Geschichten zum Thema Alltag

N° 30 Der Dicke

Beitragvon C.J. Bartolomé » Do 25 Jul, 2013 08:01


Die schweren Münchener Mauern hatten den Weltkrieg überlebt und ruhten weiter in den alten Fundamenten der Königsstraße 3, des Eckhauses der 1 mit dem Bäcker und der Veterinärstraße 68 mit dem Modegeschäft. Über fünfzehn Wohnungen lagen in den drei Häusern, massive Holztreppen mit schmiedeeisernen Handläufen führten zu ihnen. Irgendwo in der 1 aß, schlief und krabbelte der Eigentümer der Riesen, Mahus, ein alter, über achtzigjähriger Mann. Seine zierliche, magere Figur trug schwer an der dicken, schwarzen Hornbrille, seine pfiffigen Augen stark vergrößernd. Ihm flossen alle Mieten in die Tasche, er war der Kopf der Häuser, er regierte sie aus seiner Höhle.
Im Hinterhof der drei über Eck stehenden Vierstöcker – Föbelfet stand hier und wartete auf etwas – hatten einmal nur Kisten, Räder und ein Plumpsklo gestanden. Mit der Zeit legten Bauarbeiter einen dünnen Streifen Fundament in die Mitte des Hofes, auf dem sie Stein für Stein ein Mäuerchen langzogen und es nach zwei Metern durch Balken ins nachbarliche Hofgebäude vor dem Umkippen schützten. Nach fünf Metern machten sie Schluss und nagelten ein paar Quadratmeter Pappe auf die Dachlatten. Auf sechs kurze Stahlstengel, die sie senkrecht in die Pappe hieben, legte einer drei Stangen waagerecht, deckte sie mit Brettern zu und bändselte einen Sichtschutz aus Plexiglas ringsherum.
Der Moment war gekommen. Nun kletterte der Hausmeister, Herr Föbelfet, über die Leiter, stellte seinen Sonnenstuhl in die Mitte der Plattform, klappte die Lehne ganz nach hintern und fiel hinein; um ein kleines Schläfchen zu machen. Die Hölzer ächzten, aber hielten stand, die Stahlstengel versanken in der Pappe.
Manchmal öffnete der dicke Hausmeister die Augen ein wenig und sah hinab in das rege Treiben da unten im Hof; ruhig blieb es oben bei ihm, das Geheul und Gebrumm der Straße, die Schreie, Flüche und der dröhnende Diesel der 154 prallten an der Häuserfront ab. Er schlief weiter, es hob und senkte sich sein runder Bauch unterm Hemd. Tagelang passierte nichts. Morgens stieg er für Brötchen und Bild hinab, abends zelebrierte er Bier und fieberte mit dem Bildschirmball über den Rasen, dass die Laube wackelte. Abgeschirmt von der regen Straße zeugte er einen Sohn mit einer Gattin Föbelfet, und alle drei lebten im Hof hinter den hohen Häusern.
Aus den Häusern strebten die Mieter in die Stadt und brachten Geld mit nach Hause, von dem sie Mahus zahlten. Ein kleiner Teil floss weiter zu Föbelfet, von dort zurück auf die Straßen der Stadt.
Einmal, vierzig Jahre nach seiner Geburt, schoss Föbelfet Junior die Hexe in die Wirbel – aber, das war der besondere Tag, von dem hier nicht die Rede sein kann.
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C.J. Bartolomé
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