Für alle Gedichte, die zwischenmenschliche Beziehungen behandeln - mit Ausnahme der Liebeslyrik

wegweisend

Beitragvon AmHain » Do 28 Mai, 2009 11:30


nicht aus schwäche,
aus trotz wohnt pierre im souterrain.
niemals mehr ein wort verlieren. will er
den tod sterben,
selbst tief drinnen im glück;
jede verzweiflung überleben müssen,
die gnadenlos notwendig.
so zieht er sich seine pflicht an. und wir

sind in sorge, dass sich dieses offensichtlich
kräftige an seine geburtsfehler verschwendet.
doch er kennt die wahrheit, weiß die antwort und bereut
sie mäßig.
[size=85:2qt21sdr]gitt daun
se riesen tu gitt hai
is se riesen tu gitt daun[/size]
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Re: wegweisend

Beitragvon rivus » Mo 01 Jun, 2009 10:01


hallo AmHain,

vorweg, souterrain habe ich vorzeiten (ja, ja häufig in chanssons, welch wortklang) nicht mehr gehört. so habe ich mich in dunkler erinnerung bei wiki schlau gemacht und siehe da, auch ich habe schon vor langer zeit in solch einer wohnung gelebt:

Souterrain (von französisch sous-terrain für ‚unterirdisch‘) oder Tiefparterre ist ein Synonym für das Untergeschoss oder auch Kellergeschoss eines Gebäudes, da dieses Geschoss (mit seinem Fußboden) unterhalb der Erdoberfläche liegt. Oft liegt das Souterrain nur halb unter der Erdoberfläche und kann dann auch befenstert sein, das folgende Geschoss liegt dann als Hochparterre ein halbes Geschoss über ihr. Von einem Souterrain(geschoss) wird allgemein nur dann gesprochen, wenn die entsprechenden Räume zum Wohnen, bzw. dem dauernden Aufenthalt von Personen dienen und entsprechend ausgelegt sind. Der Begriff ist sowohl in Deutschland als auch in Österreich eigentlich eine veraltete Bezeichnung, wird jedoch gerne als ein zu Marketingzwecken beschönigender Ausdruck („Souterrainwohnung zu vermieten...“) für ganz oder teilweise unter Bodenniveau liegende Wohnungen verwendet.

nun zum gedicht, aus meinem lese-und blickwinkel:

schon die ersten beiden zeilen erklären, warum pierre diese wohnwahl getroffen hat. schnell folgen zeile 3 & 4 mit dem resignativen rückzug, der durch die zweite zeile fast ironisch klingt und somit eine spannung zum fortgang und weiterlesen erzeugt. doch schon in der fünften zeile verschwindet dieser anklang und ich muss mich wiederum fast erschrocken korrigieren, denn dem pierre scheint es mit seinem freiwilligen unterschlupf ernst zu sein trotz "selbst tief drinnen im glück", doch "er will" ja "den tod sterben" beruhige ich mich (und frage mich wie man tod sterben kann und komme nicht umhin, dass das gegenteil gemeint sei und er diese wahl getroffen hat, um vielleicht zu überleben). aber in der sechsten zeile kräuselt sich meine stirn, denn "jede verzweiflung überleben müssen" zeugt doch von einem zwang, dem pierre zu dieser aktion treibt und die zeilen 7 & 8 vertiefen, erklären diesen eindruck, so dass mir gleich hegels ansatz freiheit ist einsicht in die notwendigkeit in den sinn kommt und er, der pierre mehr an den fängen des lebens zu leiden scheint, als er sich mit dem wirklichen leben und todessehnsüchten auseinandersetzt ( oder ist er über diese phase schon hinweg?). jedenfalls irritiert die erste strophe und wirkt eher als demonstration eines am leben nicht mehr teilhaben wollenden, der jedoch einen wohnstil praktiziert, irgendwo zwischen leben und tod, der salopp gesagt die wirklichen lebens- und todeswünsche, sowohl die eigenen als auch die aller, auf die schippe nimmt.

aber pierre lässt uns ja mitleben, mitsterben und je nach verfassung in verwirrung, aufruhr, ohnmacht, erstaunen,fassungslosigkei, unverständnis zurück und wir finden uns flugs in derzweiten strophe nach dem motto der gedichtsüberschrift (eine wegweisung) wieder. dort werden "wir" noch mal "kräftig" vorgeführt und merken, dass pierre eine sehr bewusste wahl getroffen hat.

zur wirkung deiner zeilen (auf mich):
die worte wirken frisch (das gefällt!), obwohl sie mit einigen allgemeinplätzen bestückt sind. doch der rhythmus leidet leider an vielen stellen, obwohl dadurch gerade unser lesen konzentriert und ins stocken gerät, als ob wir keine wahl hätten zwischen ironie und bitterernst zu unterscheiden. diese wirkung wird jedoch durch die markante aussage eines anonymus in den letzten beiden zeilen stark abgeschwächt, so dass die beweggründe des pierre zu offensichtlich auf dem leseteller präsentiert werden.

LG, rivus
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Re: wegweisend

Beitragvon AmHain » Di 02 Jun, 2009 15:45


hallo rivus,
vielen dank für die beschäftigung mit pierres wohn/situation! deine textinterpretationen decken sich (erfreulicher weise) weitestgehend mit den von mir anvisierten äußerungskräften.
schön, dass du den taumel zwischen ironie und bitterernst (für dich) entschlüsseln konntest—

was die letzten beiden zeilen angeht:
da bin ich mir gar nicht so sicher ob dies ein weiterer hinweis auf seine beweggründe ist; ob seine entscheidungskraft ein weiteres mal hervorgehoben wird oder ob ihm hier nicht ein mangel an durchsetzungsvermögen und bewusstsein unterstellt werden muss.
ist es nicht merkwürdig, dass hier von maßvoller reue die rede ist, die sich gerade im erkennen der wahrheit zeigt—und sich womöglich genau darin und damit in sich selbst verdunkelt? bereut er also wirklich? stellt er sich seiner angst, trotzt er ihr? oder flüchtet er (doch nur aus zwang) in resignation und/oder raserei? Wie gesagt: ich bin mir da nicht sicher. und vielleicht finde ich ja noch eine andere lösung, einen anderen auf-schluss, denn ganz zufrieden war und bin ich mit dem bisherigen ergebnis nämlich auch nicht.
schaum ermal.
LG
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