Geschichten zum Thema Alltag

Frohe Weihnachten

Beitragvon kokoschanell » Do 18 Okt, 2012 10:33


Frohe Weihnachten


Und wieder einmal naht der Tag, da sie gebären sollte. Gebären all diejenigen, die vorher in der Unüberschaubarkeit verschwunden waren und die nun zu hunderten aus ihren Autos steigen, um in der Kirche die frohe Botschaft zu hören. Wie aus einer Maschine, die Christen spuckt.
Stühle werden herbeigeschafft, um die Bankreihen zu erweitern.

Und wieder naht der Tag, an dem sie gezählet werden sollten. In freudiger Erwartung steht der Paster an der Kirchenpforte, eine Hand am schwarzen Revers, um jeden einzeln zu begrüßen.
„Meine Güte, ist der dick geworden“, denkt Frau Müller. Ja, es fällt einem nicht auf, wenn man jemanden oft sieht.
Vorsichtig schaut sie sich um. In Schal und Winterjacke, der guten, gehüllt, strömen die Gläubigen in die kleine protestantische Kirche. Einige nicken grüßend. Wer war das noch? Es duftet nach Christbaum, die Orgel spielt schon „Stille Nacht, Heilige Nacht“.

Frau Müller setzt sich in Reihe sieben, nicht zu weit vorn – man will ja nicht auffallen, aber auch nicht zu weit hinten, um das Krippenspiel zu sehen. Murmeln, irgendwie zieht es.
Frau Müller ärgert sich, dass sich ausgerechnet eine Dame mit dickem Schnupfen neben sie setzt. „Konnte die sich nicht woanders hin bequemen? Morgen bin ich krank,“ denkt sie und rückt weiter nach links. Der Nachbar wirft ihr einen unzufriedenen Blick zu .
Frieden auf Erden.
Der Paster beginnt seine Litaneien vorzutragen.
Frau Müller denkt an den Film, den sie gestern im Fernsehen über Afghanistan sah und der sie sehr schockierte.

„Ich glaube an..“, beim sechsten Vers des Glaubensbekenntnisses stockt der Nachbar und wartet auf die Vorgabe von Frau Müller. Die aber spart sich das Bekenntnis zur heiligen christlichen Kirche. Der Nachbar kommt ins Trudeln.
Frau Müller lächelt und schaut auf den großen Tannenbaum, der unten recht dürr ist.
„Damals,“ erinnert sie „damals waren die Tannen noch Tannen!“.

Die Kinder sagen die fleißig gelernten Sätze auf- das Krippenspiel läuft gut. Perfekt ohne Fehler. Bei der anschließenden Kurzpredigt beginnen die ersten Besucher mit den Füßen zu scharren, einige husten. Bald ist der Raum von Husten erfüllt.
Man kramt in den Taschen, irgendwann kommt doch immer ein Klingelbeutel rum. Da muss man vorbereitet sein. Nicht, dass man aus Versehen ein Zwei-Euro-Stück hineinwirft.

Eindringlich spricht der Paster gegen die aufkommende Unruhe an - von der Menschlichkeit auf Erden, zu der doch bitte alle beitragen sollen, redet er.
Frau Müller überlegt, ob sie auch den Braten runtergestellt hat. Na, das wär ja was, zu Heilig Abend Brandenburger…

Beim obligtorischen Abschlusslied „Oh du fröhliche“ hustet niemand mehr, alle singen voller Inbrunst. Menschlichkeit- ja!

Die ersten stehen kurz danach auf und begeben sich zum Ausgang. Frau Müller ist dabei. Sie traut dem Braten nicht.
Sie hastet zum Auto. „Verdammt“, sagt sie. Ein fetter Van hat sie zugeparkt.
Zuletzt geändert von kokoschanell am Do 18 Okt, 2012 12:08, insgesamt 1-mal geändert.
Vielleicht stünde es besser um die Welt, wenn die Menschen Maulkörbe und die Hunde Gesetze bekämen.

G.B. Shaw
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Re: Frohe Weihnachten

Beitragvon Garfield » Mo 05 Nov, 2012 00:10


Moin Koko

Deinen Text über die geheuchelte Teilnahme am alljährlichen Weihnachtsgottesdienst finde ich leider wenig originell. Das Thema selbst ist nicht neu und der Text steuert da auch nichts bei. Sofort am Anfang wird einem klar, worum es geht und das bleibt dann so, es gibt keine Entwicklung, keine Überraschungen, einfach keine Gedanken an denen man hängen bleibt. Da ist nur Heuchelei in der Kirche, Heuchelei zu Weihnachten, das kennt man aber schon.

Wirklich gefallen tut mir der erste Absatz, aber danach läufts dann wie oben geschrieben. Was mich vom Stil her stört sind diese, ich sag mal besserwisserischen, Einschübe, wie:
Ja, es fällt einem nicht auf, wenn man jemanden oft sieht.

man will ja nicht auffallen

Da muss man vorbereitet sein.

usw.

Da solltest du doch lieber an der Situation zeigen, oder wenigstens in der Gedankenwelt der Protagonisten etwas farbiger formulieren. So fühlt man sich so bevormundet, wie man in dieser Geschichte zu denken und fühlen hat.

Richtig deutlich wird das hier:
Frau Müller denkt an den Film, den sie gestern im Fernsehen über Afghanistan sah und der sie sehr schockierte

Da wär es doch viel interessanter zu beschrieben: Was hat sie gesehn? Was daran hat sie schockiert? Welche Situation hat in ihr jetzt diese Assoziationne und Erinnerungen geweckt?

Ich hoffe ich konnte verständlich machen, was ich meine und was mir persönlich hier fehlt.

Viele Grüße, Garf
Kurz, er bewies eine Geduld, vor der die hölzern-gleichmütige Geduld des Deutschen, die ja auf dessen langsamer, träger Blutzirkulation beruht, einfach gar nichts ist.
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