Geschichten zum Thema Alltag

N° 28 Löwenzahn und Barbara

Beitragvon C.J. Bartolomé » So 14 Jul, 2013 16:35


Die ganze Welt glich einer Wiese, auf der Häuser, Bäume und Statuen stehen, aber nur im englischen Garten sah jedermann, dass es so war. Dort lag eine Wiese, auf die dicke Buchenstämme, junge Eichen und Ahorne gesteckt, an deren Rand Flieder und Häuser eingegraben worden waren, sodass sie beinahe verschwand unter all dem Gerümpel. Auf die Wiese betteten Landschaftsgärtner noch Wege aus Sand und ein paar Bänke daran, ein paar Alupfosten rammten sie hinein, um Mülleimer daran zu befestigen, den sechssäuligen Monopteros bauten sie auf eine kleine Anhöhe; schließlich öffneten sie im Süden das Stauwehr und der Schwabinger Bach bezog seinen Weg. Fertig. Mit der Zeit machte es sich eine Kolonie Maulwürfe unter der Wiese bequem; kleine Hügel zeugten davon. Der ostwindgetragene Regen sank ein in das Millionenwerk der Halme. Die Weite der Ebene ließ Hunde, die sich im Kreis nachhechelten, ganz klein aussehen, und auch Barbara hatte sich einen Platz mitten in den Löwenzähnen gesucht, wo sie fast verschwand, denn die leicht welligen und langgezogenen Hebungen und Senkungen der Wiese verdeckten sie. Frei ihrer Stoffe schlummerte sie in der Maisonne. Wenn eine Hand gewachsen wäre, so groß, so enorm ausgedehnt und so flach, und senkte sie sich behutsam auf die Wiese, dann kitzelten zu aller erst tausende Löwenzähne an der Palma, das Meer aus gelben Punkten schmiegte die Hand mit gelben Püscheln aus leuchtend gelben Blütenblätterstreifen. Schrumpfte sie auf Barbaras Handgröße, steckte sie zwischen dem Löwenzahn fest. Griff sie langsam einen Stengel, legte sie sich um das dünne Röhrchen, packte fest zu, würgte – weißer Saft quoll. Sie ließ den gelben Kopf nicht mehr los, bis er bei ihr zu Hause in einer länglichen, hinreichend nassen Vase steckte. Glücklich über den Besitz schlief sie ein, doch als am Morgen das gelbe Köpfchen über dem Rand hing, fuhren ihr Schrecken und Gier in die Glieder nach geradem, schönem, stolzem, erhobenem Blütenstand.
Sie eilte zurück auf die Wiese, bückte sich und riss die schönsten heraus, soviele in ihre Hände passten; doch am nächsten Morgen geschah dasselbe. Sie nahm einen Sack mit und sammelte ihn voll, auf Knien kroch sie, den Hunden in ihrer Art gleich, über die weite Wiese und mähte den Löwenzahn, bis der Sack voll war. Zu Hause ersäufte sie die duftende Masse in der Badewanne, doch am nächsten Morgen – im Schlafanzug raste sie auf die Wiese und sah plötzlich. Ein Pärchen schlenderte plaudernd durch die Wiese, die Hände hielten sie ineinander. Ihre Augen schweiften und sie hatten goldene Füße vom Pollen; sie lachten darüber. Als Barbara das sah, begann sie, barfuß über die Wiese zu schlendern bis sie in den Himmel sah und vollen Herzens über den goldenen Staub an ihren Knöcheln lachte. Beim nächsten Schritt aber verfing sich ein dicker, prächtiger Stengel zwischen ihren Zehen, die Macht ihrer Bewegung riss ihn ab, plopp! Sie sah hinab auf das Ineinander, zuckte zusammen, drehte sich um und rannte über die Wiese, um möglichst viele Stengel zwischen die Zehen zu bekommen; doch schon auf dem Weg über den Asphalt zermalmte ihr Gewicht die Blüten und Stengel, in ihrer Wohnung – nichts als Matsch an ihren Sohlen.
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C.J. Bartolomé
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