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(Un-)Politische Erotik - Michal Hvorecky ESKORTA

Beitragvon Karl Feldkamp » Do 09 Apr, 2009 11:27


Wer könnte über einen politisch desinteressierten Callboy einen erotischen und zugleich hochpolitischen sowie spannenden Roman schreiben? Ein junger Autor, vielleicht, der in einem sozialistischen Überwachungsstaat aufwuchs und dort lernte, unerlaubte politische Aussagen geschickt in Metaphern zu verstecken?
Michal Hvorecky wurde 1976 in der sozialistischen tschechoslowakischen Republik geboren und gelangte über die vom realen Sozialismus zunächst nur zögerlich befreite Slowakei hinein ins bis heute immer noch nicht einige Europa. Damit musste er auch seinen ganz persönlichen Weg in den Turbokapitalismus und die globalisierte Welt finden. Und jene grotesken Entwicklungen die globalisierte Neu-Europäer zu verkraften haben, lassen sich offenbar in grotesken Romanen bestens metaphernreich aufarbeiten. Schließlich war bereits Hvoreckys erster Roman „CITY: Der unwahrscheinlichste aller Orte“ ein mehr als gelungener Versuch, der europäischen Gesellschaft den Zerrspiegel vorzuhalten, um schön geredete politische Verhältnisse in drastischer Deutlichkeit mit harter Wirklichkeit zu konfrontieren.

Michal Kirchner, der Protagonist seines neuen Romans, ein hoffnungsvoller junger Mann aus Bratislava, entsprossen einer Zweckehe homosexueller Eltern, hat schon als Kind die skrupellose Überwachung durch den tschechoslowakischen Geheimdienst miterlebt. Er macht plötzlich auf dem freien Markt Karriere, eine sehr steile Gipfel stürmende und später eine nicht weniger steile in Richtung Abgrund.
Bei der global agierenden Begleitagentur ESKORTA ist er diskret zu buchen und steht Frauen aus gehobenen Schichten professionell und nahezu grenzenlos zur Verfügung. Michal geht mit ihnen einkaufen, in Drei-Sterne-Restaurants, in Konzerte und selbstverständlich als gut aussehender und ungewöhnlich potenter junger Liebhaber auch ins Bett. Er berät die Damen in Schönheitsfragen, fördert mit Komplimenten ihr Selbstvertrauen, leistet seelischen Beistand, ist ihr aufmerksamster Zuhörer und immer besser als die jeweils angetrauten Ehemänner. Alles gegen zunächst großzügigste Gagen.
Natürlich gilt gerade für Callboys, dass ein agiler Arbeitnehmer ab seinem dreissigsten Lebensjahr allmählich als weniger leistungsfähig eingestuft wird. Die zunächst steile Aufwärtskarriere flacht ab, bewegt sich noch eine Zeit lang auf einem horizontalen Höhenweg, um sich schließlich gesellschaftlichen Abgründen zuzuneigen. Alles fast wie im richtigen bürgerlichen Leben…
Und welch ein Zufall: Hvoreckys Buch kommt zeitgerecht mitten in den Konjunkturabschwung einer Weltwirtschaftskrise und enthält durchaus Lösungsvorschläge für krisengeschüttelte Europäer, ohne auch nur ansatzweise im Oberlehrerton Lebensweisheiten oder gar ökonomische Erkenntnisse zu verbreiten.
Ein unpolitisch politischer Roman, grotesk und dennoch (oder gerade deswegen) voller Realitäten.

Michal Hvorecky, ESKORTA, Roman, aus dem Slowakischen übersetzt von Mirko Kraetsch, Klett-Cotta 2009 Tropen, 250 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag,
€ 19.90
Karl Feldkamp
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