Geschichten zum Thema Alltag

N° 14 Blüten

Beitragvon C.J. Bartolomé » Do 28 Feb, 2013 18:46


Auf dem Campus der LMU München bilden die Rückseite der Schellingstraße Numero 3 mit seinen Parkhaus–Lüftungstürmen, die Ludwigstraße 25 mit ihrer hohen Fassade, der überdachte Gang zum Rückgebäude auf dem Hof und das Rückgebäude selbst einen viereckigen Hof, dessen Abgeschlossenheit durch die genannten Bauwerke nur unterbrochen ist durch einen betonierten Weg zur Straße und zur U–Bahn. Das Rückgebäude schichtet Glas und dünne Stahlbetonplatten aufeinander, seine breite Front nach Norden und zum Vordergebäude zieht sich glatt seine siebzig Meter lang und fünfzehn hoch. Auf der östlichen Seite beherbergt der Kasten aus den sechziger Jahren über drei Stockwerke Bibliotheken; leblos, braun und lichtlos zombien Existenzen zwischen den Bücherregalen.
Dicht an der Fassade des Rückgebäudes pflanzte ein Hausmeister einen Kirschbaum zur rechten Zeit. Sein Stamm voll dünnhäutiger Rinde zeugt von seinem mittleren Alter, sein Umfang scheint gerade groß genug, um die ausladende, lichtgesättigte Krone zu tragen. Vor Tagen sind die Äste an den Fenstern zu einer üppigen Wolke aus weiß und grün gesprießt. Jeder Zweig knospt unzählige weiße, fünfteilige Blüten mit gelbem Zentrum, als Beigabe schon zu so früher Jahreszeit kränzt der Kirschbaum jede Blüte mit jungen grünen Blättern.
Im millionenfachen Aufspringen der lockenden Vegetation brummen nun Hummeln hinein, voll Lust und sinnlicher Begierde tanzen sie im Rausch des Befruchtens von einem lodernden Ast zum nächsten, ihre Beine aufgeplustert vom grellen Pollen, versinken sie in dem Süßesten. Jedes Animalische fehlt dem Baum, alles Psychische, Blutige scheidet die Natur von ihm. In dem Grün liegt die Sehnsucht nach dem Licht der Sommertage, das umgewandelt in die Früchte fließen wird. Das hölzerne Tragwerk breitet die Blätter aus, sichert ihnen den Platz und entspross doch einst selbst einem Samen, den der Ausgewachsene zuhauf in die Welt werfen wird, wenn die frühe Sommerzeit endet. So früh blüht die Kirsche, denn jeder Tag hat kostbare Sonnenstrahlen; und auch die Hummeln arbeiten an ihrer Pflicht, wenn sie Pollen sammeln und einen uralten Handel mit den zu befruchtenden Stempeln treiben. Nur der Mensch, der einmal seine Pflicht tat und den Obstbaum pflanzte, wartet die Schönheit des frühlingshaften Gestaltens ab und streckt erst dann seine Hände wieder aus, wenn der Hochsommer naht und die reifen Kirschen ihn nähren können.
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