Aus erster Hand
„Bist du zufrieden, Mensch?“ ihre nackten Füße graben im Gras, wühlen sich durch Erde. Ich sitz da, 'ne Kippe im Maul und glotze in die Wolken. Ich hab keinen Bock auf Gelaber, und so antworte ich nicht.
„Mensch, du kannst das nicht“ ich dreh den Kopf, sehe ihre wundervollen Titten liegen und kratze mir über die Stoppeln. „Du kannst nicht einfach nichts sagen.“
Ich sag ihr also wies ist und sie fängt zu heulen an. Das macht sie immer so.
„ Wars das dann?“.
„Ja.“
Ich steh auf und gehe zu meinem Wagen, weiß nicht, wo ich hin will, fühle mich unheimlich erwachsen. Aus dem Radio kommt ein alter Song von Jimi, ich dreh lauter und fahre schneller.
Morgens halte ich an einem runtergekommenen Motel irgendwo im Westen. Drei Franzosen kämpfen mit ihrer verrosteten Karre. Ohne nachzufragen sage ich, dass ich eh in ihre Richtung müsse. Sie springen rein, ich hab nur Augen für die Kleine aufm Beifahrersitz, fange Gespräche an; Sie wollen zur Küste, ich nicke und wir qualmen welche ihrer selbst gedrehten. Wir hören Musik, laut, und singen, mein Arm hängt aus dem offenen Fenster und ich verbrenn mir die Haut in der knallenden Septembersonne. Ich fühl mich wahnsinnig frei, trete aufs Gas.
Manchmal muss man sein altes Leben an einer der wenigen Raststätten anleinen, um Laderaum für neue Erfahrungen zu finden.
Wir liegen im Sand, schauen in die Wellen und saufen französischen Weißwein. Irgendeiner spielt Gitarre.
Sie heißt Marie, ich zeig ihr Sternbilder. In ihrem Land nenne man ihn „große Kelle“. Wir lachen.
Im Frühherbst kann man noch unter freiem Himmel schlafen. Sie deckt mich mit Küssen zu und wir pennen bis der Sonnenaufgang uns weckt. Ich nehm sie in den Arm und lass die Brandung frische Muscheln in den hellen Küstensand spülen. Auf den warmen Steinen versammeln sich kleine Krabben, liegen dort bis sie von den Wellen wieder ins Meer getragen werden. Wie armselig sie doch sind. Und wie glücklich, keine Gedanken verschwendend, nur fressen, sonnen und ficken; Ich bewundere sie.
Wir verschlendern den ganzen Tag. Am Abend stürmt es, Marie flüstert, sie fühle sich wie die Blitze - nur nicht so hell. Ich kapiere nichts, schaue auf ihre nassen Haare, das Salz auf ihren Wangen zerläuft im Regen. Sie ist immer noch hübsch. Sie fühle sich so kurzlebig und unbedeutend. Ich verstehe, betrachte ihre tiefen Augen während die meterhohen Wellen den Strand einverleiben. Sie steht auf und blickt in Richtung Meer.
„ Das ist sau gefährlich , wo willst du hin?“ frage ich ihr ins Ohr. „Ich habe doch eh nie wirklich existiert... Bist du zufrieden, Mensch?“, erwidert sie und rennt los, verschwindet im tobenden Atlantik.
Ich schaue ihr hinterher, überlege woher ich ihre Worte kenne und plötzlich denke ich an diese Krabben, wie sie auf den Steinen saßen als ob es ihre Berufung wäre, wie sie mit ihren kleinen Scheren nicht viel anzufangen wussten und trotzdem zufrieden waren. Und ich merke was in meinem verkackten Leben schief gelaufen ist.
Alles scheint auf diesen Moment maßgeschneidert zu sein. Ich lege meinen Panzer ab und und renne los, barfuß den Strand entlang, meine Füße graben frische Spuren in den matschigen Untergrund bis ich auf einen verdammten Stein trete, stolpere. Ich liege im Regen, merke jeden einzelnen der Tropfen wie Weihwasser meine spröde Haut geißeln bis die Wogen nach und nach abgleiten und die aufgehende Sonne die restlichen Wolken zerfetzt.
Das Meer flüstert mich in einen unruhigen Schlaf und ich verdaue die Erlebnisse der letzen Tage in wirren Träumen.
Marie steht in einem fremden Körper vor mir und schneidet sich mit einem langen Messer die Brüste ab, sie lacht scheußlich, erkundigt sich immer und immer wieder, ob ich endlich zufrieden sei. Ich flehe sie an aufzuhören, es folgen anderen Körperteilen und als ihre Lippen zu Boden gleiten schlagen sie Wurzeln, wachsen im angsterregenden Tempo zu einem eleganten Granatapfelbaum aus, der Blüten schlägt und drei duftende Früchte hervorbringt. Ich pflücke sie und jongliere im Mondlicht bis ihnen in meinen Händen kleine Beinchen, Scheren und Flügel wachsen und sie als leuchtende Punkte an den Nachthimmel weichen.
Ich entreiße mich dem Schlaf und erwache in der prallen Sonne. Das Meer ist glatt, mein Schädel brummt und ich kotze zur Begrüßung des neuen Tages in den angetrockneten Morgen. Das Wasser lockt mich mit seiner Klarheit und mit ungeheurer Anstrengung rolle ich in die schwache Brandung, wo ich in einen tiefen, dunklen Schlaf falle.
?Als ich die Augen öffne ist schon später Nachmittag, ich stehe auf und schleppe mich zu meinem Wagen, lasse an, fahre los. Ich fühle nichts von der gewohnten Freude. Freiheit ist wie ein Zaubertrick. Man ist von dem Effekten fasziniert bis man hinter die Kulisse schaut und merkt, dass alles nur ganz einfacher Beschiss war. Ich habe keine Lust mehr alberne Kaninchen aus dem Hut meiner Existenz zu ziehen.
Als ich über eine Brücke fahre halte ich schließlich. Unter mir rauscht die Schnellstraße, ich schaue den Autos nach, erwische mich beim Zählen. Hinter jedem stecken Geschichten - die mich wenig interessieren: sie sind belanglos, irgendwo wird jemand geboren und woanders verreckt einer, mehr ist da nicht und mehr wird da niemals sein; was sind schon ein paar vergossene Tränen.
Ich falle aus meinen Gedanken, als ich eine Hand an meiner Schulter spüre. Neben mir steht Marie, ich brauche nicht fragen wo sie herkommt, denn inzwischen ist alles so einfach.
Sie ist blass und hat Algen in den Haaren, aber sie lächelt. Sie schlüpft aus ihren Schuhen, tänzelt und reicht mir die Hand. „Bist du soweit?“
Ich lache sie an; es ist Zeit für eine andere Geschichte.
„Ja.“ und ich erwidere den Griff ihrer suchenden Hände.