Der Trieb, sich für wenig Geld etwas Wertvolles zu kaufen, gepaart mit der Ungewissheit, was angeboten würde, gemischt mit dem Vorhaben, den Preis zu verhandeln, reizten Marlene unwiderstehlich, ein Reiz, der sie auch diesen Samstag auf den Flohmarkt im Olympiapark trieb. Frisches Frühlingswetter versprach die nötige Trockenheit vom Himmel, obwohl es April war; ihre Mitbewohnerin, Martha, trabte hinterdrein.
Die in Reihen aufgestellten Stände boten billigen Krimskrams, die alten Möbel hatten Flecken. Erst weiter hinten entdeckte sie ihn. Liebe auf den ersten Blick! Samtig weich luden die gut gepolsterten Rundungen zum gemütlichen Verweilen ein, kein Makel verunstaltete die glänzenden Bezüge aus Polyester, pompös und mächtig thronte die Lehne über der Sitzfläche. Den musste sie haben! Sie strich nach pfauentänzerischer Art um das begehrte Objekt. Doch da – der hohe Preis! Zweiundvierzig Euro, meine Herren, soviel Wert besaß dieses alte, schäbige, ja schon benutzte Miststück von einem Sessel bei weitem nicht! Im Powwow um das Hausgerät bewährte sich aber das händlerische Geschick des Mitdreißiger–Verkäufers, denn der sah keinen Anlass, mehr als sieben läppische Euro nachzulassen, als schon andere potentielle Käufer von hinten nachdrängten und ihr Interesse im richtigen Moment kundtaten. Fünfunddreißig Euro – der Deal war perfekt. Wie am Morgen nach einer heißen Liebesnacht reckten nun die praktischen Dinge ihre Köpfe hoch. Bezahlung, Transport – doch wundersam, wundersam, der nette junge Herr vom Möbelstand bot alle Erleichterungen an, die selbst zwei so Hübschen nur schmeicheln konnten. Er versprach, das Ding zu liefern. Nur eine kleine Anzahlung war unverzichtbar. So geschah es. Der kräftige Standmieter schleppte das schwere Möbelstück die drei Treppen hoch, in Marlene Zimmer stellte er es ab und nahm das restliche Geld entgegen. Aus lauter Freundlichkeit gegen die Freundlichkeit des Transporteurs, die schon in Liebenswürdigkeit gipfelte, vermuteten die beiden Frauen, den Herrn nicht wieder aus ihrer Wohnung fortschicken zu dürfen, ohne ihm in der Küche ein Glas Wasser angeboten zu haben. Gesagt, getan. Plötzlich saß er da. Er trank, zückte die Schachtel Gauloises, hielt sie auch den zwei hin, die zögernd annahmen. Neben die Spüle auf einen Becher, der auf der Arbeitsplatte stand, aschten sie nun, während der geschaffte Händler begann, zu erzählen: zunächst nur vom schlichten Dasein eines jeden, dann vom Dasein eines fahrenden Händlers, vom Dasein eines Händlers wie ihm, von seinem Leben schließlich, ganz konkret seine Lebensgeschichte, seiner Frau – ein Foto, sie war hübsch, aber seit acht Jahren lagen sie in getrennten Betten; bei den Mädchen schrillten die Alarmglocken, als sie von seinem Entzug, seinem Bedürfnis nach einem weiblichen Körper Wind bekamen. Wann geht er, wann geht er endlich? Aber nichts da, bei einer weiteren Runde Zigaretten, plötzlich bei einem satten Joint purzelte Wort um Wort aus dem gemütlich dasitzenden ehemaligen Lehrer. Ganz ohne Hintergedanken, wohl aus alter Gewohnheit, schickte er den Joint von Mund zu Mund, das Rauschmittel sollte gleichmäßig in aller drei Blutbahnen zirkulieren. Marlene nahm, Marlene zog, Marlene paffte; über ihren Mund kam der geschwängerte Rauch nicht hinaus, aber sie hatte es getan, es! Spontan zu sein, vertrieb ihr die Langeweile aus den Momenten des Innehaltens und Sinnierens. Nun geschah`s, genug nun, Zeichen auf Zeichen setzten die Mädchen, die auf Abschied standen. Wenig später, nach des Herzensmonologes Ende, verschwand der Dschinn wieder in seinem Lieferwagen; die Freude über den Sessel nahm er auch gleich wieder mit. Aber das wollte ja niemand erzählen: Marlene und der Joint – das, mein Leser, solltest du erfahren.
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