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Geschichten rund um Liebe, Familie oder Freundschaft
von Mohnblume » Mo 17 Aug, 2009 20:45
Liebe Leute, ich weiß, ich hab mich noch nicht vorgestellt, was sich natürlich im Grunde nicht gehört. Ich verspreche, das nachzuholen, ehrlich. (Manche erinnern sich vielleicht noch vage an die Tigerente aus dem LyFo, aber da die Tigerente dort eine sehr stille war, zweifle ich etwas daran.) Vielleicht seid ihr trotzdem so lieb und seziert das folgende:
1. Sie wusste nicht, weshalb sie aufgewacht war. Vielleicht, weil es langsam kühl wurde. Sie spürte, wie die Nachtluft, die durchs geöffnete Fenster ins Zimmer drang, über ihren Körper strich, beinahe so zärtlich, wie man es von einem Liebhaber erwarten durfte. Sie lag am Rücken, betrachtete ihre Brüste. Eigentlich mochte sie sie; zwar waren sie nicht in dem Sinn prall und fest, aber man konnte sie trotz allem als üppig bezeichnen, üppig und weich. Ja, sie mochte sie. Und er wohl auch. Eine Weile lag sie still da, fragte sich, wie spät es wohl sei, konnte sich aber nicht entschließen, auf die Uhr neben dem Bett zu sehen. Draußen irgendwo fuhr ein Auto vorbei, man konnte das Rauschen hören, ebenso wie das leise Zirpen einer Grille, die sich offenbar in die Stadt verirrt hatte. Sie begann, sich zu streicheln und dachte dabei an seine Zunge.
2. Die Straße, die sie entlang liefen, war voller Menschen. Kinder in kurzen Hosen, die Eistüten in der Hand hielten, junge Frauen mit langen Beinen und kurzen Röcken, die genau wussten, wie sie auf die Männer wirkten, Hausfrauen mit Einkaufs-Taschen, Männer in Straßencafés. Überall bunte Farben, Sonnenbrillen und grelles Sonnenlicht. Es war heiß. Sie wusste nicht genau, wohin sie unterwegs waren, hielt aber ebenso tapfer wie entschlossen seine Hand fest und folgte ihm. Sie fühlte sich unbehaglich, ihre Kleidung, die sie gestern liebevoll für den heutigen Tag ausgewählt hatte, klebte an ihr und der Riemen ihrer Tasche rieb unangenehm auf der Haut; überall um sie herum waren Menschen. Als sie an einer Kreuzung standen, küsste sie ihn trotzdem auf die Wange und sagte leise ihr ich-liebe-dich zu ihm. Er legte seine Wange an ihre und schloss für einen Moment die Augen. Vielleicht verlässt er mich nicht, dachte sie, als die Ampel auf grün sprang und sie ihren Weg fortsetzten. Seine verschwitzte Hand wäre ihr beinahe entglitten, als er plötzlich zu einem Eissalon abbog.
3. Vor ein paar Stunden hatten sie miteinander geschlafen. Beide waren sie nach der Zeit ohne einander so hungrig, dass sie am liebsten ganz in den anderen hineingekrochen wären. Lust mischte sich mit Angst, dass diese Augenblicke irgendwann verloren sein würden. Sie spürte, dass ihre Haare im Nacken immer noch nicht ganz trocken waren. Jetzt war sie dabei, die Kleidungsstücke, die sie einander so gierig ausgezogen hatten, aufzusammeln und ordentlich über die Sessel zu hängen. Er schlief, das Gesicht der Wand zugewandt. Sie konnte ihn zwar nicht atmen hören (etwas, das sie nicht verstand und deshalb verunsicherte), aber im schwachen Licht der Straßenlaterne konnte sie erkennen, dass sich sein Körper gleichmäßig hob und wieder senkte. Wie jung er doch aussieht, wenn er schläft, ging es ihr durch den Kopf. So leise wie möglich legte sie sich zu ihm ins Bett, prüfte noch einmal, ob sie den Wecker gestellt hatte, überlegte kurz, ob sie auch wirklich alle Wäschestücke aufgehoben hatte und entschied, nicht zu riskieren, ihn durch einen Kuss zu wecken. Sie konnte ihn immer noch zwischen ihren Schenkeln spüren und vielleicht genügte das.
4. Er hat sie nicht verlassen.
5. Gereizt drehte sie sich zur Wand, aber sie wusste natürlich, dass sie aufzustehen hatte. Sie hörte, wie er im Bad zuerst die Spülung der Toilette zog und dann das Wasser in der Dusche aufdrehte. Sie fühlte sich widerlich, wollte nicht aufstehen und war deshalb trotzig wie ein kleines Kind; liegen zu bleiben erschien ihr aber fast ebenso unerträglich. Wie sehr sie diesen Zustand doch verabscheute, an solchen Tagen reizte sie einfach alles, jede Kleinigkeit. Was er auch tat, es war verkehrt, das spürte er und hatte deshalb aufgehört, sich weiter zu bemühen. Die kurze Fahrt zum Supermarkt war still. Sie versuchte ein Lächeln in seine Richtung, das er nicht zu bemerken schien, der Verkehr war wichtiger. Er schob den Einkaufswagen die Regale entlang, während sie die widerwillig geschriebene Liste durchging. Überall waren Leute im Weg - dumme Leute, die mitten im Gang verharrten und überlegten, was sie kaufen wollten, auch solche, die ihren Wagen gegen die Richtung steuerten, und natürlich kleine Kinder, denen langweilig war. Sie war verärgert, selbst das sterile Licht der Neon-Röhren, das ihr sonst nicht einmal auffiel, störte sie. Etwas zu automatisch griff er nach ihrer Lieblings-Schokolade, um sie zu den übrigen Sachen zu legen. Als sie zum Auto gingen, war sie völlig panisch.
6. Ja, wie eine Glaswand, dachte sie. Sie konnte sich zwar nicht mehr erinnern, wann ihr das eingefallen war, aber es war sehr treffend, soviel stand fest. Eine Wand aus Glas zwischen ihm und ihr. Grausamer konnte es ihrer Meinung nach kaum werden. Manchmal, wenn die Zeit gut war, standen sie beide so nahe am Glas, das es sich erwärmte; dann meinten sie, den anderen spüren, vielleicht sogar wieder fassen zu können. Aber das Glas bot keinen Halt, und wenn nur einer von beiden nahe genug stand, dauerte es beinahe eine kleine Ewigkeit, bis es warm wurde. Sie wusste nicht, weshalb, doch musste sie plötzlich an die Frau denken, die einmal im Zug für ihr Kind ein Schlaflied gesungen hatte. Sie war auf dem Weg nach Hause gewesen, weg von ihm, ihrem eigentlichen zu Hause. Es war, so weit konnte sie sich erinnern, ein bekanntes Lied gewesen, das das kleine Kind fast augenblicklich hatte einschlafen lassen. Jetzt aber konnte sie sich weder an den Text noch an die Melodie erinnern, nur an die braunen Locken der Frau, die im Nacken zusammengebunden waren.
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von Pio » Di 18 Aug, 2009 10:00
Morgen Mohnblume, In Bruchstücken zeigst du sehr anschaulich, mit viel Gefühl, ohne in Kitsch zu verfallen, wie eine Beziehung sich abnutzt und schließlich trotz aller Bemühungen zerbricht. Die Sprache finde ich angemessen, du setzt treffende Metaphern sparsam ein. - Sie lag am Rücken (auf dem Rücken?) - zwar waren sie nicht in dem Sinn prall ??? - dass sich sein Körper gleichmäßig hob (der ganze Körper hebt sich?) - Als sie zum Auto gingen, war sie völlig panisch. (panisch?) Manchmal, wenn die Zeit gut war, standen sie beide so nahe am Glas, das es sich erwärmte; dann meinten sie, den anderen spüren, vielleicht sogar wieder fassen zu können.
- finde ich gut formuliert Sie wusste nicht, weshalb, doch musste sie plötzlich an die Frau denken, die einmal im Zug für ihr Kind ein Schlaflied gesungen hatte.
- diesen Gedankensprung verstehe ich nicht Habe deine Geschichte gerne gelesen, konnte mich einfühlen. Wünsche dir einen schönen Tag. Pio
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von Struppigel » Mo 24 Aug, 2009 17:02
Hallo Mohnblume,
Tigerente sagt mir was. Ich bilde mir ein, Dich zu kennen.
Wie Du vielleicht schon gemerkt hast, habe ich Deine Geschichte nominiert. Das natürlich nicht ohne Grund. Ich finde, sie transportiert das zu vermittelnde Gefühl sehr gut. Sie macht mich beklommen, lässt mich mitfühlen. Inwiefern das eigene Anteile sind (aus geschmacklichen und persönlichen Gründen), kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall wirkt es.
Die doch sehr offen beschriebenen sexuellen Szenen haben mich überrascht. Anders als in Texten, die mit ihrer direkten Sprache provozieren, sehe ich hier auch Subtiles in der Sprache, welche diese Offenheit nicht erwarten ließ. Andererseits ist Hauptthema durchaus sehr deutlich - vielleicht sogar zu sehr.
Der erste Abschnitt beschreibt Untätigkeit und Kälterwerden im Realen und daneben Träumerei. Es verheißt schon da nichts Gutes, dass die Protagonistin sich außerstande sieht, etwas an ihrer Situation zu ändern. Sie bleibt einfach liegen, sogar unfähig auf die Uhr zu schauen und erträumt sich, was sie gern hätte.
Den zweiten Abschnitt kann man als Lebensweg betrachten, den sie gemeinsam mit ihrem Freund beschritten hat. Hervorstechend ist das unangenehme Gefühl wegen der Hitze und der Menschen und die Angst, den Freund zu verlieren.
Im dritten wirkt es so, als stecke sie ihrem Freund zu liebe viel zurück. Auch die Verlustangst ist wieder da - diesmal als Angst vor dem Tod des Partners - atmet er noch? Insgesamt wirkt der Abschnitt trotz einer objektiv postiven Entwicklung nicht fröhlich, im Gegenteil. Der Partner hat sich der Wand zugedreht und sie wirkt sehr melancholisch und ängstlich.
Im vierten Abschnitt könnte man meinen, dass alles gut werde. Aber schon mit dem fünften wird diese Hoffnung zerschlagen. Sie haben sich zwar nicht getrennt, aber trotzdem scheint die Beziehung tot zu sein. Wieder fällt auf, dass die vielen Menschen die Protagonistin nerven. Natürlich ist sie von allem genervt und unzufrieden. Man fragt sich warum, da sie doch alles erreicht hat - objektiv gesehen.
Das Bild im sechsten Abschnitt mit der Glaswand gefällt mir sehr gut. Die Frau mit dem Schlaflied kann ich noch nicht vollständig einordnen. Die Protagonistin fühlt sich ungeliebt, möchte diese Wärme, die von der Mutter mit dem Schlaflied ausgeht, vielleicht selbst wieder spüren. Außerdem scheint sie Ruhe und Geborgenheit zu suchen, nachdem immer wieder Menschenmassen so auf ihr Gemüt geschlagen haben (ich sehe sie als Unruhe im Leben, wenig Erholung, viel Stress). Möglicherweise hat sie sich still und heimlich zu sehr für ihren Partner zuliebe verausgabt, der immer den Weg bestimmt und Entscheidungen getroffen hat. Insgeheim ist sie ihm vielleicht böse, weil er ihre heimliche Aufopferung nicht anerkennt (gar nicht anerkennen kann).
zwar waren sie nicht in dem Sinn prall und fest, In welchem Sinn? Das ist sehr schwammig ausgedrückt.
Sie wusste nicht, weshalb, doch musste sie plötzlich an die Frau denken, die einmal im Zug für ihr Kind ein Schlaflied gesungen hatte. Sie war auf dem Weg nach Hause gewesen, weg von ihm, ihrem eigentlichen zu Hause. Zuerst glaubt man hier, es sei die Frau mit dem Schlaflied gemeint. Die Stelle ist undeindeutig.
Liebe Grüße Struppi
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von Mohnblume » Mo 24 Aug, 2009 20:50
Rio und Struppigel, merci dankeschön für eure Kommentare!
Im speziellen an Rio auch eine Entschuldigung, dass meine Antwort länger auf sich hat warten lassen. War zwischenzeitlich damit beschäftigt, von meinem Hoppa zu fallen und mir dabei wehzutun (man muss die Gelegenheiten nutzen).
- am Rücken: danke Rio, ich denke auch, dass dein Vorschlag sprachlich besser ist - nicht in dem Sinn: Da beide hier ein Problem hatten, werde ich das überdenken. Bei uns in Ö ist das so eine Redensart, man könnte das "in dem Sinn" auch streichen und käme zu der gleichen Aussage: sie waren nicht prall. - dass sich sein Körper gleichmäßig hob: auch hier danke an Rio für gut beobachtete Anatomie-Unmöglichkeiten *peinlich peinlich* - panisch: Was passt an "panisch" nicht? Oder meinst du, Rio, ein Verständnisproblem?
Am erleichtertsten bin ich, dass man mir Kitsch nicht vorwerfen kann. Und auch, dass die verwendeten Bilder gut ankommen und offenbar noch nicht zu abgenutzt sind.
Struppigel, du warst eine der ersten, die mich damals im LyFo willkommen geheißen haben. Aber da ich mich mehr der Lyrik verschrieben hatte, hast du nicht allzu viel von mir gelesen (wobei ich dazu sagen muss, dass ich auch nicht allzu viel gepostet habe). Du wolltest mich auf die Prosa-Seite der Macht ziehen, daran kann ich mich noch erinnern. *kicher*
Merci dankeschön für die Nominierung. Hat mich überrascht, aber natürlich auch gefreut.
Die doch sehr offen beschriebenen sexuellen Szenen haben mich überrascht. Anders als in Texten, die mit ihrer direkten Sprache provozieren, sehe ich hier auch Subtiles in der Sprache, welche diese Offenheit nicht erwarten ließ. Andererseits ist Hauptthema durchaus sehr deutlich - vielleicht sogar zu sehr. Wieso überrascht? Und: Wirklich zu sehr? Hm...
Ich sehe, für die Schlaflied-Stelle muss ich eine Lösung finden. Für mich ist sie schon schlüssig mit dem restlichen Text verbunden, aber vielleicht wird das zerstört durch die Uneindeutigkeit des "sie". Gemeint war eigentlich, dass sich die Protagonistin an diese Situation im Zug erinnert, die sie mit einem positiven Aspekt ihrer Beziehung verbindet (sie war zu dem Zeitpunkt auf dem Weg nach Hause, hatte sich also vorher mit ihrem Freund getroffen).
Was mich grundsätzlich noch interessieren würde: Kann man die Teile auch vertauschen? Denn eigentlich ist die Reihenfolge zufällig so entstanden, da steckt also von meiner Seite kein roter Faden dahinter. (Deswegen vielleicht auch der Titel "Bruchstücke", denn die kann man auch nicht immer eindeutig in ihre ursprüngliche Form bringen.)
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von Struppigel » Mo 24 Aug, 2009 21:37
du warst eine der ersten, die mich damals im LyFo willkommen geheißen haben. Aber da ich mich mehr der Lyrik verschrieben hatte, hast du nicht allzu viel von mir gelesen (wobei ich dazu sagen muss, dass ich auch nicht allzu viel gepostet habe). Du wolltest mich auf die Prosa-Seite der Macht ziehen, daran kann ich mich noch erinnern. *kicher*
Ach, cool. Schade, dass es nicht gleich geklappt hat. :D Ich freue mich, dass Du hier bist. Wieso überrascht? Ich versuchs mal anders zu erklären. Es gibt beispielsweise Texte wie <!-- l <a class="postlink-local" href="http://literatur-forum.info/viewtopic.php?f=58&t=1875">viewtopic.php?f=58&t=1875<!-- l von Janus, die an sich schon provokativ ausgelegt und in ihrer Sprache sehr direkt sind. Bei Deinem Text ist die Sprache nicht offensichtlich direkt. Schon die ersten Sätze zeigen eine stärkere Bildhaftigkeit, so dass man eher Umschreibungen für die sexuellen Szenen erwarten würde. Die Überraschung ist positiv zu verstehen, also mach Dir keinen Kopf (Du hast ja schon einen). Und: Wirklich zu sehr? Hm...
Ach, es hat mich ja nicht wirklich gestört. Es ist mir nur aufgefallen, dass viele der verwendeten Bilder doch immer wieder das gleiche ausdrücken. Das würde ich normalerweise als unnötige inhaltliche Wiederholung sehen. Aber wie gesagt, ich kann nicht behaupten, dass es mich tatsächlich gestört hätte. Kann man die Teile auch vertauschen?
Ja definitiv. Aber ich bin wegen der Numerierung nicht auf die Idee gekommen. Vielleicht wäre es besser, sie wegzulassen. Gemeint war eigentlich, dass sich die Protagonistin an diese Situation im Zug erinnert, die sie mit einem positiven Aspekt ihrer Beziehung verbindet (sie war zu dem Zeitpunkt auf dem Weg nach Hause, hatte sich also vorher mit ihrem Freund getroffen).
Das hatte ich genau anders interpretiert, da sie sich von ihrem Freund gerade entfernt und genau in dem Moment dieses positive Erlebnis hat. Also etwas, dass gegen die Beziehung hinzuweisen scheint. Liebe Grüße Struppigel
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