Humoristische Geschichten, Satiren

... und auf die Anderen pfeif ich sowieso.

Beitragvon Sagahock » Mo 21 Dez, 2009 19:54


Hinaus aus der U-Bahn. Unter meinen Kopfhörern vernehme ich undeutlich die Stimme aus dem Lautsprecher: „Sehr reehrte Fahrreste, Züge in Richtung Hitteldorf werdähn über Meidling kurzgefiart – wir dankn für ihr Vaständnis.“ Ich erhebe meine Hand und signalisiere dem Lautsprecher, dass man sich mein Verständnis durch im Normalbetrieb fehlerhafte Leistung verdienen muss. Weiß nicht, ob er’s verstanden hat.
Die Treppe rauf – links von mir wankt ein Besoffener, dreht sich zu mir und schreit laut „Hedda!“ – ich schaue, dass ich möglichst schnell den oberen Treppenabsatz erreiche.
Junkies in der Opernpassage, aus dem McDonalds in der Ecke glänzen mir lamettabehangene Tannenzweige entgegen, dahinter wischt eine Bedienung den Schmutz der Straße auf.
Ich gehe den Gang entlang, den Blick gesenkt – hoffentlich spricht mich jetzt keiner an.
Gott sei Dank, Ende der Passage.
Ich gehe weiter, rutsche auf dem dreckigen Schnee auf dem Boden aus – ein eleganter, bestimmt extravagant wirkender Spagat rettet mich vor dem Kniefall.
Von der linken Seite der Rolltreppe ins Freie, aus der Toilette, dröhnt mir irgendein schrecklich gecovertes Weihnachtslied entgegen; nach kurzem, angestrengtem Zuhören erkenne ich „Feliz Navidad“ – unter donnernden Schlagzeugrhythmen hört man irgendwo den Sänger ins Mikro brüllen.
Vor mir auf der Rolltreppe steht eine Frau in ihrem dicken Pelzmantel – hinter mir steht schon eine lange Schlange japanischer Touristen, die mich zwingen, mich direkt hinter die Frau zu stellen; mit einem toten Fuchs im Gesicht erinnere ich den Weltenschöpfer daran, dass Zeit Geld ist. Der Regenschirm der Frau wippt mit jedem Meter auf – ab – auf – ab, mir schwant Übles, hinter mir drängen sich die Japaner auf der Rolltreppe, ich beuge mich zurück, der Regenschirm schwebt bedrohlich vor meinem Gesicht – da, endlich im Freien, ich kann mich wieder bewegen, der Schirm schwingt (mitsamt Frau) wieder nach vorne und ich beschleunige meinen Schritt.
Rums, ich krümme mich auf dem Boden, der Frau hat es den Regenschirm aus der Hand gerissen. „Mon dieu!“, kreischt sie, und „Qu’est-ce que vous avez pensé? Vous n’avez pas de yeux?“ – ich reiße mich zusammen, entschuldige mich auf Deutsch, sie glotzt mich blöde an; na gut, dann auf Französisch: „Pardon.“
Nach gut einer halben Minute bin ich mit den Nerven und sie mit ihrer Schimpftirade am Ende. Endlich dreht sie sich um und verschwindet in der Menge. Von irgendwoher höre ich den nächsten Schmerzensschrei – hätte ich Zeit genug, ich hätte jetzt bestimmt mein Bedauern für denjenigen geäußert, der das nächste Opfer dieser „’übschen Ma’ame“ ird, äh, wird.
Draußen im Freien schneit es, der Schnee liegt viel zu hoch für die Innenstadt. Über mir, neben mir und unter mir – überall Licht, Freude, Weihnachten . Mein Gott. Achja, ich hab’s eilig. Gute Ideen leben nur für den Moment.
Also weiter über die Ringstraße; von irgendwoher dringt der unverkennbar sanfte Ton eines Playback-Sänger-Bettlers herüber – „Feliz Navidad“, covered Version. Ich freue mich mal wieder, nicht in unmittelbarer Nähe des Geschehens zu sein. Langsam entschwindet der Klang des Heavy-Metal-Playbacks in der Ferne, zwei Straßen weiter, noch zehn Minuten Zeit, es geht sich eben doch aus.
Aus den Schaufenstern glotzen mich Werbetafeln dümmer an, als es Puppen jemals könnten. Ich empfinde in diesem Moment eine tiefe Solidarität zu den Überzeugungstätern im Bereich der Schaufensterbrandstiftung – vor allem um Weihnachten herum.
Nächster Platz, acht Minuten noch. Japanische Touristen fotografieren, der Rest der Passanten läuft mit gesenktem Kopf und schweren Aktenkoffern oder noch schwereren Säcken mit Weihnachtsgeschenken über den Platz und denkt wohl wie ich.
Da, plötzlich, beginnt neben mir ein Bettlerorchester zu spielen. Ich merke wie ich stehenbleibe; ich? Nun ja, meine Füße zumindest, und ich gehorche dem Impuls. „Darf ich bitten zum Tango um Mitternacht“. Der Takt reißt mich mit, und ich merke, dass ich einen Schritt vorwärts gehe. Noch einen. Wiegeschritt. Rück – seit – Schluss. Eine Drehung. Es wirbelt mich im Kreis, immer schneller. Ich werfe den Mantel von mir, japanische Touristen fangen an, mich zu fotografieren, aber egal, es gibt nur mehr den Takt. Passanten glotzen mich blöde an – aber nein, über ihnen ist jetzt keine Weihnachtsbeleuchtung mehr, da sind die riesigen Luster eines Ballsaales, und als ich meine Drehung beende, steht vor mir eine reizende Dame, lässt sich führen, spürt mit mir.
Mein Körper ist im Einklang mit dem unbändigen Strom des Orchesterklanges, rings um uns applaudieren händeringende und ungläubig schauende Zuschauer. Oder applaudiere ich selbst? Ich bin ja die Musik, ich bin der Takt. Figuren, die ich gar nicht kenne, wild anmutende Schwünge, und meine Partnerin ergänzt mich, als würde ich mit meiner eigenen Spiegelung tanzen.
Zeitlosigkeit.
Man starrt. Scheiß drauf.
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Re: Der 0-8-15,5 Weihnachtshass

Beitragvon Ruelfig » Mo 21 Dez, 2009 21:13


Hallo Saga,
der Titel ist doof (08/15), die Geschichte ist prima und lass zum Schluss das Betteln um Kommentare, bitte. :)
Kleine paar Anmerkungen: "Unter meiner Haube", hallo? Vielleicht: durch die Kopfhörer.
"rutsche beinahe auf dem vom dreckigen Schnee rutschig", ein mal rutschig reicht.
"hinter mir steht natürlich schon" ist das natürlich, weil wir in Wien sind?
"dass Zeit Geld ist", da solltest du dir was neues ausdenken, der Spruch ist ausgelaucht
"Kunstlicht, Kunstfreude, Kunstweihnachten", lass das "Kunst" weg.
"Zeitlosigkeit.
-Und dann, das Orchester endet. Fassungslos stehen die Leute um mich herum. Mützen, Pelzmäntel, Weihnachtseinkäufe, Schnee; Kunstlicht. In meinen Händen mein eigener Mantel. 2 Minuten. Ich komme zu spät. Hm. Scheiß drauf.-------
Mal ein Versuch, wieder mehr in Richtung Epik zu gehen - Kommentieren wäre "ur" nett =)
Lg Saga"
Lass das weg.
Deine Geschichte ist originell und amüsant, wenn sie nicht wertet und unerwartete Wendungen nimmt (da sehe ich z.B. die Skinheads kritisch, weil die erwartet jeder "kritische" Leser in einer "kritischen" Geschichte. Insgesamt gefällt mir der Faden, der im Nichts endet.
Gerne gelesen,
R
Endlich Nichtdichter
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Re: Der 0-8-15,5 Weihnachtshass

Beitragvon Sagahock » Mo 21 Dez, 2009 21:27


Danke fürs Kommentieren =)

- Ja, natürlich, weil wir in Wien sind ... Wiener Innenstadt, Touristen aus mehr Ländern als Österreicher dort herumrennen ;) habs trotzdem geändert.
Hab den Rest so geändert, wie vorgeschlagen, am Ende steht jetzt nur noch eine ganz kurze Anmerkung :)

Lg Saga
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Re: ... und auf die Anderen pfeif ich sowieso.

Beitragvon Drehrassel » Mo 21 Dez, 2009 22:31


hi saga,

mich hat die geschichte leider gelangweilt. die syntaktisch-grammatische struktur und die erzählperspektive, so mit dieser sturen parataxe im präsens und im naivischen "ich tat das, jener tat jenes"-stil - auch wenn es ein paar (wohltuende!) ausreißer diesbezüglich gibt - machten mir es zumindest schwer, mich bis zum ende des textes durch zu kämpfen. - dann auf inhaltlicher ebene: diese quasi schon leitmotivisch wieder und wieder auftauchenden, obligatorischen "japanischen touristen" (natürlich mit fotoapparaten, handys, digi-cams oder was auch immer bestückt) sind mir für eine solche art sich schnoddrig-witzig gebender prosa aus der sicht eines simpel installierten ich-erzählers einfach zu... hm, ich sag mal: 08-15. - weißt du? das hat man schon gefühlte 100 000 x gelesen, und es bezeichnet auch ganz bestimmt KEIN wiener lokal-kolorit. /

trotzdem denke ich, dass man aus dem teil schon noch was rausholen könnte. - die verbesserungsvorschläge von ruelfig unterschreibe ich hiermit schon mal schnell, dass das abgehakt ist. ebenso auch sein lob für das abrupte und ganz unvermittelt barsch im nichts abbremsende ende, nachdem du deinen erzähler sich erst so ausführlich als einen durchaus mitteilungsfreudigen und im takt der menschenmenge sich geradezu ekstatisch sich gebärenden profiliert hattest, teile ich. - das hat was. - sprachlich gibt es eine handvoll guter und wie gesagt ausbaufähiger ansätze. allerdings wartete da noch - für meinen geschmack - eine menge arbeit auf dich. - ich will jetzt nicht so ins detail gehen, das soll hier von meiner seite aus nur eine ganz kurze replik sein. aber nur mal so z.b.: diese süße clumsy tanz-szene da gegen ende der geschichte... also, das liest sich... du, das kommt unfreiwillig komisch rüber. ich weiß ja, dass du da bestimmt auch einen ironischen schlag hast mit hinein texten wollen... aber, nee du! der rhythmus der sprache, ihre syntaktische realisation sollte sich an einer solchen stelle dem thema gemäß angleichen. es kommt eben nicht nur inhaltlich rüber, dass der erzähler verzückt-entrückt so zwischen taumelnder hingabe und ungelenker expression des sich um ihn ereignenden "persönlichkeit performt" (:D ) , sondern leider vor allem auch sein autor gewisse literarische techniken vermissen lässt und noch zu üben hat. -

hm. wie gesagt, ins detail können wir vielleicht gehen, wenn du erstmal auf diese grundsätzlichen anmerkungen geantwortet hast.

rattle


p.s.: wenn mich irgendjemand unbekanntes igendwo in der öffentlichkeit ganz unvermittelt mit:"hedda!" anschrie, bekäme er es von mir zurück, und zwar mit einem "GABLER!!!", dass ihm die trommelfelle rissen...
dreimal selig, wer einen namen einführt ins lied!
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Re: ... und auf die Anderen pfeif ich sowieso.

Beitragvon Sagahock » Di 22 Dez, 2009 16:20


Erstmal danke für deinen Kommentar.
Naja, dass ich nicht perfekt bin, darüber bin ich mir im Klaren. Dass ich mit 16 Jahren noch nicht perfekt sein kann, darüber auch.
Aber nach allem, was man sonst von dir hört, halte ich deinen Kommentar für ein ziemlich deutliches Lob. Sprachlich perfekt will ich momentan garnicht sein; würde ich schreiben à la Schiller, käme es doch bestimmt in dieser Geschichte nicht wirklich gut rüber, es würde einfach nicht zum Inhalt passen;
btw, japanische TOURISTEN sind natürlich schon mit Kamera etc unterwegs - das ist in diesem Fall, meiner Meinung nach, also kein ausgelutschtes Klischee, sondern viel mehr eine Tatsachenbeobachtung.
Du sagst, die Geschichte hätte dich gelangweilt, aber das Ende positiv überrascht, auch wenn es sprachlich ... Mist ... ist?
Okay, das ist deine Meinung dazu. Das Ende, naja, wahrscheinlich müsste man es wirklich überarbeiten, andererseits hat Ruelfig ja vorgeschlagen, das Originalende aus dem Text zu streichen, um zu verkürzen;
Weißt du, ich kann zum Beispiel auch nicht alle Klischees kennen, alle sprachlichen Mittel immer perfekt ausformen, hey, ich bin 16. Ich bin sehr dankbar für alle Hilfe, die ihr mir hier geben könnt, aber warum lese ich bei dir immer, dass du das in dieser Form schon x Mal gelesen hast? Weil, ich zum Beispiel nicht; insofern halte ich meine Ideen vielleicht auch einfach für origineller, als sie sind, weil ich nicht deinen Erfahrungshorizont habe.
Also, wenn du näher auf die Punkte eingehen könntest, die dich stören, dann kann ich mir nochmal überlegen, ob und wie ich den Text umstrukturieren kann;
Aber wenn du zum Beispiel sagst, dass dich die starre Präsensperspektive langweilt, dann lässt du mich ehrlich gesagt ratlos zurück - sollte ich etwa mitten im Text einen Zeitwechsel vornehmen? Das scheint für mich keinen Sinn zu ergeben.
Nimm es mir also bitte nicht übel, wenn ich mit deiner Kritik momentan noch nicht viel anzufangen weiß :)

Lg Saga
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Re: ... und auf die Anderen pfeif ich sowieso.

Beitragvon Drehrassel » Di 22 Dez, 2009 22:14


hi saga,

punkt für punkt:
Sagahock":qfov2sw8]Erstmal danke für deinen Kommentar.
[/quote]

gern geschehn.

[quote="Sagahock":qfov2sw8]
Naja, dass ich nicht perfekt bin, darüber bin ich mir im Klaren. Dass ich mit 16 Jahren noch nicht perfekt sein kann, darüber auch.[/quote]

hab ich irgendwo irgendwas verlautbaren lassen, ich forderte "perfektion"? darum gehts doch gar nicht, saga. / kleiner exkurs: kennst du das gedicht "16 jahr" von ernst jandl? ["thechdthen jahr /thödothdbahnhof / thechdthen jahr / wath tholl / der machen / thüdothbahnhof / thechdthen jahr / wath tholl / wath tholl / der bursch / wath tholl / der machen... usw. usf. hat geschrieben:
:D eines meiner lieblingsgedichte von jandl! - im ernst, du, sagahock... ich mein, wath tholl das? so auf dem eigenen lebensalter rumreiten? ich weiß doch, dass du noch sehr jung bist und damit die wahrscheinlichkeit sehr groß ist, dass du noch nicht allzu lange schreibst und folglich - es sei denn, es handelte sich bei dir um einen kleinen rimbaud, welche mit 19 bereits wieder aufgehört hatte zu dichten, freilich nicht ohne zuvor ein werk von weltlitarischer bedeutung zu hinterlassen - gerade im moment deine ersten literarischen schritte unternimmst und - wie es immer ist, wenn man etwas neues beginnt - dabei deine größten fortschritte machst.

[quote="Sagahock":qfov2sw8]
Aber nach allem, was man sonst von dir hört, halte ich deinen Kommentar für ein ziemlich deutliches Lob.[/quote]

was "hört" man denn sonst noch so "von mir"? / ich persönlich finde ja lob und tadel an sich gar nicht so wichtig, wenn ich ehrlich sein soll. gut, es mag einen psychologischen einfluss nehmen auf den betreffenden autor, ob er sich gelobt oder verrissen fühlt; aber eigentlich geht es um den text, und einen "perfekten" text gibt es sowieso nicht, ist meine überzeugung. - ein bekannter französischer dichter namens paul valéry hat einmal irgendwo bekannt, dass das was man von ihm druckfertig und gebunden zu lesen bekommen könne, nichts als nur vorübergehende kompromisse anzusehen seien und er im prinzip jeden einzelnen seiner texte endlos fortsetzten, ändern und komplett neu beginnen könne.

[quote="Sagahock":qfov2sw8] Sprachlich perfekt will ich momentan garnicht sein; würde ich schreiben à la Schiller, käme es doch bestimmt in dieser Geschichte nicht wirklich gut rüber, es würde einfach nicht zum Inhalt passen;
[/quote]

ja, da gebe ich dir erstmal grundsätzlich recht. ganz allgemein gesagt, der sprachliche duktus eines friedrich schiller (den meinst du doch?) würde zu einer solchen geschichte höchstwahrscheinlich nicht gut passen. was aber zu beweisen wäre! denn prinzipiell wäre auch das eine konzeption eine interessante idee. es zeichnet vor allem die literarische und überhaupt künstlerische moderne und nachmoderne sich aus durch verfahren von kontrasten, widersprüchen, dissonanzen, parallelführungen und ineinanderfügungen inkohärentester inhalte und sprachlicher ebenen. eines dieser verfahren z.b. nennt sich "montage". ich weiß nicht, ob du davon schon einmal gehört hast. dabei kann man entweder direkt und/oder indirekt zitieren, oder paraphrasieren, parodieren und und und... es gibt viele möglichkeiten. lies mal ein bisschen was über erzählperspektiven, erzähltechniken, erzähltheorie. / außerdem! da verwette ich meinen arsch drauf, würde schiller heute leben und eine story mit einem solchen lebens- erfahrungs- und welterfahrungshintergrund schreiben wollen, so hätte dies mit einer wahrscheinlichkeit von circa 99, 9 % auswirkungen auf seine formale umsetzung, seinen stil und duktus. ;)

[quote="Sagahock":qfov2sw8]
btw, japanische TOURISTEN sind natürlich schon mit Kamera etc unterwegs - das ist in diesem Fall, meiner Meinung nach, also kein ausgelutschtes Klischee, sondern viel mehr eine Tatsachenbeobachtung.
[/quote]

nein. hier möchte ich dir ganz entschieden widersprechen. zwar ist es wahr, dass es eine empirirsch nachweisbare tatsache darstellt, dass es überall auf der welt von touristen, und dabei auch nicht selten japanischen, wimmelt, die die innenstädte beleben und wo sie gehn und stehn alles alles alles fotographieren und filmen (kirchen, denkmale, rathäuser, überfüllte mülleimer, nachbars lumpi...); aber, entschuldige! wir wollen deinen text doch als einen literarischen behandeln, right? und wenn ja, dann ist es genau in diesem moment eben relevant, nicht OB es etwas tatsächlich gibt, das man in seiner geschichte als motiv oder thema verabeitet hat, sondern WARUM es offenbar literarisch hat aufgearbeitet werden müssen, und WELCHE funktion ihm dabei im text zukommt. / ich habe mich in meinem ersten kommentar missverständlich ausgedrückt. nein! ich habe noch KEINE 100 000 geschichten gelesen mit japanischen touristen darin als eine art leitmotivischem treppenwitz. aber, weißt du was noch schlimmer ist? mir kommt es trotzdem so vor... vielleicht sogar noch mehr als nur 100 000 nie gelesener lektüren. darin siehst du: einmal ist vielleicht sogar schon einmal zu viel.
so kann das gehn. in der kunst. in der literatur. knallhart. endless pain.

[quote="Sagahock":qfov2sw8]Du sagst, die Geschichte hätte dich gelangweilt, aber das Ende positiv überrascht, auch wenn es sprachlich ... Mist ... ist?
Okay, das ist deine Meinung dazu. Das Ende, naja, wahrscheinlich müsste man es wirklich überarbeiten, andererseits hat Ruelfig ja vorgeschlagen, das Originalende aus dem Text zu streichen, um zu verkürzen;
[/quote]

ja. auch das gehört zu den insignien der literatur, saga. man kann einen handlungsablauf und einen spannungsbogen formal für gut konzipiert (ausgedacht) halten und trotzdem sprachlich mangelhaft realisiert. - das mit ruelfig habe ich wohl überlesen in der eile. tut mir leid. ist natürlich ein fettnäpfchen, in das ich da getreten bin, wenn ich einerseits sage, ich unterschreibe ALLE von ruelfigs vorschlägen und dann peinlicheweise offenbare, dass ich sie gar nicht in gänze und konzentriert genug gelesen habe. tja, passiert...

[quote="Sagahock":qfov2sw8]Weißt du, ich kann zum Beispiel auch nicht alle Klischees kennen, alle sprachlichen Mittel immer perfekt ausformen, hey, ich bin 16. Ich bin sehr dankbar für alle Hilfe, die ihr mir hier geben könnt, aber warum lese ich bei dir immer, dass du das in dieser Form schon x Mal gelesen hast? Weil, ich zum Beispiel nicht; insofern halte ich meine Ideen vielleicht auch einfach für origineller, als sie sind, weil ich nicht deinen Erfahrungshorizont habe.
[/quote]

schon wieder deine 16 jahr? ist ja gut, saga. ist gebongt, du BEKOMMST JA deinen welpenschutz, wenn du darauf pochst! eieiei... / nein. deine geschichte ist ja so angelegt: ein ich-erzähler schweift im indikativen präsens durch eine stadt (wien) und mäandert durch einige schlaglichtartig im widerfahrende begenheiten und sowohl sinnliche eindrücke als auch assoziativer psychogrammatisch angelegter bewusstseinsprotokolle dazu. - das schreit ja förmlich nach einem vergleich mit autoren wie döblin, joyce oder auch wolfgang koeppen. - mein tipp an dieser stelle für dich ist: mach dich mal ein bisschen schlau über erzähltechniken wie "stream of consciousness" (bewusstseinsstrom) oder "innerer monolog". ich denke, das könnte dich stilistisch bereichern...

[quote="Sagahock":qfov2sw8]Also, wenn du näher auf die Punkte eingehen könntest, die dich stören, dann kann ich mir nochmal überlegen, ob und wie ich den Text umstrukturieren kann;
Aber wenn du zum Beispiel sagst, dass dich die starre Präsensperspektive langweilt, dann lässt du mich ehrlich gesagt ratlos zurück - sollte ich etwa mitten im Text einen Zeitwechsel vornehmen? Das scheint für mich keinen Sinn zu ergeben.
Nimm es mir also bitte nicht übel, wenn ich mit deiner Kritik momentan noch nicht viel anzufangen weiß :)
[/quote]

nein. wenn dein text im präsens beginnt und alles darauf angelegt ist, dass es keine temporalen sprünge gibt, sollst du selbstverständlich keinen zeitwechsel vornehmen. ich habe diese frage im prinzip schon eben gerade beantwortet. es geht mir darum, dass du den im prinzip - und fast schon intertextuell verweisend - angelegten stil des "stream of consciousness" einfach qualitativ verbesserst. dein erzähler sollte z.b. in diesem sinne mehr evokativ "reden" und nicht plump erläutern, was um ihn herum (oder auch in seinem innern, psychisch) geschieht. die vom erzähler selbst ausgeführten handlungen sollte er z.b. nicht erläutern, er sollte mit einer größeren "selbstverständlichkeit" berichten von DENJENIGEN aspekten seiner wahrnehmung, die ihn IN DER JEWEILIGEN situation wirklich angehen. der leser sollte dabei mehr gefordert werden, selbstständig rückschlüsse zu ziehen, was die sachverhalte und informationen abgelangt, die der figur selbstverständlich sind. - das scheint mir sowieso einer der größten tricks überzeugender literatur zu sein: weniger wie "von außen her" reden und erklären, sondern das bewusstsein der im text angelegten subjekte SELBST zu wort kommen zu lassen.

[quote="Sagahock":qfov2sw8]
Lg Saga[/quote]


lg rassel
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Re: ... und auf die Anderen pfeif ich sowieso.

Beitragvon Sagahock » Di 22 Dez, 2009 22:33


Mal ganz allgemein danke, dass du dich mit meinen Texten auseinandersetzt.
Welpenschutz habe ich nie erbeten - ich wollte dich nur darauf hinweisen, dass ich mit meinen (Achtung!) 16 Jahren viele der von dir benutzten Begriffe nicht verstehe; ganz abgesehen davon ist unsere Deutschprofessorin dermaßen unfähig, dass die methodische Bandbreite, die mir zur Verfügung steht, sich seit der 4ten nur mehr durch meine eigene Lektüre verbessert hat. Daher verstehe ich mehrere deiner Verweise nicht, kenne auch viele Autoren nicht wirklich oder nur vom Hören-Sagen.
Was deine Ansicht von guter Literatur betrifft - ich hasse abrupte Enden. Nein, ganz im Ernst, ich lese zwar gerne über komplizierte Handlungsstränge, aber am Ende erwarte ich Aufklärung, am liebsten nicht in Form eines Happy Ends. Das heißt jetzt vielleicht nichts, aber ich war immer der Meinung, ein Autor sollte sich klar ausdrücken. Bei Gedichten ist es wieder etwas Anderes, auch wenn ich hier ebenfalls eine ähnliche Meinung vertrete.
Ich weiß deine Kritik wirklich zu schätzen; ich verlange auch keinen Welpenschutz; aber das Wichtigste an Kritik ist für mich, dass ich die Standpunkte verstehen und den Inhalt der Kritik ansich begreifen kann.
Das und nichts anderes wollte ich mit meiner Reaktion zum Ausdruck bringen; tut mir leid, wenn das nicht so rübergekommen ist; warum ich so auf meinem Alter herumreite habe ich ja bereits da oben geschrieben :)
Was man über dich hört? Naja, wenn ich mir deine Kommentare so ansehe, dann fällt mir auf, dass du einfach enorm kritisch bist und so gut wie nie einen Text als makellos oder gut bezeichnest - das ist auch gut so, mit Lob allein verbessert man eben keinen Text.
Nochmal danke fürs Auseinandersetzen mit meinem Text.

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