Geschichten zum Thema Alltag

Aus erster Hand

Beitragvon GlasaugeBill » Mo 11 Okt, 2010 18:20


Aus erster Hand

„Bist du zufrieden, Mensch?“ ihre nackten Füße graben im Gras, wühlen sich durch Erde. Ich sitz da, 'ne Kippe im Maul und glotze in die Wolken. Ich hab keinen Bock auf Gelaber, und so antworte ich nicht.
„Mensch, du kannst das nicht“ ich dreh den Kopf, sehe ihre wundervollen Titten liegen und kratze mir über die Stoppeln. „Du kannst nicht einfach nichts sagen.“
Ich sag ihr also wies ist und sie fängt zu heulen an. Das macht sie immer so.
„ Wars das dann?“.
„Ja.“
Ich steh auf und gehe zu meinem Wagen, weiß nicht, wo ich hin will, fühle mich unheimlich erwachsen. Aus dem Radio kommt ein alter Song von Jimi, ich dreh lauter und fahre schneller.

Morgens halte ich an einem runtergekommenen Motel irgendwo im Westen. Drei Franzosen kämpfen mit ihrer verrosteten Karre. Ohne nachzufragen sage ich, dass ich eh in ihre Richtung müsse. Sie springen rein, ich hab nur Augen für die Kleine aufm Beifahrersitz, fange Gespräche an; Sie wollen zur Küste, ich nicke und wir qualmen welche ihrer selbst gedrehten. Wir hören Musik, laut, und singen, mein Arm hängt aus dem offenen Fenster und ich verbrenn mir die Haut in der knallenden Septembersonne. Ich fühl mich wahnsinnig frei, trete aufs Gas.
Manchmal muss man sein altes Leben an einer der wenigen Raststätten anleinen, um Laderaum für neue Erfahrungen zu finden.


Wir liegen im Sand, schauen in die Wellen und saufen französischen Weißwein. Irgendeiner spielt Gitarre.
Sie heißt Marie, ich zeig ihr Sternbilder. In ihrem Land nenne man ihn „große Kelle“. Wir lachen.
Im Frühherbst kann man noch unter freiem Himmel schlafen. Sie deckt mich mit Küssen zu und wir pennen bis der Sonnenaufgang uns weckt. Ich nehm sie in den Arm und lass die Brandung frische Muscheln in den hellen Küstensand spülen. Auf den warmen Steinen versammeln sich kleine Krabben, liegen dort bis sie von den Wellen wieder ins Meer getragen werden. Wie armselig sie doch sind. Und wie glücklich, keine Gedanken verschwendend, nur fressen, sonnen und ficken; Ich bewundere sie.

Wir verschlendern den ganzen Tag. Am Abend stürmt es, Marie flüstert, sie fühle sich wie die Blitze - nur nicht so hell. Ich kapiere nichts, schaue auf ihre nassen Haare, das Salz auf ihren Wangen zerläuft im Regen. Sie ist immer noch hübsch. Sie fühle sich so kurzlebig und unbedeutend. Ich verstehe, betrachte ihre tiefen Augen während die meterhohen Wellen den Strand einverleiben. Sie steht auf und blickt in Richtung Meer.
„ Das ist sau gefährlich , wo willst du hin?“ frage ich ihr ins Ohr. „Ich habe doch eh nie wirklich existiert... Bist du zufrieden, Mensch?“, erwidert sie und rennt los, verschwindet im tobenden Atlantik.
Ich schaue ihr hinterher, überlege woher ich ihre Worte kenne und plötzlich denke ich an diese Krabben, wie sie auf den Steinen saßen als ob es ihre Berufung wäre, wie sie mit ihren kleinen Scheren nicht viel anzufangen wussten und trotzdem zufrieden waren. Und ich merke was in meinem verkackten Leben schief gelaufen ist.
Alles scheint auf diesen Moment maßgeschneidert zu sein. Ich lege meinen Panzer ab und und renne los, barfuß den Strand entlang, meine Füße graben frische Spuren in den matschigen Untergrund bis ich auf einen verdammten Stein trete, stolpere. Ich liege im Regen, merke jeden einzelnen der Tropfen wie Weihwasser meine spröde Haut geißeln bis die Wogen nach und nach abgleiten und die aufgehende Sonne die restlichen Wolken zerfetzt.
Das Meer flüstert mich in einen unruhigen Schlaf und ich verdaue die Erlebnisse der letzen Tage in wirren Träumen.
Marie steht in einem fremden Körper vor mir und schneidet sich mit einem langen Messer die Brüste ab, sie lacht scheußlich, erkundigt sich immer und immer wieder, ob ich endlich zufrieden sei. Ich flehe sie an aufzuhören, es folgen anderen Körperteilen und als ihre Lippen zu Boden gleiten schlagen sie Wurzeln, wachsen im angsterregenden Tempo zu einem eleganten Granatapfelbaum aus, der Blüten schlägt und drei duftende Früchte hervorbringt. Ich pflücke sie und jongliere im Mondlicht bis ihnen in meinen Händen kleine Beinchen, Scheren und Flügel wachsen und sie als leuchtende Punkte an den Nachthimmel weichen.
Ich entreiße mich dem Schlaf und erwache in der prallen Sonne. Das Meer ist glatt, mein Schädel brummt und ich kotze zur Begrüßung des neuen Tages in den angetrockneten Morgen. Das Wasser lockt mich mit seiner Klarheit und mit ungeheurer Anstrengung rolle ich in die schwache Brandung, wo ich in einen tiefen, dunklen Schlaf falle.
?Als ich die Augen öffne ist schon später Nachmittag, ich stehe auf und schleppe mich zu meinem Wagen, lasse an, fahre los. Ich fühle nichts von der gewohnten Freude. Freiheit ist wie ein Zaubertrick. Man ist von dem Effekten fasziniert bis man hinter die Kulisse schaut und merkt, dass alles nur ganz einfacher Beschiss war. Ich habe keine Lust mehr alberne Kaninchen aus dem Hut meiner Existenz zu ziehen.
Als ich über eine Brücke fahre halte ich schließlich. Unter mir rauscht die Schnellstraße, ich schaue den Autos nach, erwische mich beim Zählen. Hinter jedem stecken Geschichten - die mich wenig interessieren: sie sind belanglos, irgendwo wird jemand geboren und woanders verreckt einer, mehr ist da nicht und mehr wird da niemals sein; was sind schon ein paar vergossene Tränen.
Ich falle aus meinen Gedanken, als ich eine Hand an meiner Schulter spüre. Neben mir steht Marie, ich brauche nicht fragen wo sie herkommt, denn inzwischen ist alles so einfach.
Sie ist blass und hat Algen in den Haaren, aber sie lächelt. Sie schlüpft aus ihren Schuhen, tänzelt und reicht mir die Hand. „Bist du soweit?“
Ich lache sie an; es ist Zeit für eine andere Geschichte.
„Ja.“ und ich erwidere den Griff ihrer suchenden Hände.
Sie ist nicht krank und nicht verrückt, nur überdreht wenn sie mit jungen Hunden bellt.
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Re: Aus erster Hand

Beitragvon Garfield » Mi 27 Apr, 2011 20:00


Moin Bill

Nun schleiche ich schon ne ganze Weile um diese Geschichte rum und kann mich nicht zu einem Kommentar durchringen, da sie mich auch nach mehrmaligem lesen unschlüssig zurücklässt. Da dachte ich mir, schreib ich dir halt das...

Der Schreibstil ist ziemlich läsig umgangssprachlich, was gut zum Protagonisten passt, mitunter aber etwas aufgesetzt/künstlich wirkt. Liest sich auf jeden Fall gut und hat mir summasummarum auch gefallen.
Ein paar formelle Fehler:
ch lege meinen Panzer ab und und renne los, barfuß den Strand entlang,

Zweimal und.

?Als ich die Augen öffne ist

das Fragezeichen muss weg.

Wie eingangs erwähnt bin ich unsicher was den Inhalt betrifft.
Am Anfang ist da dieser Typ, der seine Freundin abserviert auf wenig nette Art und Weise, wodurch er ein Gefühl von Freiheit bekommt. Er scheint auf jeden Fall ein Mensch mit wenig Mitgefühl und Beziehungsproblemen zu sein, der sich selbst aber für stark und groß hält, was sich vor allem in seiner lässigen Art und Lebensstil äußert.
Dann trifft er auf die Franzosen (wieso eigentlich mehrere Franzosen? Wo doch nur Marie wichtig ist und die anderen nie mehr erwähnt werden...) und baggert die eine an, so wie er das vermutlich öfter macht.
Das Bild mit den Krabben gefällt mir. Er scheint ja zu verzweifeln an der Sinnlosigkeit des Lebens und dem Abtöten dieses Gefühls durch seine lockeres Leben und Außreißen von Frauen. Deshalb beeindrucken ihn die Krabben, die zufrieden und gelassen ihr Dasein hinnehmen und nicht mehr vom Leben wollen als sie haben.
Seine Gedanken dazu (er merkte dass sein Leben bisher große Scheiße war [oder so]) finde ich aber weniger gelungen.
Dann kommt dieser wirre Traum. Vllt soll damit tematisiert werden, dass er Frauen nur als Dinge, Körper ansieht (das abschneiden der Brüste), dass es aber die zwischenmenschlichen Dinge sind die ihm Fehlen (die Lippen aus denen Elfen [oder so] werden), vllt auch nicht.
Das Marie am Ende wieder auftaucht ist rel. vorhersehbar, überraschend fand ich eher, dass er immer noch völlig uninteressiert an den Menschen zu sein scheint, obwohl er sich ja auch geändert zu haben scheint. Hm, erschien mir irgendwie gegensätzlich.
Genrell fehlt mir für seine Wandlung das Motiv. Erst der nihilistische Draufgänger und ein paar Sätze mit Marie, ein paar Krabben am Strand und einen wirren Traum später kommt die Erkenntnis das sein Leben bisher scheiße gelaufen ist. Fand ich etwas unplausibel.
Generell find ich es zu schwammig gehalten was er den nun aus dieser Sache mitnimmt. Da steht ja nur: "Und ich merke was in meinem verkackten Leben schief gelaufen ist."
Klar ist da noch Marie, das deutet darauf hin, dass er jetzt offener anderen Menschen gegenünber ist, aber mir pers. ist das zu ungenau. Wie eigentlich die ganze Geschichte.
Soweit meine Sicht, hab dein Werk aber mit Interesse gelesen.

Gruß Garf
Zuletzt geändert von Garfield am Mi 27 Apr, 2011 20:11, insgesamt 1-mal geändert.
Kurz, er bewies eine Geduld, vor der die hölzern-gleichmütige Geduld des Deutschen, die ja auf dessen langsamer, träger Blutzirkulation beruht, einfach gar nichts ist.
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