Buchrezensionen, Vorstellung von Autoren, Schriftstellern und ihren Werken

Re: [Walter Benjamin - Einbahnstraße] - Auf Gedeih und Verde

Beitragvon chrille » So 11 Apr, 2010 11:42


An KPC,

Sie hören sich an, wie eine alleinerziehende Mutter, die bei ihrem überaus lebendigen Kind nichts zu kritisieren findet, als den "Ton".
"Sprich nicht so aggressiv..."
Dabei ist der eigene Ton "großkotziges Arschloch" etc. der eigentlich verwerfliche Ton, besonders wenn man vor Unwissenheit und Unkenntnis nur so trotzt.

"Deutsche trinkt Deutsches Bier!" ist ein großartiger Text, der scharfsinnig den "Militarismus" des Kapitalismus im Alltag der deutschen Bürger entlarvt. Im Angesicht der wirtschaftlichen und politischen Krise am "Gewohnten" zu hängen und das geistige Leben auszublenden, ist heute "80 Jahre nach der Veröffentlichung" aktueller denn je.
Benjamin geht es um die Kultivierung der Rezeptionshaltung der Leser. Er ist ein Revolutionär für die Medientheorie.
Seine schriftstellerische Methodik lässt sich als "Mischtechnik" des "Lesekastens" (Berliner Kindheit) beschreiben, das Kippen zwischen Geheimnisvollen und Trivialen, das bewusste Festhalten an der "Unverständlichkeit" und der "Distanz".
Es geht um die Dinge an sich, nicht um klassenspezifische Inhalte.
Die Gleichzeitigkeit des "Heterogenen". Da mischen sich auch mal "Ironie", "Provokation" und "Ernsthaftigkeit".
Allegorien, Denkbilder, Aphorismen und Metaphern wechseln sich ab und lassen den Leser nie zur Ruhe kommen.
Auch gibt es starke und schwächere Text, aber Benjamin "Arroganz" und einen "ätzenden Ton" zu unterstellen, zeigt, dass hier jemand höchstens an der Oberfläche der Texte "gekratzt" hat.
Die meisten der benjaminschen Texte haben eine philosophische Tiefe, die Messianisches mit der Philosophie von Schlegel und Klages, dem Gedankengut von Sorel und der anarschistischen und kommunistischen Geschichte verbindet.
Dabei bleibt Benjamin immer "anti-autoritär" und kritisch.
VIele der Einbahnstraßen-Texte haben auch einen individuellen Kompositionshintergrund.
Beispielsweise geht der Text "Kaiserpanorama" auf das Werk "Gedanken zu einer Analysis des Zustands von Mitteleuropa" zurück.
Texte der Einbahnstraße wurden meist in Zeitungen veröffentlicht und erst später als Gesamtwerk herausgegeben. Es geht hier also nicht um die Publikation eines "Buches", was einen Zusammenhang der Texte aufweist. Es ist eine Textsammlung, die dem Leser unzählige Zugänge (Im Sinne eines Wegesystems "Einbahnstraße" in einer turbulänten Zeit der Schnelligkeit) ermöglicht.
Die Wahrnehmung der Moderne mit der neuen Technik und ihrer enormen Geschwindigkeit ist eines der Hauptanliegen Benjamins.

Der "Krieger" Karl Kraus würde Sie, lieber KPC auf offener Bühne "auffressen".

Grüße Chrille
chrille
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