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Humoristische Geschichten, Satiren
von Ruelfig » Fr 21 Nov, 2008 23:12
Lichtlein
An der Eingangstür hängt ein Adventskranz aus Plastik mit einem umlaufend geschalteten Kreis von bunten Birnchen. Ich zähle mindestens sieben Farben, bevor mir geöffnet wird. Die Türglocke spielt "Jingle Bells", polyphon. Ich stehe vor einer Mischung aus Grinch und Rudolf, dem rotnasigen Rentier. Die Gestalt hält eine Flasche Glühwein in der rechten Hand und ein elektrisches Räuchermännchen in der anderen. Es riecht nach Sandelholz und alter Pisse. "Was iss'n"? lallt die Erscheinung. "Ich komme von der Firma Kalori und möchte die Heizung ablesen", ist meine Antwort. Wortlos macht der Rotgewandete den Weg in die Wohnung frei. Im Flur stehen zwei Rentiergespanne, umfassend illuminiert. Überall Lametta und blinkende Weihnachtsbäume, aus verschiedenen Zimmern hämmern unterschiedliche Weihnachtslieder. Am lautesten ist Last Christmas. Es riecht nach gebrannten, nein eher nach verbrannten Mandeln und Wunderbäumchen mit Tannenduft, leicht unterlegt von Zimt, Koriander und Billigwein. Die Heizung im Flur ist zu heiß, um sie zu berühren. Ich tausche das Röhrchen und betrete den Stall von Bethlehem. Drei Lebensgrosse Krippen nehmen den größten Teil der Bodenfläche ein, darüber kreisen silberne Engel mit Hörnern und Trompeten. Die Fenster sind komplett behängt und zugestellt mit blinkenden Installationen. Während ich drei Tannenbäume vom Heizkörper entferne, drückt der Hausherr mir eine Tasse mit dem Aufdruck "Weihnachtsmarkt Herne, 1976" in die Hand. "Willsu auch ein'"? Der Boden ist bedeckt mit zerbröselten Lebkuchenherzen und Marzipan. Ich nehme das Gefäß und lasse es unter dem Rock der Maria verschwinden, die mir am nächsten steht. Im Schlafzimmer liegt ein Paar im Bett und frohlockt, bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet von circa zweihundert Lichterketten. Eine größere Anzahl Räucherkegel macht das Atmen anstrengend, ich schlage mich durch eine Rotte lobpreisender Engel zur Rippe durch, lese ab und wanke in die Küche. Am Tisch sitzen mehrere Hirten vor Bechern voll einer undefinierbaren Flüssigkeit und drei Königsfiguren werfen mit Gold, Myrrhe und Weihrauch um sich. Der Heizkörper befindet sich hinter einer Esels- und Rinderherde. Das Bad ist besetzt von einer Horde elektrifizierter Heilande, die in unregelmäßigen Abständen "Hosianna" ruft. Ich lasse mir von dem auf dem Klo stöhnenden Hausherrn den Ablesezettel unterschreiben und begebe mich zur nächsten Wohnung auf der Liste.
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von Orange » Mo 24 Nov, 2008 21:05
Hi Ruelfig! Endlich eine Weihnachtsgeschichte für Weihnachtshasser!! Eigentlich ist mir diese Geschichte fast einen Tick zu böse und eskaliert, aber das ist keine Kritik, sowas ist ja Geschmackssache. Jetzt noch ein paar kleine Anmerkungen: "Rudolf, dem rotnasigen Rentier" ich würde Rudolf the Rednose Reindeer auf Englisch schreiben, beim Deutschen habe ich erstmal einen Moment gestutzt. "ist Last Christmas" würde ich in Anführungszeichen setzen, ich bin erstmal aus dem Lesefluss rausgeflogen (aber ich kenn mich mit Weihnachtsliedern auch nicht so gut aus.) "nein eher nach verbrannten Mandeln " dieser Ausdruck gefällt mir, allerdings würde ich das "nach" streichen, weil du es im anderen Satzteil schon hast und das ganze auch ohne Sinn ergibt. "Drei Lebensgrosse " ich glaube man schreibt es klein (Adjektiv, oder?) Das sind natürlich nur Kleinigkeiten. Insgesamt gefällt mir deine Geschichte wirklich gut. Sonnige Grüße Orange
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von Ruelfig » Do 27 Nov, 2008 00:04
Hallo Orange, danke für deine Antwort. Die Kritikpunkte sind berechtigt, ich werde ändern. Zu übertrieben? Ich denke nicht. Grüße von Grinch zu Grinch. Salve Santa, R
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von Ruelfig » Do 27 Nov, 2008 23:44
Hallo Schwarzauge, klar, stereotyp und Klischee, bei dem Thema. Aber sind wir Schreiberlinge nicht schon froh über die kleinste Reaktion? Schon ein Schmunzler kann die Welt verändern. Danke für deine Antwort, R
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von Fuenkchen » Mi 24 Dez, 2008 00:06
Guten Abend Ruelfig!
Hab gerade einen Schokonikolaus geschenkt bekommen und war voller positiver Energie, da stoße ich auf deine Geschichte. Ähem, na gut, kommen wir zur Auswertung ;)
Ich kann mir gut vorstellen, dass so manches Haus im blinkenden Amiland ähnlich geschmückt ist. Ich erinnere mich da an eine Fernsehsendung, in der sie amerikanische Villen gezeigt haben, die in Leuchterketten eingewickelt waren, die in allen verschiedenen Farben leuchteten. Dazu pinkes Lametta, pinke Rentiere - alles, was es so an Geschmacksverirrungen gibt. Also, leider ist es nicht übertrieben. Es ist die Realität (wenn auch nicht bei uns in Deutschland). Trotzdem hast du dir da echt ein Extrem ausgesucht ;)
Ganz interessant deine Geschichte. Das Haus ist absolut kitschig eingerichtet und man erwartet Bewohner mit einem Dauergrinsen, die unter dem Tannenbaum den ganzen lieben langen Tag Weihnachtslieder singen. Stattdessen treten Menschen mit "Assislang" in Erscheinung oO Wie verstörend. Unterstützt meine Annahme, dass an Weihnachten alle Menschen ganz happy und friedlich tun, sogar die größten Assis. Die Welt ist unnatürlich bunt und froh, auch da, wo es gar nicht passt. Vielleicht habe ich da etwas anderes hineininterpretiert als du dir dabei gedacht hast. Lass es mich einfach wissen ;)
Sprachlich ist mir nichts negativ aufgefallen.
Liebe Grüße, Fünkchen.
Ach und: Schöne Feiertage! Vielleicht kommst du ja doch noch irgendwie in Weihnachtsstimmung :)
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von labahannes » Mi 24 Dez, 2008 00:21
Hey Ruelfig da ihc mich grad nich in Weihnachtsstimmung befinde, gefällt mir die Geschichte sehr gut wie immer sehr gut mit humor gewürzt, tut mir Leid wenn ich imemr nur "arschkriecherei" machen kann aber ich finds nun mal gut und kann nichts verbessern
Johannes
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von Ruelfig » Mo 05 Jan, 2009 03:19
Hallo Fuenkchen entschuldige bitte die späte Antwort, ich war beschäftigt. Deine Leasart ist nach meiner Schreibart wohl völlig korrekt. Hallo Labahannes, keine Ursache. Du hörst und spirldt die richtige Musik, mach weiter so. Euch LG, R
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von Sjel » Mi 21 Jan, 2009 01:30
Die Stereotypen in dieser Geschichte sind gut ausgesucht und gut durchgearbeitet, daher schaden sie der Geschichte nicht. Zudem lebt eine Anti-Weihnachtsgeschichte von der Überziehung von Stereotypen. Mich erfreut sehr der Detailreichtum. Die ganze Würze steckt in den Umschreibungen, nicht in der Handlung, die ja sparsam ausfällt.
Vielleicht eine Anmerkung zur Form: ich hätte mir beim Lesen mehr sichtbar gemacht Absätze gewünscht. Als ein Stück kommt der Text mit seiner Komplexizität der Beschreibungen doch etwas zu schwer lesbar für ein humoristisches Stück daher. Mehr Absätze könnten den Lesefluß erleichtern.
Nette Grüße. Sjel.
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von Ruelfig » Mi 21 Jan, 2009 18:32
Hallo Sjel, danke für deine Antwort, schön, dass es dir gefällt. Stimmt, die Form, da muß ich noch mal bei. LG, R
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