Timmys Paradoxon
Während Timmy aus Protest die Musikanlage lauter dreht, schüttelt sein Vater nur verständnislos den Kopf. „Verzogenes Gör, hört hier auf
seiner 350€ Anlage diesen Gangsterdreck über klauen bei Kik und
Drogenhandel und möchte unbedingt auch noch den neusten MP3-Player.
Wie undankbar“, brummt er den monoton wirkenden Beats irgendeines
Vorstadtkriminellen entgegen, den sein Sprößling durch den Klick auf
seine MySpace-Seite zum ganz großen Geld verhelfen soll. So wollte
er ihn nicht erzogen haben. Timmy sollte eigentlich doch zu schätzen
wissen, was er bekommt und dankbar sein.
Zwei Stunden zuvor sind Timmy und sein Erzeuger durch die Stadt getrottet und standen mit einem Chickenburger von McDonalds' bestimmt gute eineinhalb Minuten vor eines dieser Werbeplakate, die derzeit ihre Heimatstadt so überfluten. Abgebildet war eine schwarze Person. Keiner von ihnen weiß noch, ob sie männlich oder weiblich war. Geschweige denn ihr Alter. Doch trotzdem verlieh es den Vater dazu, Timmy ein wenig über die Welt und ihre Ungerechtigkeit aufzuklären. „Da, das ist wirkliche Armut! Diese Menschen sind Arm, nicht deine komischen Rapper, die über irgendwelche Ghettos in Detuschland quatschen! Diese Leute da leben in Wellblechhütten und haben kein Geld für Nahrung oder Medikamente! Alle paar Sekunden verhungert dort ein Kind“, der Vater schnipste kurz mit etwas fettigen Fingern, als wollte er mit seinem
Chickenburger einen philanthropischen Grotesksong anstimmen, „und
du beschwerst dich über Ghettos in Deutschland und darüber, dass du
irgendeinen iPod haben willst! Er“, er zeigt auf das
Gesicht des zweidimensionalen Gegenübers, „er hat Probleme!
Behalte ihn immer im Blick, wie schlecht es ihm im Gegensatz zu dir geht!“
Leicht demütig nickt Timmy und sie gehen weiter. Dann sprudelte eine Phrase aus ihm heraus, die für jedes Elternteil ein rotes Tuch zu sein scheint. Kontrolliert sprach er es nicht aus und nachgedacht hat er vorher
auch nicht. Nur ein paar Reste des Burgers behinderten ihn beim
reden, was ungewohnt war, denn er spricht sonst nie mit vollem Mund.
„Aber meine Freunde haben alle einen iPod. Dann kann ich auf dem
Weg zur Schule Musik hören und so...“, schmatzte der dumme Tölpel.
Als hätte sein Vater auf dieses Argument nur gewartet, donnerte er
voller Elan seinem Sohn entgegen: „Ach! Und wenn deine Freunde vom
Hochhaus springen, springst du auch?“, den zweiten Teil des
Arguments komplett ignorierend fuhr er fort, „nur, weil deine
Freunde so ein Teil besitzen, heißt es nicht, dass du das auch
brauchst. Sei mal bisschen eigenständiger! Du bist doch immer so auf
deine eigene Meinung verharrt! Lass deinen Blick bei dir und sei du selbst!“
Verwirrt und etwas beleidigt von der energischen Antwort des Vaters tapste Timmy stumm nach Hause und drehte seine Anlage voll auf, um ein paar Texte aus seinem Leben zu hören.
-Veto