Der eitlen Stadt entging sie nicht, ihre Moden, Trachten und Putzwütigkeiten sorgten für einen packenden Zwang. Aus den Augen der manipulierten, gleichgetakteten Café–Reihensitzer sprachen Formate, Muster und Konformitäten, deren Druck sie als Vorübergehende spürte wie eine Strahlung. Ungeachtet des Gruppe–Individuum–Mechanismus war sie heute Morgen aufgebrochen, um die Schönheit der Stadt München zu nutzen. Denn das Gute an der Eitelkeit war die Schönheit. Sie wollte stromern, um sich einen klaren Kopf zu verschaffen und sinnig zu sein; vor allem wollte sie entschlussfähig werden, denn eine Entscheidung stand an, die die nächsten Jahre Wirkung zeigen sollte. Um den Menschen und ihrem magnetischen Feld zu entkommen, senkte sie ihren Blick zu Boden oder hob ihn höher über sie hinweg in den blauen Himmel. Die Schneckenstraße fasste schon ihre ersten Café–Besucher an, die Frühstücker, meist ältere, einsame Herren mit Glatzansatz, Hut und Zeitung, die in aller Öffentlichkeit ihr Brötchen essen mussten, spielten in ihren Gedanken bald keine Rolle mehr. Sie stellte sich Themen vor, deren Bezeichnungen sich ihrem Geiste freiwillig anboten, um ihr beim Zupacken zu dienen. In der Akademiestraße flutete die heiße Märzsonne den breiten Streifen einer hellen Grünfläche, die sich um die herrlichen Portalflügel, die Freitreppe und das Gebäude der Akademie schmiegte; die jungen Eichen standen noch gerippig, aber schon mit warmen Holz darauf, die herrlichen Stämme mit ihren tausend Trieben dominierten die Menschen schon jetzt, doch eigentlich gehörte die breite Akademiestraße der Einsamkeit. Die guten Gedanken brachen mit dem Lärm am Siegestor ab, ein Lastkraftwagen fuhr auf seiner Plane falsche Trennungen wie Liebesb–rief oder Schneeg–löckchen umher, rauschte vorbei nach Süden, ihre zuletzt gedachten Worte mit sich reißend. Erst nach der Überquerung der Verkehrsinsel – ein Brunnen statt des römischen Tores hätte sie viel eher fasziniert – konnte sie sich selbst wieder hören, doch erst tief in der Ohmstraße nahmen ihr Gedanken wieder Ordnung auf und sie versuchte, weiterzumachen. Ein dürrer Laptop–tragender Jüngling hastete an ihr vorüber, sein braunes Hemd ekelte sie. Ein, zwei hübsche Mädchen.
Am Brunnen im Salinenhof fand sie ein wenig Ruhe, doch die Mittagszeit schickte ihr schmatzende, dicke Weiber, deren Geschnatter über Pizzen, Preise und Prüfungen sie gehörig den Nerv zerdängelten. Sie erhob sich, schwang ihren Rucksack auf den Rücken und verließ den Hof Richtung Schneckenstraße. Dort angekommen, rechnete sie sich den Ertrag des Stadt–Stöberns aus. Abends stöberte sie erneut und fand die Dinge vom Morgen wieder, erfreut, in ihrem Kopf Gutes und Schönes zu haben, was sie darauf brachte, die Entscheidung, die sie wohl irgendwann im Laufe des Tages unbewusst gefällt haben musste, nur noch annehmen zu brauchen. Tat`s und war zufrieden mit dem Stromern, das eigentlich ein Stöbern war.