen Zeit. Immer und immer wieder. Doch er kam nie dazu.
Das ist so eine sprachliche Ungenauigkeit. Es geht nur eins. Entweder hat er den Rucksack vor einer langen Zeit gepackt und bis heute nicht mehr angerührt oder er hat ihn immer wieder gepackt. Du meinst vermutlich: Er hat schon vor einer langen Zeit damit begonnen, ihn immer wieder zu packen.
Doch er kam nie dazu. ist in der falschen Zeitform. Er war nie dazu gekommen. muss es heißen.

Der rote Eastpak spannte sich über seinen schmalen Rücken.
Warum spannt der Rucksack, wenn der Rücken schmal ist?

Er öffnete die Tür und schloss sie ganz leise hinter sich. Er wollte nicht, dass jemand wach wurde. Dann ging er die knarrende Treppe ganz leise hinunter. Sie knarrte nur einmal, ganz kurz. Er zog sich leise seine Schuhe an, lehnte den Rucksack noch einmal gegen die Wand im kleinen Flur. Dann zog er sich seine graue Sweatshirt Jacke über sein lilanes T-Shirt. Als er seinen Rucksack wieder über die Schultern zog, schaute er noch ein letztes Mal zurück, in die Küche, von der er in den Flur schauen konnte. Dann ging er. Schloss leise die hölzerne Haustür.
Das sind eindeutig zu viele Erwähnungen des Wörtchens "leise". Das ist in der Häufigkeit inhaltlich unnötig und zudem sprachlich unschön. Ich schlage also vor, Synonyme oder Umschreibungen zu nutzen und das an vielen Stellen einfach ganz wegzulassen. Der Leser kann sich denken, dass der Protagonist nach drei Metern nicht plötzlich laut zu stampfen anfängt. Ein Beispiel: "Dann ging er die knarrende Treppe vorsichtig hinunter."
Ebenfalls mehrfach: zog und knarrende/knarrte
Es heißt außerdem lila T-Shirt. Folgender Link wird das besser erklären als ich das vermag: Link

Dann ging er. Schloss leise die hölzerne Haustür.
Warum ein Punkt? Das ist eine Aufzählung.

Obwohl der große Vollmond an kleinen Teilen von Wolken bedeckt war Komma hatte er ihn noch nie so hell leuchten sehen.

holte sein Handy aus seiner schwarz-grau karierten Hose, die ihm bis unter die Knie ging
Der Relativsatz hebt die Information, dass die Hose ihm bis unter die Knie geht, unnötig stark hervor. Das ist keine wichtige Information, sondern Beiwerk.

Zweiter Abschnitt:

Sie schaute aus dem Fenster auf ihn hinab
herab
Grund: Es ist aus der Sicht des Untenstehenden geschrieben.

Ich muss einfach meine Ruhe haben vor meinen Eltern
Da sich die Eltern nicht um ihn kümmern, verstehe ich diese Begründung nicht. Er müsste doch schon genug (zu viel) Ruhe vor ihnen haben.

Sie war traurig, wusste, er würde wirklich gehen. [...]
Beide wussten, dass sich hier ihre Wege trennten.

Unnötige, redundante Information

Chris war sauer, er verstand ihre Einstellung nicht.
Als Leser versteht man hier nicht, warum Chris ihre Argumente ignoriert. Wie steht er zu diesen Argumenten? Hat er Gegenüberlegungen? Glaubt er, dass seine Freundin Blödsinn erzählt und die Eltern nicht die Polizei rufen und ihr den Umgang mit ihm verbieten werden?
Vielleicht soll er aber auch naiv, egoistisch und unvernünftig wirken. Nur ist das denkbar ungünstig für eine Hauptfigur, die bisher nicht mit liebenswerten Eigenschaften gegenhalten kann (vorallem das egoistisch - die anderen Eigenschaften sind angesichts der Selbstfindungsgeschichte und des jungen Alters von Chris sehr gut vertretbar und offenbar sogar notwendig).

Du weißt Komma was meine Eltern mit mir machen würden. [...]
Die einzige Person,, ein Komma zu viel die ich bei mir haben will Komma bist du [...]
Und wenn ich wieder nach Hause komme Komma darf ich dich bestimmt nie wieder sehen.[...]
Ich glaub Komma ich muss langsam mal los


Zur Not hatte er noch die Kreditkarte von seinem Vater. Er hatte drei oder vier Stück, da würde er schon nicht merken, wenn eine fehlte, dachte Chris.
Es ist grammatisch nicht deutlich, zu wem hier welches "er" gehört.

Allgemeines:
So, die ersten beiden Abschnitte müssen Dir vorerst genügen. Evtl. schreibe ich später mehr zu den anderen (kommt auch darauf an, ob Du das überhaupt willst). Nun aber zum Inhalt und der Geschichte insgesamt. Du schreibst über einen Jugendlichen, der sich mittels einer Reise selbst finden möchte. So weit so gut. Nun fällt aber auf, dass die Reisevorbereitung und Diskussion mit der Freundin darüber wesentlich mehr Aufmerksamkeit bekommt als die Reise selbst. Das ist ein Ungleichgewicht, das so nicht bestehen sollte. Die Erkenntnis kommt zu plötzlich. Die Begegnungen auf der Reise wirken außerdem viel zu konstruiert, die Belehrungen und wichtigen Aussagen zu deutlich. Hier gibt es für den Leser kein Überraschungsmoment, denn schon mit dem Satz "Du brauchst keine Reise um dein wahres Ich zu finden", kann man sich den Rest denken. Da passiert nichts Interessantes mehr.
Mein Vorschlag: Bau die Reise noch weiter aus und schmücke sie vorallem mit Begebenheiten, die oberflächlich nichts mit der Selbstfindung zu tun haben scheinen. Gib dem Busfahrer und dem alten Mann noch eigene Geschichten mit. Sie haben schließlich Erfahrungen gemacht, die es ihnen erst ermöglicht, Chris mit klugen Ratschlägen und Weisheiten zu versorgen. Die Geschichten sollten aber der Reise von Chris nicht zu sehr ähneln.

Dein Nachspann ist an sich auch unnötig, da er nicht Unerwartetes mehr bringt. An der Stelle: Chris kaufte sich sofort ein Ticket nach Hause. ist alles Wichtige gesagt. Hier könnte schon abgebrochen werden.

Viele Grüße
Struppi
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Re: Einfach weg

Beitragvon Jeff101 » Fr 14 Aug, 2009 12:01


Ersteinmal sehr vielen lieben Dank. Damit kann ich gut was anfangen :) .

Wenn du Lust und Zeit hast, kannst du gerne noch was zu den anderen Abschnitten schreiben.

Ich werde mich dann wohl im Laufe der Zeit mal daran machen, die Geschichte zu überarbeiten. Vorallem werde ich versuchen deine Tipps was die Reise und die Gespräche angeht einzubauen, danke dafür.

Liebe Grüße, Jeff101
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Re: Einfach weg

Beitragvon Struppigel » Fr 14 Aug, 2009 13:37


Hallo Jeff,

in Ordnung, dann gebe ich auch meinen Senf zu den anderen Abschnitten, da Du offenbar doch zu jenen gehörst, die damit auch etwas anfangen können und wollen.

Dritter Abschnitt:

Die Wiederholung von "er weinte nicht, weil" finde ich hier übrigens legitim. Das ist als Stilmittel erkennbar.

Er vermisste sie, jetzt wo er sie nicht sehen konnte.
Besser "da" als "wo" schreiben, denn "wo" bezieht sich auf einen Ort. Um den Ort geht es hier jedoch nicht.

Und er wusste nicht, wann er wieder kam, ob er zu Schulbeginn wieder da war
Und er wusste nicht, wann er wiederkommen würde, ob er zu Schulbeginn wieder da wäre.

Und er wusste nicht, wann er wieder kam, ob er zu Schulbeginn wieder da war. Dann würde er den Anfang der 10. Klasse verpassen
Den würde er verpassen, wenn er nicht zu Schulbeginn wieder da wäre. Zuvor steht aber, "wenn er wieder da wäre". Dein folgender Satz bezieht sich also auf die bejahte Aussage und bedeutet: "Wenn er wieder da wäre, würde er den Anfang der 10. Klasse verpassen", was inhaltlich nicht so gemeint gewesen sein kann.

„Darf ich Sie mal was fragen?“ „Hast du bereits. Aber du darfst ruhig noch eine Frage stellen.“ Der pummelige Busfahrer mit seiner Fliegersonnenbrille schien netter zu sein, als er aussah.
Ist das Ironie? Das "Hast du bereits" ist eine krümelkackerische, freche Antwort - sicherlich mit einem Augenzwinkern gemeint; aber nett? Die Schlussfolgerung, der Busfahrer scheine netter als er aus aussähe, hat hier wenig Sinn.
Nebenbei bemerkt finde ich es sehr gut, den Busfahrer über solche verschmitzten Antworten gleich zu charakterisieren. Das ist das, was man mit dem Satz "Show, Don't tell!" meint. Vielleicht hast Du davon schonmal gehört.

„Es geht um deine Freundin, richtig?“
Wie kommt er darauf? Er könnte genauso gut vor seinen schrecklichen Eltern davonlaufen.

dass Sie es einfach durch machen mussten?
durchmachen

„Gut. Ja, ich hab schon mal einen großen Fehler gemacht, bei der Liebe meines Lebens. Ich bin – bildlich gesprochen – vor ihr weg gelaufen. Ich suchte nach meiner eigenen Identität, obwohl ich eigentlich wusste, wer ich war. Ich hatte meine Identität quasi...“
Deswegen erwähnte ich, dass die Geschichten der beiden Begegnungen nicht dieselben sein sollen wie die von Chris. Der Busfahrer erzählt genau das, was Chris gerade durchmacht und nichts anderes. Das wirkt so konstruiert daran. Schöner wäre doch, wir (die Leser) könnten diese Geschichte im Detail hören und auch die Unterschiede daran (denn in den Details müssen sie sich unterscheiden). Das Grobe kann trotzdem so bleiben, wie es jetzt ist - als übergeordnetes Ganzes, als Betrachtung desselben Problems in verschiedenen Situationen. Das Weglaufen soll ja auch "bildlich" (also nicht wörtlich) geschehen sein. Auf welche Art? Her mit den Details, die die Busfahrergeschichte individuell machen!

Chris bezahlte und musste sich ziemlich beeilen Komma um noch pünktlich den Zug zu erwischen

Vierter Abschnitt:

Chris stieg ein. Er musste erst einmal seinen Platz suchen.
ICE mit Platzreservierung? Unwahrscheinlich, da er sich doch zuvor so beeilen musste und sich spontan für die Kursänderung entschieden hatte.

Als er ihn gefunden hatte, war er froh, dass er endlich sitzen konnte
Warum? Hat er zuvor lange stehen müssen?

Chris schaute sich in seinem Wagon um.

Waggon

Es würde noch ein paar Stunden dauern, bis er auf Fehmarn, seinem plötzlichem Ziel, ankam.
Konjunktiv beibehalten - ankäme/ankommen würde. Das Ziel als plötzlich zu bezeichnen, kommt mir komisch vor. Die Umentscheidung für das Ziel war plötzlich, ein Gewitter kann plötzlich aufkommen, ebenso kann ein Unglück plötzlich sein oder irgendein Ereignis, aber ein Ziel?

Fünfter Abschnitt:

Vor der Jugendherberge stand ein Mädchen. Sie war groß, schmal und hatte lange blonde Haare. „Sophie?“ Chris legte seine Hand auf ihren Schulter. Da drehte das Mädchen sich um. Es war nicht Sophie. Chris hatte sich vertan. Er wurde rot. „Oh, tut mir Leid. Ich hab dich verwechselt mit jemandem, den ich...“
Diese Verwechslungsgeschichte ist mittlerweile schon Klischee.

Sechster Abschnitt:

Er wusste Komma was er zu tun hatte

Er schaute aus dem Fenster. Dort sah er die gleiche Landschaft, die er auf der Hinfahrt gesehen hatte
Ja klar, was soll er sonst sehen?

Als er einstieg, bemerkte er, es war der gleiche Busfahrer wie am Morgen.
Entweder schreibst Du Als er einstieg, bemerkte er: Es war der gleiche Busfahrer wie am Morgen oder Als er einstieg, bemerkte er, dass es der gleiche Busfahrer wie am Morgen war.
Letzteres würde ich bevorzugen. Klingt besser.

und? Wie ist es? In Berlin?“
Und

So, das war es schon.

Viele Grüße
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Re: Einfach weg

Beitragvon Jeff101 » Fr 14 Aug, 2009 16:56


Danke nocheinmal. Ich hab' die Geschichte jetzt schon mehreren Leuten (auch meinem Lehrer) gezeigt, aber nie ein so ausführliches Feedback und so eine gute Kritik bekommen. Vielen Dank.
Wenn noch jemand was dazu sagen möchte: ich hör gerne viele Meinungen und vorallem Tipps
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