Paradiese gibt es inzwischen in Fülle, Kinder-, Spar-, Bekleidungs- und Gemüseparadiese, jedoch gibt es nur ein Fahrradparadies und das ist der Niederrhein. Eine flache, touristisch wertvoll ausgebaute Gegend, in der man das nächste Ziel schon immer erkennt am Kirchturm, der aufragt gegen den wechselweise weißwolkig betupften oder rein blauen Horizont.
Uns begeisterten Radlern war das Ziel schnell klar, der liebsten Freundin und mir: Brüggen, ein feines Städtchen inmitten zunehmend unberührter Renaturierungsbemühungen. Ein ehemaliges Munitionslager der britischen Armee befindet sich dort, seit mehreren Jahren sich selbst und erholungssuchenden Freunden unverfälschter Ursprünglichkeit überlassen.
Wir befuhren die hervorragend ausgebauten Wege, atmeten die authentischen Düfte, folgten den Spuren des scheuen Wilds und dachten uns Geschichten aus. Dort, auf diesem Hügel, krochen getarnte Soldaten gegen den Feind, der mit üblen Mitteln ankämpfte gegen die Übermacht. Munitionsgürtel rotten in Schützengräben, Granaten splittern in Unterstände aber lassen wir das.
In Wahrheit war alles friedlich, kein Mensch zu sehen, nur wir und die Wildschweine am Waldrand. Wildschweine, Moment mal, Frischlinge und keine Keiler in Sicht, das heißt absitzen zum Photo machen. Wir schlichen uns also mit gezückter Kamera heran, verzückt von der Aussicht. Niedliche Schweinchen mit Streifen und Geruch, wo kriegt man sowas schon zu sehen?
Das nächste, das wir zu sehen bekamen, war eine eilig heranrückende Horde erwachsener Keiler mit wütend zugekniffenen Augen. Glücklicherweise befand sich eine bekletterbare Kiefer in erreichbarer Nähe, so dass wir dachten, der Ereignisse in Ruhe harren zu können.
Der Juli ist einer der Monate im Jahr mit den ergiebigsten Regenfällen. Bis dato hatte dieser Juli nichts davon gewusst, nun aber hatte er wohl nachgelesen. Es begann mit einem leichten Tröpfeln, steigerte sich über schweres Nieseln zu prasselndem Sturzregen und schwang sich auf zu ausdauerndem Gewitter. Wir sassen in den Zweigen, komplett durchnässt und hatten kein Netz auf den Handies. Inzwischen machte sich die Schweinerotte über unsere Fahrräder her und versuchte, die Satteltaschen zu öffnen, was ihr auch gelang unter Zuhilfenahme sämtlicher Zähne. Selbst durch das Wüten des Sturms hörten wir das Entweichen der Luft aus den zerstörten Schläuchen.
Langsam gerieten wir in Panik, als plötzlich einer der zahllosen Blitze den Nachbarbaum sprengte und in Brand setzte. Das feige Schweinsvolk versteilte sich schlagartig, wir kletterten den Baum hinab, schulterten unsere zerstörten Räder und machten uns auf den anstrengenden Weg zurück durch Schlamm und Regen. Ich verlor meine Funktionsschuhe und lief barfuß weiter.
Stunden später erreichten wir das Camp. Wegen des Gewitters war der Strom ausgefallen, das Wasser drang von allen Seiten in die Unterkunft, die Temperatur war dramatisch gefallen. Wir wickelten uns umeinander in die wenigen Decken und sprachen vom nächsten Urlaub. Centerpark, Großstadt, Massentourismus, egal.