Geschichten zum Thema Alltag

Ein Leben weit

Beitragvon GlasaugeBill » Di 04 Jan, 2011 22:59


Ich scheuerte ihr eine das es nur so knallte und ihr der Hut vom Schädel flog wie ne gekrempte Hummel. Heulte die ganze Nacht die Kissen voll, aber sonst wars recht ruhig. Klar, dann musste ich mir einen ansaufen, dass ich die Engelchen hab singen hören, irgendwelchen neurotischen Mist, aber es ging ganz gut ab.
Ich schüttete in ner Bar mit sonem schmalen Typen ein Bier nachm andern.
Der wäre wohl Maler oder Dichter oder sowas, brotlose Kunst.
‚Wenn ich ein bisschen was gespart habe, wandre ich aus, nach Singapur, das ist in Asien, dann könnt ihr mich mal.‘ Er sah nicht aus wien Künstler und auch nicht, als ob er bald was angespart hätte. ‚Da kannste wenigstens noch ‚nen Furz lassen, ohne das dir einer Korken in den Arsch steckt. Und das Bier kostet nur ‚n zehntel - und die Frauen auch. Und, die sind dabei noch froh, wenn sies mal richtig gemacht bekommen.‘
Der Typ ging mir mit seinem pausenlosen Gelaber mächtig auf die Nerven und ich fing recht schnell ne Schlägerei an, kloppte ihm ein Auge zu Brei, nahm meine Jacke und verdrückte mich, eh die Bullen anrücken konnten.
Draußen pisste es wie im Amazonasdelta und ich musste mir die fleckige Kapuze bis zu den Augenbraun ziehen, während ich im dumpfen Licht der Straßenlaternen meinen eigenen Schatten hinterher jagte. An ‚ner Bushalte setzte ich mich unter, knipste ne Kippe aus der halb vollen Schachtel und bot auch der rothaarigen neben mir eine an. Sie fingerte sich eine weg und ich gab Feuer. ‚Ich bin keine Nutte‘, meinte sie, ‚Und auch nicht mehr so jung wie vor dem Regen.‘ Ich nickte, schätzte sie auf Mitte dreißig.
‚Ich hab grad sonem Typen aus ‚ner Bar die Fresse poliert. Warst du schon mal in Asien?‘ Fragte ich und lehnte mich an das zerkratze Plexiglas hinter mir. ‚Ne. Aber ich hab ‚nen Film drüber gesehen.‘ Sie überkreuzte die Beine und ich glotzte ihr auf die Schenkel. ‚Wie weit ist das weg?‘ Ich überlegte ob das ‚n Witz war. ‚Ein Leben weit.‘

Der Bus kam und sog uns ein.
‚Einma Singapur.‘
‚Hamwa nicht du Scherzkeks. Und wennde hier ne dicke Lippe riskierst, kanns ganz schnell gehen, dass de nirgends mehr hinfährst.‘ Ich sah in das zerfurchte Gesicht des Fahrers, neben den vielen kleinen Narben irgendeiner Krankheit auf der blassgelben Haut und der Feindseligkeit die er mir entgegenbrachte, sah sein schlitzäugiger Blick trauriger aus, als das meiste was mir bisher begegnete. ‚Sorry, man. Behalt den Rest‘ Mehr konnte ich nicht sagen. Ich fläzte mich auf nen Doppelplatz, vergrub die Hände in meinen Jackentaschen und fragte mich, wie schlimm es irgendwo sein musste, wenn man das hier vorzieht.

Ich schleppte mich in mein spärlich eingerichtetes Zimmer, fiel aufs Bett und blieb eine Weile liegen, bevor ich den Fernseher einschaltete. Es war mitten in der Nacht.
Ich schaute einige Zeit zu, doch die Weiber gaben mir nichts von ihrer gespielten Erregung ab und ich knipste wieder aus. Ich hatte weder Durst noch Hunger, noch irgendwelche anderen Empfindungen, ich lag und lauschte in den Morgen. Draußen sang einer seine Sufflieder, es hätte jeder sein können. Ein Hund wurde ausgeführt, ein Bus kam an, Leute wünschten sich einen schönen Tag und meinten es doch nicht so.
Ich lag da und lauschte, die Geräusche verschwammen langsam und machten der Leere in mir Platz.
Ich war allein. Ich meine nicht in Bezug auf die ganzen Schlampen, die ich in den Wochen und Jahren treffe und getroffen habe.
Ich war leer, einsam, irgendwo zwischen Job, Suff, Sex und Schlägereien ist der Faden gerissen. Wen hat man noch, wenn man sich selbst verschlampt?

Ich richtete mich auf, neben mir auf dem Fußboden lagt der Hut, ihr Hut von irgendwann, ich erinnerte mich nur noch schummrig. Im tief stehenden Sonnenlicht warft er einen langen,rötlichen Schatten. Ich hob ihn auf, hängte ihn an den Haken übern Spiegel, erkannte mich nicht.
Ich kramte mein Telefon unter Pizzaschachteln, leeren Dosen und stinkenden T-Shirts hervor und wählte ihre Nummer.
‚Hey, Kleine, wir müssen uns Treffen. Warst du schon mal in Singapur?‘ Sie antwortet nicht, nur ihr Atem verriet sie. Ich legte auf, griff meine Jacke und verließ die stinkende Bude. Es war Montag morgen und ich lächelte.
Sie ist nicht krank und nicht verrückt, nur überdreht wenn sie mit jungen Hunden bellt.
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Aw: Ein Leben weit

Beitragvon Walter » Mi 05 Jan, 2011 19:27


Hallo GlasaugeBill,

also deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Ich denke, du hast das sehr lebendig herübergebracht. Teilweise ist sie auch wirklich sehr witzig. Sie war auch trotz des Dialekts nicht schwer zu verstehen. Gratulation!

Etwas an Dynamik verliert die Handlung naturgemäß im Mittelteil, wenn der Typ nach Hause kommt, quasi zur Ruhe kommt. Klar. Der Teil gefällt mir jedoch am wenigsten. Da kaufe ich dir den Typen nicht mehr ganz ab. Er fühlt sich einsam und leer. Speziell die Leere kommt mir ein bisschen abrupt. Warum fühlt er sich leer? Wahrscheinlich, weil er gelangweilt ist, ihm der Kopf vom Trinken und der Schlägerei brummt, langsam die Wirkung des Alkohols nachlässt und er einen Sinn in dem Ganzen sucht, jedoch nicht finden kann. Das könnte ich mir vorstellen, warum er sich leer fühlt.
Auch kommt mir persönlich der Übergang zum Morgen etwas zu schnell. Grade ist es noch Mitten in der Nacht und im nächsten Moment ist schon der Morgen da.

Wie gesagt, sonst hat mir deine Geschichte sehr gut gefallen. Du schaffst es den Leser total in die Geschichte hineinzuziehen. Und ich wäre auch gespannt, was mit dem Typen weiter passiert. Vielleicht kommt ja noch eine Fortsetzung?

LG, Walter
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Re: Ein Leben weit

Beitragvon Smilodon » So 03 Apr, 2011 21:24


Hallo Glasauge,

der Text ist gut und flüssig geschrieben. Die Sprache des Ich-Erzählers wirkt im Großen und Ganzen authentisch (kleinere stilistische Anmerkungen siehe in den Details) und inhaltlich bietest du zwar keine originellen Quantensprünge an, aber gerade in der Banalität des Alltags finden sich ja meistens die schönsten Geschichten. Auch schaffst du es, die Geschichte mit dem Singapurmotiv nicht ganz so abgedroschen wirken zu lassen und der Titel "Ein Leben weit" passt sehr schön, auch wenn man es auch ein wenig als kitschig ansehen kann - aber in den Text passt es und es ist auch an der richtigen Stelle eingesetzt. Außerdem erkennt man daran dass dieser vollkommen apathische Erzähler doch noch irgendwelche kleinen Sehnsüchte hat, auch wenn er sie wohl selbst nicht so ganz ernst nimmt und man schon weiß, dass dieser Typ nie in Singapur landen wird.

Insgesamt also gerne gelesen. Anbei noch ein paar kleine Details und Rechtschreibkram.

LG, Smi


- Ich scheuerte ihr eine, dasses nur so knallte und ihr der Hut vom Schädel flog wie ne gekrempte (Das Wort kenne ich nur von einer Hutkrempe, sehe aber keinen Bezug zu einer Hummel)Hummel. H
- Klar, dann musste ich mir einen ansaufen, das (wenn mit zwei ss, aber besser: bis) ich die Engelchen hab singen hören, irgendwelchen neurotischen Mist, aber es ging ganz gut ab.
- Der wäre(war) wohl Maler oder Dichter oder sowas, brotlose Kunst.
- ohne dass dir einer Korken in den Arsch steckt. Und das Bier kostet nur n Zehntel - und die Frauen auch. Undkeinkomma die sind dabei noch froh, wenn sies mal richtig gemacht bekommen.
- eh die Bullenanrücken konnten (vllt. besser: eh die Bullen kamen).
- meinem eigenen Schatten hinterher jagte.
- An ner Bushalte setzte ich mich unter ("sich untersetzen" hab ich noch nicht gehört und originelle Wortschöpfungen passen mMn nicht zum Erzähler, daher besser: "stelle ich mich unter")
- knipste ne Kippe (an) aus der halb vollen Schachtel und bot auchder Rothaarigen neben mir eine an.
- Sie fingerte sich eine weg ( Bild Bild Bild - das hört sich nicht jugendreif an)
- klein und auch nicht mehr so jung wie vor dem Regen.
- Asien?" Komma fragte ich und lehnte mich an das zerkratze Plexiglas hinter mir. (Noch nen Grund mehr, warum unterstellen besser ist - sonst kann man sich doch gar nicht so schön gemütlich anlehnen und einen auf cool machen.)
- Der Bus kam und sog uns ein. (Auch der Ausdruck passt nicht so ganz zur Erzählerstimme, find ich. Auch wenn er mir gefällt.)
- Hamwa nichtKomma du Scherzkeks.
- zerfurchte Gesicht des FahrersPUNKT Neben den vielen kleinen Narben irgendeiner Krankheit(welche Krankheit hinterlässt den kleine Narben im Gesicht? Akne? Vielleicht besser ausschreiben, klingt sonst ein wenig seltsam.)
- FeindseligkeitKomma die er mir entgegenbrachte, sah sein schlitzäugiger Blick (vielleicht besser: seine Schlitzaugen) trauriger auskein kommaals das meistekomma was mir bisher begegnete.
- Sorry, Mann. Behalt den Rest
- Ich schaute einige Zeit ein paar halbnackten Weibern beim Ausziehenzu, doch sie gaben(mir) nichts von ihrer gespielten Erregung ab und ich knipste wieder aus.
- ich lag daund lauschte in den Morgen (vllt. besser: wartete auf den Morgen)
- Draußen sang einer seine Sufflieder(es hätte jeder sein können).
- Ich lag da und lauschte, die Geräusche verschwammen langsam und machten der Leere in mir Platz. (Wenn die Geräusche Platz machen sollten, sollten sie eher verschwinden als verschwimmen, oder? Verschwimmen würde mMn eher bedeuten, dass es ein großer Geräuschmix im Kopf wird.)
- Ich war allein, trotz der Schlampen, mit denen ich mich immer wieder traf.
- Ich war leer., einsam, PUNKT Irgendwo zwischen Job, Suff, Sex und Schlägereien ist der Faden gerissen. Wen hat man noch, wenn man sich selbst verloren hat?
- Ich richtete mich auf, neben mir auf dem Fußboden lag(kein t) ihr der Hut. Ich erinnerte mich nur noch vage.
- Im tief stehenden Sonnenlicht warf(kein t) er einen langen,( )rötlichen Schatten.
- wir müssen uns treffen.
Menneskets hjertes tanke er ond fra barndommen av.
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Re: Ein Leben weit

Beitragvon kernbusch » Do 14 Apr, 2011 22:33


Hey Eye, mir gefällt er leider überhaupt nicht, da er zu zwanglos gekünstelt herkommt.

So schreibt/spricht einfach keiner wirklich, klingt eher nach C.B. für Arme.

Einige Passagen sind recht amüsant, aber er ist einfach zu voll von Klischees und überzogener Gossensprache.

Hier würde eine Überarbeitung gut tun.

Gruss Mathias K.
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Re: Ein Leben weit

Beitragvon GlasaugeBill » Do 14 Apr, 2011 23:02


Hallo ihr beiden!

Irgendwie hatte ich das ganze aus den Augen verloren und bin gerade nur zufällig wieder drüber gestolpert. Vielen Dank für euere Antworten. Ich finde es schön, wenn sich jemand die Zeit nimmt, Gedanken anderer zu lesen (und sie vielleicht sogar - auf welche Art auch immer - zu kommentieren). Zeitnehmen, das ist etwas, was viel zu selten gemacht wird, und für was noch viel seltener gedankt wird (Beispiel: "Druckstelle an Schläfen").

Es freut mich natürlich sehr, dass ich euch beide (mehr oder weniger) in die Geschichte ziehen konnte, auch wenn ich um die Schwächen im Mittelteil weiß. Ich habe versucht eine Person zu stilisieren und durch ihr Handeln und die Sprache eine d e r Sehnsüchte unserer Zeit zu formen - Freiheit/Unabhängigkeit, Ausbruch aus uns selbst. Das scheint angekommen zu sein, und das freut mich.

Danke Smilodon für deine ausführliche Korrektur. Ich hatte es über längeren Zeitraum geschrieben und verändert, trotzdem ist mir wohl durch den Dialekt des Protagonisten der ein oder andere Fehler in Grammatik, Interpunktion und Stil unterlaufen. Ich werde deine Vorschläge für eine Überarbeitung (die durchaus nötig ist) benutzen.

Nen Schönen Abend

Glasauge



/// Edit:

Hallo Kernbusch,

Wiztig finde ich, dass wir beide zeitgleich den Beitrag ausgegraben haben.
Ich danke auch dir für deine Meinungsäußerung. Leider kann ich damit nicht viel anfangen, denn gefallen oder nicht gefallen ist kein Maßstab für mich.
Ich bedauere, dass du an anderer Stelle selbst nicht mit Kritik umzugehen weißt, und dennoch hier auf diese Art und Weise kommentierst.
Ich würde dich doch sehr um konstruktive Beiträge bitten, jedenfalls solange du in meinen Fäden unterwegs bist.

Mit freundlichen Grüßen
Glasauge B.
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Re: Ein Leben weit

Beitragvon kernbusch » Fr 15 Apr, 2011 13:40


Hallo,

konstruktiv finde ich meine Kritik schon, ich wies darauf hin, das mir der Stil zu zwanglos gekünstelt und mit überzogener Gossensprache daherkommt.

Dies passiert Schreibern häufig, die nicht aus dem Umfeld Ihrer Protagonisten kommen, sich aber vorstellen wie es so sein könnte, wenn man solch eine Person wäre.

Dies gelingt leider nur den wenigsten Schriftstellen in authentischer Weise.

Man erkennt zumeist ob ein Autor nur so tut, oder wirklich um das Umfeld weiss.

Bei Deinem Text habe ich als Leser eben das Gefühl, Du versuchst Dich in diesem Sprachmilieu zu bewegen aber nur aus Deiner Vorstellung heraus (vielleicht inspiriert durch Gelesenes oder Gesehenes).

Es klingt halt nicht echt und ist auch nicht brutal genug geschrieben.

Beispiel: Ich scheuerte ihr eine das es nur so knallte und ihr der Hut vom Schädel flog wie ne gekrempte Hummel.

Das hat eine gewisse Komik an sich, schon allein wegen der Hut Sache. Problematisch, denn dem nachfolgenden Text
wird diese Komik erstmal anlasten.

Dann: Heulte die ganze Nacht die Kissen voll, aber sonst wars recht ruhig.

Sarkasmus schön und gut, aber nützt er hier dem Text?

Der Typ steht als Arschloch da, ok, aber warum muss er sich dann einen ansaufen?
Weil das zum Klischee gehört?

Auch die Zeitfolge stimmt nicht. Erst ist er die ganze Nacht bei der Frau, dann geht er saufen, Frühmorgens? Dann ist es wieder mitten in der Nacht.

Der Erzählstil bricht nach der Busfahrerszene ohne das der Leser erfährt warum (weil der Typ seinen philosophischen kriegt vielleicht?).



Komme später noch auf den Text zurück, erstmal Gruss
M.K.
Zuletzt geändert von kernbusch am Fr 15 Apr, 2011 21:08, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Ein Leben weit

Beitragvon Old Gil » Fr 15 Apr, 2011 19:27


Die gekrempte Hummel gefällt mir. Humor ist ja überhaupt ein wirksames Betäubungsmittel. Mit dem Text allgemein kann ich recht wenig anfangen (was ja nicht schlimm ist), aber gerade dieses humoristische etwas, das hin und wieder aufblitzt, verleiht dem Text in meinen Augen ein gewisses Profil, lässt ihn nicht ganz so… "gekünstelt" wirken. Obwohl er das das stellenweise leider tut. Auf mich zumindest.
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