Geschichten zum Thema Alltag

Zucker

Beitragvon Garfield » Sa 29 Okt, 2011 17:52


Er tat einen Löffel Zucker in seinen Kaffee.
„Von welchem Blatt sind sie nochmal?“
„Vom Stadtanzeiger.“
„Ist ja nicht gerade eine Riesenzeitung.“
„Aber wir berichten über die neuesten Dinge aus unserer Stadt und sie sind langsam so etwas wie eine Stadtberühmtheit.“
Clara versuchte ihrem Gegenüber zu schmeicheln, damit dieser sich auskunftsfreudig gab und sie schnell fertig wurden. Doch er schaute weiter missmutig auf den Tisch und tat sich einen weiteren Löffel Zucker in seinen Kaffee.
„Also Herr Kramer...“
„Nennen sie mich Erik.“
„Also Erik, sie haben es geschafft bei mehreren größeren Verkaufsevents ganz vorne dabei zu sein...“
„Was heißt hier Event? Ich bin doch nicht zum Sommerschlussverkauf gegangen! Außerdem war ich nicht nur vorne dabei, ich war Erster!“
Wenigstens zeigte er jetzt ein wenig Anteilnahme am Gespräch, selbst wenn sie sich dafür zurecht weisen lassen musste, während er seiner Kaffeetasse zwei weitere Portionen Zucker hinzufügte.
„Aber sind es nicht gewisse Events wenn Apple sein neustes Produkt auf den Markt bringt?“
„Da haben sie natürlich recht.“
„Und wo genau waren sie nun dabei?“
„Mein letztes war das I-Pad2, beim ersten natürlich auch schon. Wie die gesamte I-Phone Reihe“, stolz zeigte er auf die Handysammlung die er auf dem Tisch platziert hatte noch bevor Clara das Lokal betreten hatte, „und die I-Pods natürlich auch.“
Zwischen zwei neuen Löffel Zucker für seinen Kaffee, wenn sie sich nicht verzählt hatte der Fünfte und Sechste, fand er die Zeit alle Handys auf Neuigkeiten zu überprüfen, während er seine spärlichen Antworten gab.
„Und sie waren immer der Erste in der Reihe?“
„Immer.“
„Anscheinend haben sie ein Faible für diese Marke.“
„Meine Erfolge beschränken sich nicht nur darauf.“
Er nippte vorsichtig an seinem Kaffee und verzog leicht angeekelt das Gesicht. Dann tat er einen Löffel Zucker in seinen Kaffee.
„Dann sind meine Informationen wohl nicht die Besten. Was für Erfolge hatten sie denn noch?“
„Bei Harry Potter war ich schon bei Band Drei dabei, hab damals schon geahnt, dass das 'n ganz großes Ding wird. Auch Karten für die Michael Jackson Konzertreihe hab ich erwischt. Aber das war online, da weiß man nie ob man wirklich Erster ist.“
„Aber die Konzerte sind durch den Tod des Künstlers ja ausgefallen.“
„Na und? Die Karten hab ich noch!“
Clara hatte die Übersicht über die Mengen an Zucker verloren die nach und nach in die Tasse gewandert waren, doch er schien endlich zufrieden und trank den Kaffee in großen Schlucken aus.
„Was tun sie um bei solchen Ereignissen immer ganz vorne dabei zu sein?“
„Das ist gar nicht so einfach. Natürlich muss man Tage vorher schon da sein. Es ist schwierig einen Arbeitgeber zu finden, der dafür Verständnis aufbringt, da muss man manchmal harte Entscheidungen treffen. Aber die Konkurrenz schläft bekanntlich nicht!“
„Kam es schon einmal vor, dass sie nicht der Erste waren?“
„Nie als schließlich die Türen geöffnet wurden.“
„Und vorher?“
„Das schon, aber ich habe im Laufe der Zeit Taktiken entwickelt um die Anderen auszuschalten.“
„Was für Taktiken sind das?“
Er überlegte einen Moment und überprüfte dabei erneut seine Handys obwohl bislang keines von ihnen geklingelt oder aufgeleuchtet hatte.
„Naja, bei Ihrem Blatt muss ich wohl keine Angst haben, dass das einer meiner Gegner liest.“
Sie nahm die Spitze regungslos hin und forderte ihn auf weiter zu erzählen.
„Was immer gut funktioniert ist ein Anruf vom Krankenhaus. Mit den richtigen Kontakten kann man es so einrichten, dass derjenige der vor dir steht von einer Schwester oder einem Arzt angerufen wird, der ihm dann erzählt dass seine Mutter todkrank bei ihnen in Behandlung ist, Herzinfarkt oder etwas in der Art. Das klappt doch recht häufig.“
„Nicht immer?“
„Leider nein. Es gibt ja auch die ganz Hartgesottenen, die fähig sind schwere Entscheidungen zu treffen. Da muss man dann andere Mittel und Wege finden, aber die behalte ich lieber für mich. Hab ich meinen hilfsbereiten Freunden versprochen.“
Der Kellner brachte ihm eine zweite Tasse Kaffee. Er überlegte kurz, zog dann den Zuckernapf ran und goss den Kaffee hinein.
„Und was für Freunde das sind verraten sie mir wahrscheinlich auch nicht?“
„Nein, sie haben es nicht gerne wenn ihre Namen in der Zeitung auftauchen.“
Genüsslich rührte er den braunen Brei im Zuckernapf um und lutschte ihn geräuschvoll vom Löffel.
Plötzlich sah er ihr zum ersten Mal in die Augen.
„Was machen sie denn heute Abend noch so?“
„Ich habe bis jetzt eigentlich nichts vor“, antwortete sie vorsichtig.
„Ich habe noch zwei Freikarten für die Blue Man Group. Ich weiß was sie jetzt denken - alter Hut. Ich war natürlich damals bei der Premiere schon dabei, aber heute ist sonst nicht viel los in der Stadt.“
Sie dachte nach. Eine Schönheit war er nicht gerade, auch sein Bauch war weit über den Ansatz hinaus.
„Wenn sie möchten kann ich ihnen danach auch noch meine MacBook-Sammlung zeigen, dazu sämtliche große Konsolen der letzten Jahre. Natürlich alle als Erster erstanden.“
Sie lies ihren Blick noch einmal über seine Handys schweifen.
„Na gut, warum nicht.“
Zuletzt geändert von Garfield am So 30 Okt, 2011 11:54, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Zucker

Beitragvon Le_Freddy » Sa 29 Okt, 2011 18:14


"Genüsslich rührte er den braunen Brei im Zuckernapf um und lutschte ihn geräuschvoll vom Löffel."

tach garf,

mir fiel spontan "die neuen alben sind alle scheiße" ein. :D
ich finde es ist eine schöne satire, die du da geschrieben hast. eine parabel die sich mit phänomenen des massengeschmacks (kaffee-zucker) beschäftigt, und auch immer: worin das erfolgreiche liegt früher auf etwas gestoßen zu sein. ob es nicht doch eher darauf ankommt was man mit dem bereits besessenen tut: siehe die vielen i phones.

hm die innenperspektive von klara fand ich überzeugend, glaubwürdig, allein, so viel war es ja nicht was wir über ihr denken erfahren haben, da der gesamte text eher szenisch ist. aber: das finde ich wichtig: allein als szenische darstellung hätte er nicht den gleichen unterhaltungswert. die erzählerischen einwürfe sind gut gesetzt und! (ich mag zurückhaltende erzähler) nie unnötig erklärend, präzise also.

gefällt mir!
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Re: Zucker

Beitragvon Garfield » So 30 Okt, 2011 12:07


Moin Fred

Vielen Dank für deien Kommentar, freut mich, dass dir der Text gefällt. Neben dem Massengeschmack gings mir auch um diesen Konsumzwang, ständig was neues kaufen zu müssen und häufig so tolle techn. Spielereien, die man eig. gar nicht braucht.
Schön dass Claras Beschreibung ankommt und glaubwürdig ist. Ich denke die beiden mehr zu beschreiben, tiefer zu charakterisieren würde dem Text eher schaden, ihn unnötig aufblasen.
Obwohl das szenische anfangs nicht geplant war, sondern sich so ergab.

Gruß Garf

P.S.: Bei manchen Bands sind die neuen allen auch alle scheiße! (Linkin Park!)
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Re: Zucker

Beitragvon El Machiko » So 30 Okt, 2011 14:01


Je mehr Materielle dinge du besitzt desto näher bist du da dran ein richtiger Popstar zu sein.
Das schlimme ist das sich die Leute das nicht nur einreden sondern das es Tatsächlich in der welt da drausen so ist.
Ok skillz zählen auch was, aber auch die werden von dem Falschen bild der menschen unterjocht. Wenn du der beste bildhauer der welt bist bist du in den augen der menschen nicht so viel wert wie wenn du der beste schriftsteller bist.

In der Musik welt komen Bands oder Künmstler hoch wegen ihres Styles. Es ist was neues und die leute lieben diesen stiel. jeder Künstler hat aber den bedarf sich weiter zu entwickeln was neues zu machen. Aber damit noch genauso erfolgreich zu bleiben schaffen nur wenige. Viele können sich noch gut halten, haben eine fanbase auch wenn der Hype nicht ganz so groß ist wie zu anfang. Mann darf aber auch nicht alles zu gut und zu perfekt machen.
Stichwort Micheal Jackson oder auch Elvis oder Tupac. Die Leute mögen das nicht. Sie halten es für zu unmenschlich zu überirdisch und wollen dich runterreissen. Das ist so wie ein zombiefilm. Sie warten nur auf die gelegfenheit dich zu zerfleischen wie die Assgeier.

Ich will dazu noch was anmerken.
Ich hab ja auch schonmal in einer Firma gearbeitet oder so in unternehmen. Wo es ein paar mehr mitarbeiter gab. Da ist es das gleiche. Die die aufsteigen werden von viuelen nicht gemocht. Weil sie besser arbeiten, schneller, effektiver und einfach mehr sehen. Die anderen spüren da den direkten vergleich weil sie einfach nicht so gut sind. In firmen hält siuch der missmut allerdings in grenzen den keiner will unangenehm auffallen. Aber es wirt über den guten getuschelt. es gibt zwar auch freunde die sich dranhäöngen die mitgezogen werden wollen aber die anderen freuen sich insgeheim wenn du es nicht schaffst. Sie mögen ihn nicht weil er sich nicht am getratsche beteiligt, weil, er in den pausen nicht soviel über fernsehshows sondern mehr über die firma spricht, über produkte aus anderen abteilungen die mitr seiner aufgabe gar nichts zu tuen haben. Und sioe mögen ihn nicht weil er die entscheidungen die lästig für die arbeiter sind und damit klarkommt weil diese umsatzsteigernder sind.
Zuletzt geändert von El Machiko am So 30 Okt, 2011 14:09, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Zucker

Beitragvon Garfield » Mo 31 Okt, 2011 12:38


El Machiko hat geschrieben:Je mehr Materielle dinge du besitzt desto näher bist du da dran ein richtiger Popstar zu sein.
Das schlimme ist das sich die Leute das nicht nur einreden sondern das es Tatsächlich in der welt da drausen so ist.

Sicher? Dieses Bild wird halt von der Werbung, Medien etc. vermittelt, aber man kann es schon schaffen das nicht so an sich ran zu lassen. Ich kenn keinen den ich mehr schätze weil er viel besitzt und etliche die ebenso denken. Sicher kann man es nicht komplett ablegen, dafür ist es zu sehr in der Gesellschaft verwurzelt. Ich hab auch irgendwann festgestellt, dass ich zu viel technischen Spielkram besitze und mich gefragt wozu ich das überhaupt brauche, und alle Investitionspläne erstma auf Eis gelegt.
Und von der Welt kann man ohnehin nicht sprechen, höchstens der westlichen...
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