Die Konzentration auf das Modell, das vor den Staffeleien stand, erdrückte die Zeichner; es übte sogar einen gewaltigen psychischen Druck auf die Künstler aus. Ihre Mägen hatten schon zur Morgenstunde nicht mehr gearbeitet, zur Mittagsstunde erschlaffte die Spannung ihrer Rückenmuskulatur und die Wirbelsäulen sackten auf den Hockern zusammen. Draußen beschien die Sonne Caféhaussitzer und wölbte sich ein blauer Himmel über Lümmelige und Parklieger. Zum Nachmittag war die Konzentration in kleine Fetzen zerrissen, ihre Kraft zur Ordnung und Planung des Malens und Färbens versiegt, Unlust hatte bald auch die kleinste Regung zur Überwindung ihrer inneren Schmerzen gelähmt. Aber das Mädchen war bestellt. Es begann, zu frieren.
Trotzdem platzte den Zeichnern der Kragen und die Natur suchte sich ihren Weg, der in der Pause durch die langen Gänge hinaus auf die Treppen ihrer Akademie führte. Vom Tage erwärmt breiteten sich die Marmorarme der Freitreppe um die missbrauchten Seelen, weich schmiegte sich der weiße Stein an die bekümmerten Menschen. Auf den Schultern des Portals, neben den vier Säulen der Künste, sog die Haut des Modells, nur in einen Ponchos eingeschlagen, das kräftige Licht auf, sog das Weiße, das Blaue, das Grüne in sich auf. Blut kehrte zurück in ihre Kapillaren, ein rosiges Gefühl vom Leben sammelte sich auf ihr und zog innerwärts zum Herzen, von wo es in immer freieren Stößen den ganzen Körper wiederbelebte. In ihrem Gehirn wusch der reichliche Sauerstoff die Sorgen aus, der Atem spülte die von früh angehäuften Stickstoffe ins Freie. Als letztes entspannte sich ihr verkrampftes Kinn, die verkniffenen Lippen verbreiterten sich zu einem Lächeln an die Welt, Worte der Zufriedenheit und Harmonie mit der milden Natur kamen ihr in den Sinn. Sie griff sich ein wenig Kunst und Antike vom Portal, krönte sich mit dem Diadem der freien Sorglosigkeit und schritt frei heraus zurück in den Malsaal. Die Zeichner folgten ihr. In der dunklen Stube, zwischen der Elektrik der Moderne, unter der sich ihre Geister bilden sollten, ließ sie den Ponchos wieder fallen und legte sich auf ihren Platz ins Zentrum der Staffeleien. Aber die Lust am Leben ließ sich nicht bannen, keine fünf Momente später stachelte die Jugend das Wollen auf; für diesen Tag zeichnete niemand mehr, nichts mehr. Denn einer schmiss seinen Bleistift weg und eilte hinaus. Sie folgten ihm alle.
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