Geschichten rund um Liebe, Familie oder Freundschaft

Ein Schächter

Beitragvon schreibs » Mo 14 Sep, 2020 23:23


Ein Schächter kam auf mich zu und begrüßte mich mit unbeholfener Rücksichtnahme. Vor einer Woche hatte er noch aus heiterem Himmel heraus gedroht, mir die Zähne auszuschlagen,. "notfalls auch mit maske" nun stand er marginal verunsichert vor mir.
"Nina ist von uns gegangen" teilte er mit. Ich konnte und wollte das nicht fassen.
Sie starb an Organversagen, einen Tag nachdem wir uns zum Gedankenaustausch eingefunden hatten.
"du hattest recht" sagte der Schächter "Nina war sehr gebildet, du hast das gleich erkannt."

"Vllt. ist Nina dir ja sogar eine Träne Wert" sagte ich und weilte kurz bei dem armen Schwein, das gleich wieder anfangen würde, anderen Menschen das Leben zur Hölle zu machen. "Nina hat von dir gesprochen" sagte er "sie sagte, du seist ein feiner, junger Mann. Ich will gar nicht wissen, was sie für Schmerzen hatte. Ihre Haut war gelb als sie kam. Ich jedenfalls glaube Nina ihre Worte, dass du ein feiner Mensch bist."
"das stimmt aber nicht" sagte ich und ging davon um Rotz und Wasser zu heulen. Nachdem ich den gröbsten Schmodder aus den Augen gepresst hatte, schämte ich mich. Als Leyla mich nach drei Jahren der Liebeslust nicht mehr mit Sprotten füttern wollte, atmete ich soviel Verzweiflung, dass ein kleiner Dämon in mir seinen Platz fand. Hier, da ein Mensch gestorben war, heulte ich zwar rum, doch blieb Herr meiner Sinne. Als meine Großmutter, der ich selig gedenke, im Sterben lag, war ihr ein beinahe flüsternder Tonfall zueigen.
Auch Nina hatte eine solch zaghafte Aussprache walten lassen, als wir uns im Gespräch befanden. Ihre kalkbleiche Haut, die langsamen Bewegungen, die immer wieder von einem krampfartigen Zucken gestört wurden, hätte ich vllt. als Todeszeichen deuten sollen. Stattdessen hatte ich mich gefragt, ob Nina mich ausbeuten wollte, als sie davon sprach, alles aus mir rausholen zu wollen. Ich gehe heute davon aus, dass es schön, gut und wahr sein kann, wenn davon die Rede ist, dass alles aus mir herausgeholt werden soll. Und als ich mich schlafen legte, erkannte ich den Begriff des Unwesens als eine Notwendigkeit des in sich gekehrten Seins.
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