Geschichten zum Thema Alltag

Die Bestattung

Beitragvon Pio » Sa 30 Mai, 2009 04:23


Samstag, Mittag, Bullenhitze. Ich habe einen Großeinkauf gemacht und bin nun auf dem Weg nach Hause. Meine Frau ist zu irgendeiner Freundin gefahren, will das Wochenende bei ihr verbringen.
Ich würde die Einkäufe in Schränke und in den Kühlschrank packen, dann fernsehen. Samstags kommen immer Berichte aus der Bundesliga.
Der Verkehr ist mäßig, die Leute machen wohl ihren Mittagsschlaf oder liegen an Badeseen herum.
Eigentlich könnte ich bei Brunswicks vorbeifahren, der Albrecht ist alleine zu Hause, seine Kinder und seine Frau bei ihren Eltern.
Ich biege von der Schnellstraße ab, fahre durch einige Seitenstraßen und parke dann vor Brunswicks Haus.
Dann steige ich aus und klingle an der Haustür, warte, klingle noch mal, niemand macht auf.
Vielleicht macht der Albrecht seinen Mittagsschlaf, muss sich sicher von seiner Frau erholen. Die Kinder sind ja auch nicht da, er kann also ausspannen.
Ich gehe um das Haus herum, öffne die Gartentür und erstarre.
Brunswick schaufelt im Garten. Sein Hemd hängt aus der Hose, große Schweißflecke hat er unter den Armen. Sein Gesicht ist verzerrt. Er ist dabei ein Loch auszuheben. Die Rasendecke hat er wohl vorher sauber entfernt, sie liegt an der Seite des Grabes. Ja, ein Grab wird das wohl werden, er hat seine Alte wirklich umgebracht. Das hätte ich nie gedacht, obwohl er oft davon gesprochen hatte.
Verwirrt bleibe ich hinter einem Busch stehen, Brunswick kann mich nicht sehen. Rosi Brunswick hätte mancher umgebracht, wenn sie seine Ehefrau gewesen wäre.
Klein, Übergewicht, ein Raubtiergebiss, ein meckerndes Lachen. Es hörte sich bei ihr genauso an, als wenn die Ziege meines Großvaters gemeckert hatte. Manchmal änderte sie beim Lachen auch die Tonhöhe, es war dann, als würde man ein Messer ins Ohr gerammt bekommen.
Am schlimmsten war, wenn sie zu singen anfing. Krächzend, völlig unmusikalisch, man konnte nur am Text erkennen, um welches Lied es sich handelte, wenn man es denn überhaupt kannte.
Gott sei Dank lachte und sang sie nur sehr selten.
Wenn ihr Mann von der Arbeit kam, schickte sie ihn meistens sofort in den Garten. Starr stand er dann da, sein Kinn auf den Stil irgendeines Gartengerätes gestützt. Sicherlich hatte er davon schon Hornhaut unter dem Kinn.
Ich hatte mich schon immer gewundert, warum Albrecht diese Frau geheiratet hatte. Dachte, dass sie früher einmal anders ausgesehen hatte. Auf Fotos sah ich dann, dass sie sich nicht verändert hatte.
Sie wusste alles besser, kommandierte Albrecht dauernd herum, bekam leicht hysterische Anfälle.
Brunswick hatte die Rosi also wirklich umgebracht. Er war ein ruhiger Mensch, wie hatte er das wohl angestellt?
Hatte er sie erschlagen, unmöglich bei seinem friedlichen Temperament, dachte ich. Aber man täuscht sich ja manchmal, auch Serienmörder machen oft einen sanften Eindruck.
Vergiftet hatte er sie sicherlich, dazu wäre er eher im Stande.
Ich trete hinter dem Busch hervor und nähere mich dem Grab. Brunswick bemerkt mich zunächst nicht, scheint aber zu erschrecken, als er mich dann sieht.

„Hallo Albrecht, bei der Arbeit in dieser Hitze?,“ sage ich.
„Ja, eine Bullenhitze heute. Der Boden ist ziemlich hart“.
Albrecht stinkt gewaltig nach Alkohol und redet etwas unklar. Etwas unsicher bewegt er sich, schwankt ein bisschen.
Ich denke, dass es vielleicht besser ist, wenn ich gleich zur Sache komme.
„Vergiftet?“
„Nein, überfahren“.

Überfahren hat er sie also, an diese Möglichkeit habe ich nicht gedacht, überfahren vor oder in der Garage.
„Ich muss sie schnell eingraben. Bei der Hitze fängt sie sonst an zu stinken. Na ja, irgendwie komisch gerochen hat sie schon immer. Manchmal, als wenn sie sich in Jauche gewälzt hätte. Und wenn die Kinder von Oma zurückkommen, sollte sie weg sein.
Ich glaube, dass ich einen großen Fehler gemacht habe, vielleicht den größten Fehler meines Lebens, was werden die Kinder sagen, wenn sie zurück kommen.“

„Na beruhige dich erst einmal, soll ich dir helfen?“
„Ich bin schon fast fertig, aber wenn wir sie aus der Garage holen, kannst du mir tragen helfen“.

Das Loch scheint mir tief genug zu sein, vielleicht etwas kurz, aber man könnte Rosi ja zusammenfalten. Aber Brunswick gräbt immer weiter, immer tiefer, mit einem Grimm, als wolle er auf der anderen Seite der Erde ankommen.

„Meinst du nicht, Albrecht, dass es jetzt tief genug ist?“
„Besser noch etwas tiefer, sonst verstinkt sie den ganzen Garten“.

Ich setze mich auf einen Gartenstuhl und schaue Brunswick zu. Wie das Leben so spielt, denke ich, was alles passieren kann und wenn es passiert ist, hat sich das Leben manchmal grundlegend verändert. Schön haben es die Brunswicks hier. Das Haus hat eine ruhige Lage, einen großen Garten. Sie hatten es von seinem Großvater geerbt. Wenn nun die Rosi nicht mehr da ist, könnte es wirklich schön werden. Brunswick scheint mit dem Grab fertig zu sein, hört auf zu graben und ruft, dass ich ihm jetzt beim Transport helfen könne.
Wir gehen beide in die Garage, da liegt sie eingerollt in eine undurchsichtige Plastikplane, liegt da in der Ecke, sagt nichts mehr und würde auch in Zukunft nichts mehr sagen.
Das eingerollte Bündel ist kürzer, als ich mir das vorgestellt habe. Rosi war zwar nicht besonders groß, aber so klein auch wieder nicht. Sicherlich hat sie Albrecht zusammengefaltet, vielleicht gar zersägt. Aber Blut sehe ich nirgendwo.
Ich fasse an einem Ende an, Albrecht am andern Sie ist viel leichter, als ich gedacht habe. Ihre Seele ist schon weggeflogen, wohin ist mir klar.
Irgendjemand hat mal erzählt, dass Tote leichter werden, da ihre Seele nicht mehr bei ihnen ist.
Wir tragen das Paket zum Loch und lassen es hinein fallen.
Eine Gedenkminute sollten wir noch abhalten, sagt Albrecht, sie sei immer treu gewesen.
Das bezweifle ich nicht, kein Mann hätte sich mit Rosi eingelassen, sie hätte ihn schon vergewaltigen müssen!
Er schaufelt dann das Grab zu, springt dann noch mit den Füßen auf der Erde herum.
Zusammen legen wir die Grasnarbe wieder hin, man kann nicht sehen, dass hier einmal gegraben wurde.
Brunswick lädt mich dann noch zu einem Bier ein. Er hole zwei Flaschen aus dem Keller. Wir setzen uns auf die Terrasse und trinken direkt aus der Flasche.
Ein Polizeiauto fährt langsam durch die Straße und hält vor dem Haus.
Ein Polizist steigt aus und kommt an den Zaun. Brunswick bleibt ruhig, erstaunlich, wie er sich beherrschen kann, das hätte ich nicht erwartet. Ungeahnte Nervenstärke zeigt sich hier.
Der Polizist ruft, ob hier ein Mann mit abgerissener Kleidung vorbei gekommen sei, ziemlich groß. Drei Häuser weiter sei eingebrochen worden, die Besitzer verreist, aber ein Nachbar habe etwas bemerkt.
Brunswick sagt ganz ruhig, dass wir hier schon zwei Stunden säßen und niemanden gesehen hätten.
Das Polizeiauto fährt dann weiter.

„Albrecht, du hast wirkliche gute Nerven,“ sage ich.
„Gute Nerven? Du hast ja keine Ahnung, ich bin ganz flattrig, wenn ich an die Kinder denke. Was soll ich ihnen erzählen, wenn sie heimkommen?“

Albrecht lässt mich dann vorne raus. Als er die Tür öffnet, sehen wir seinen Schäferhündin Senta da sitzen, sie wedelt mit dem Schwanz, winselt und bellt leise.

Albrecht sieht sie erstaunt an und fängt fürchterlich an zu lachen.

„Ich glaube, ich habe einen fremden Hund eingegraben, dachte Senta wäre von einem Lastwagen überfahren worden, weil ich heute morgen die Gartentür aufgelassen habe“.
Pio
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Re: Die Bestattung

Beitragvon M.C.Bertram » So 05 Jul, 2009 22:48


Hallo Pio, deine Short Stories lese ich gerne.
Mir fiel etwas auf, was man ausleuchten könnte.
Um der Täuschung des Ich-Erzählers einen Rahmen zu geben, muß Herr B. mal daher gesagt haben: ich bringe sie um. In Wirklichkeit ist er aber so nett, daß er den Anblick eines toten Hundes seinen Kindern nicht zumuten will. Angeblich hält ihn auch der Erzähler für harmlos. Aber dann wieder doch nicht.
Zum Anfang wäre handwerklich anzumerken: es ist ein Sprung darin, der genützt werden könnte, den Erzähler für den Leser deutlicher zu machen. Wann oder warum faßte der Erzähler diese abgrundtiefe Abneigung gegenüber Frau B., die ihn verleitet zu glauben, Herr B. habe Ernst gemacht mit seiner Ankündigung.
Diese Voreingenommenheit des Erzählers bildet eine unabdingbare psychologische Voraussetzung für die folgenden Erlebnisse. Es handelt sich - wunderschön übrigens - nur um Interpretation von Wahrnehmung: die Welt erschaffen im Kopf. Aber diesen Kopf lernt der geneigte Leser eben nicht kennen.
Wenn keine zusätzliche Handlungsfolge den Rahmen der Story sprengen soll, könnte auch ein Hinweis auf ein aggressives Potential des Ich-Erzählers die Sache psychologisch abrunden. Die Eingangsbeschreibung seiner Situaton ist sachlich, geradezu unemotional, und läßt auf seine Stimmung nicht schließen.
Ich hoffe, du kannst damit etwas anfangen. Gruß mcb
M.C.Bertram
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Re: Die Bestattung

Beitragvon Pio » Mo 06 Jul, 2009 05:32


Morgen M.C.B.,

deine Anmerkungen zum Text erscheinen mir treffend.
Habe einen geänderten Text eingestellt, den ich auf grund von anderen Kommentaren erarbeitet hatte.
Das agressive Pontential kommt aber immer noch nicht raus.
Werde bei einer weiteren Überarbeitung an deine konstruktive Rückmeldung denken.

Schön, dass dir meine Short Stories gefallen.

Gruß

Pio
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