Meine Bemerkungen zu Harry Popows Roman „Cleo“
Die Plauener-Spitzen-Frau und ihr Bogenschütze
Von Dr. Karlheinz Otto
Harry Popow hat seine bemerkenswerten Prosageschichten unter dem exotischen Namen „Cleo“ versammelt, und, um es dem Leser leichter zu machen, zusätzlich gleich zwiefach untertitelt. Mich erwarten also, wenn ich mich dem Lesevergnügen „Cleo“ hingebe, „Persönliche Lebensbilder“ im literarischen Kleid eines „authentischen Liebesromans“. Allein, dass ein Autor den Mut aufbringt, sein tatsächlich gelebtes Leben, insbesondere seine mehr als dreißig Jahre währende kurvenreiche „Karriere“ im „Ehrenkleid“ der längst im Orkus der Geschichte gestrandeten Nationalen Volksarmee und seine beneidenswert schöne und bis ins Heute gepflegte Liebe zu Cleo mit ungeschminkt ehrlicher Authentizität offenzulegen, wirkt verführerisch genug, mich auf Popow einzulassen.
Im Vorsatz des Romans springt mich dann dieser tiefsinnige Aphorismus aus Konstantin Paustowskijs feinfühliger Erzählung „Die Goldene Rose“ an: „Alles, was den Menschen niederdrückt und betrübt, alles, was ihn auch nur eine Träne vergießen lässt, muss mit der Wurzel ausgerottet werden … Die Wüsten ebenso wie die Kriege, die Ungerechtigkeit, die Lüge und die Gleichgültigkeit gegenüber dem menschlichen Herzen.“ Anspruchsvolle, humanistische Worte, die der Autor diesem aus seinen persönlichen Lebensbildern komponierten authentischen Liebesroman quasi als Leitmotiv vorangestellt hat. Meine letzten Bedenken, Popows Roman zu lesen, schwinden.
Wer die Messlatte schon zu Beginn seiner Geschichten so hoch legt, der muss sich seiner Sache nicht nur sehr sicher sein, nein, der wird auch Gewichtiges zu den unsterblichen Menschheitsthemen von Krieg und Frieden, von den kleinen und großen Ungerechtigkeiten und Lügen und der beschämenden Gleichgültigkeit der immer wieder nachwachsenden Mitläufer zu erzählen haben. Und Harry Popow gelingt es in der Tat, viel Nachdenkliches aus seiner Erinnerungstruhe ans Tageslicht zu befördern, ist sie doch glücklicherweise reichlich mit allerlei Briefen und Tagebuchnotizen gefüllt.
Dabei war dem Arbeiterjungen, der seinen beschwerlichen und doch so hoffnungsvollen Lebensweg in den sächsischen Steinkohlenrevieren von Zwickau beginnt, im Jahre 1935 an seiner Wiege wahrlich nicht gesungen worden, sich später einmal unter die Schriftsteller zu wagen. Auch als er Armeeoffizier wird und Journalistik studiert und schließlich als Reporter der Wochenzeitung „Volksarmee“ auf Achse ist, denkt er nicht in literarischen Kategorien, die für ihn auch weiterhin jenseits seiner journalistischen Pflichten angesiedelt sind. Das ändert sich auch nicht, als er dann nach langen 32 Jahren die Uniform auszieht und beim Deutschen Fernsehfunk in Adlershof glücklicherweise eine Arbeit findet, die mehr als nur ein ungeliebter Job ist.
Erst als ihn 1989 – wie Millionen andere auch – diese Zeitenwende – die er, vielen Gesinnungsgenossen gleich, so nicht gewollt hat und deshalb ohne Umschweife als Rückwende oder gar als Konterrevolution empfindet – mit brachialer Gewalt aus der Bahn wirft, beginnt er, der immer nur vorwärts gewandt für eine lebenswertere sozialistische Zukunft eingetreten war, sein bisheriges Leben neu zu bedenken. Doch dazu braucht er einen klaren Kopf und klare Luft vor allem. Deshalb sagen Harry Popow und seine Cleo dem mit heißer Nadel wieder zusammengeflickten Deutschland für neun Jahre ade. In einem bescheidenen schwedischen Holzhaus haben sie sich im wahrsten Sinne des Wortes in die Stille gerettet und finden allmählich wieder zu sich. Während dieses nicht ausschließlich schmerzfreien Prozesses des Zusichfindens öffnet Harry Popow endlich seine lange verschlossene Erinnerungstruhe. Welch herrliche Schätze lachen ihn da an! Unter ihnen manch traurige Geschichte, die er am liebsten hätte aus seinem Leben streichen wollen. Er staunt, wie bitter wahr sich die Behauptung erweist, dass die tiefsten Beulen am Helm eines Kommunisten meistens von den eigenen Genossen stammen. Er ist stolz darauf, dass er sich trotz mancher Versuchung niemals hat verbiegen lassen. Am stärksten aber beeindrucken ihn die vielen, vielen Liebesbriefe …
Vor dem nun schon ergrauten Alten breitet sich sein gesamtes facettenreiches Leben aus. Vielleicht birgt jene Floskel ein Körnchen Wahrheit, nach der jedes Leben einen Roman in sich trägt. Nun liegt er vor, der Roman des Harry Popow. Das Authentische der bunten Lebensbilder nimmt man dem Autor unbedenklich ab, auch wenn er nicht den allerletzten Mut aufbringt, seine Geschichten durchgängig in der Ich-Form zu erzählen. Stattdessen versteckt er sich in der fiktionalen Figur des Henry Orlow, die aber unschwer als Alter Ego des Autors erkennbar ist. Nur manchmal wechselt die Erzählperspektive vom Auktorialen zum verräterischen Ich. An dieses ungewöhnliche Vibrieren der Erzählsicht kann man sich jedoch schnell gewöhnen und als Stilmittel zur Steigerung der authentischen Elemente anerkennen.
Harry Popow ist mit seinem Roman ein lesenswertes Stück Prosa gelungen. Manche werden ihn als aufschlussreiche Memoiren eines romantischen NVA-Offiziers lesen. Andere werden sich an der berührenden Liebesgeschichte zwischen dem Bogenschützen Harry und der Plauener-Spitzen-Frau Cleo erfreuen. Doch unabhängig davon, wie man die Lebensbilder des Harry-Henry interpretieren will, klüger, als man in den Roman eingetaucht ist, wird man allemal aus ihm wieder auftauchen. Ich aber muss nun dieses beneidenswert glückliche Liebespaar Cleo und ihren romantischen Bogenschützen verlassen. Bleibt mir am Ende nur noch der Wunsch, dass ihre Geschichte einen großen Leserkreis finden möge
Dr. Karl-Heinz Otto, Potsdam im April 2014
(Das Buch „In die Stille gerettet“ jetzt als eBook mit verändertem Titel und Cover bei Amazon erhältlich, Harry Popow, kumpel77)[img]http://[/img]