Lyrik rund um das Thema Liebe

für j. w.

Beitragvon Rando Reinhardt » Do 12 Aug, 2010 19:19


Tiefe Stunden
wie schwummrige Träume
einer klebrigen Nacht

gepflasterte Bürgersteige
in der Mittagssonne
glitzernd wie Glas

und auf dem Teppich
hauchdünne Schlieren
diffuser Angst
Wenn die Sache irre wird, werden die Irren zu Profis
(Hunter S. Thompson)
Rando Reinhardt
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Re: für j. w.

Beitragvon Drehrassel » Do 12 Aug, 2010 23:11


ist das ein formalistisches experiment? drei dreizeiler. jede endet mit einem substantiv. in sechs fällen ist diesem versabschließenden substantiv ein zugehöriges adjektiv beigefügt. zweimal fehlt dieses attribut, und es mutet schon dadurch wie ein doppelter paukenschlag an in dieser syntaktisch-grammatisch so elaborierten form. und ein einziges mal kommt es als partizipierter wie-vergleich vor: "glitzernd wie glas".

hier sollen wohl "bilder gezeichnet" werden. und das anhand grammatisch-syntaktischer konstruktionen, die auf sprachliche bereiche des allgemeinen sprachgebrauchs in unterschiedlicher nuancierung rekurrieren. das beginnt mit ausdrücken wie "tiefe stunde" oder "schwummrige träume" (auch "klebrige nacht") - "beginnt" also im direktesten sinn, so beginnt das gedicht selbst auch - , was schon keine besonders originären bildschöpfungen scheinen; führt dann über "gepflasterte bürgersteine", den tiefpunkt des wortwörtlich lapidaren (lapis, latein, der stein) und mündet in an geflügelte wörter erinnerndes wie "hauchdünne schlieren" und "diffuse angst". / kein grammatisches subjekt, kein verb. da hat sich jemand aber was bei gedacht. das ist mal sicher. behaupte ich. sagt mir dennoch nicht zu. komisch, gerade dieser strikte wille zur bildlichkeit will mir einfach nichts evozieren, da lebt nichts, kopfkino fällt aus. die begrifflichkeiten scheinen mir auch einfach zu flach und beliebig. nacht, angst, schlieren, glas, teppich. super. die attribute verklären nichts, deuten nichts, retten nichts... bedienen nur ihre funktion als dem jeweiligen lexikalischen feld wieder wie gemeingültig anhängig. - öde. sehr. und darin und in der dazu passenden visuell-graphischen form, schon wieder stringent. was mich hier aufmerken ließ. aber auch hilflos zurück. ein langeweiler. ein extremer langeweiler. aber methodisch-konzeptionell so sehr auf langeweile getrimmt, das es schon wieder zu einem kommentar hinreißt wie
: diesem.

dein dreh
dreimal selig, wer einen namen einführt ins lied!
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Re: für j. w.

Beitragvon rivus » Fr 13 Aug, 2010 01:15


hallo benka,

nur ein kleinschrittiges umschreiten deiner zeilen. (zur ergänzung der literarischen blickwinkel von dreh.)

ist dein text ein, dein reflex auf j.w. "lebenserwartung?"

1,wie entrinnt dein lyrich der langeweile? in der formwahl statuiert sie sich im monotonen, wird regelrecht manifest. die starre inception von zeit-raum entfaltet sich nicht als plastisches kontinuum, sondern trocknet langwierig aus! so werden die stunden tiefer, länger, gestreckt empfunden. die stunden dieser ausgetönten dehn-welt "verschwummern", surrealisieren jedoch die traumwelt so sehr, das sie abenteuerlos, erlebniszäh die eine nacherwartete nacht der jw-welt nicht nachpfaden können. dem träumer bleiben nur klebrige träumeimpressionen, die unklar, verschwommen das lyrich umkleben, umnachten und somit tief mit ganz andren erwartungen, umgebungen, schlußendlich mit verdunkelnder klebeschichtnacht so umfürchten, ummäuern , dass das lyrich sich nicht mehr am tagesgeschäft beteiligen kann und ichgefährdet ausgegrenzt wird.

2, die nur noch in der phantasie erlebbare und vom lyrich selbst da immer spärlich-sperriger nachgebaute tagwelt wirkt gespenstisch und auffallend menschenleer und kulissenarm. die gepflasterten bürgersteige ohne bürger sind traurige resttagebaue einer gesponnenen mittagsonne, die jedoch märhaft-glitzernd eine ferne bürgerwelt als glaswelt spiegelt, die jeden moment zerbrechen kann. im ausgeschlossensein vom norrmalen alltagsleben und traumerleben ist das binnen- und aussenleben des gläsernen lyrich's brüchig,

3, verlustreich, bodenlastig. im allein-tragen/ertragen-müssen der gesteigerten angstphantasien scheint das lyrich aufs äußerste gefährdet. entweder verliert es sich
im halluzinativen sterben oder die zunehmende immobiltät suizidiert im langzeitigen, dahinsiechenden gleichmut das seelisch-körperliche und hinterlässt uns lesern "immerhin" die dünnhäutigkeit des lyrich als schlierenwahrnehmung (leider zu spät) und ihren/seinen auf/untergang als diffusen teppichabgang eines vorhersehbaren scheiterns.


grüße von rivus
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Re: für j. w.

Beitragvon Drehrassel » Fr 13 Aug, 2010 13:45


[quote="Winter 2.0":2yizsffl][quote="Drehrassel":2yizsffl]da hat sich jemand aber was bei gedacht. das ist mal sicher. behaupte ich. sagt mir dennoch nicht zu. komisch, gerade dieser strikte wille zur bildlichkeit will mir einfach nichts evozieren, da lebt nichts, kopfkino fällt aus. die begrifflichkeiten scheinen mir auch einfach zu flach und beliebig. nacht, angst, schlieren, glas, teppich. super. die attribute verklären nichts, deuten nichts, retten nichts...
[/quote]
ja, es spricht vieles dafür. das ist nicht mal eben in der sbahn geschrieben. auf dem weg woandershin. um etwas zu über-brücken. hier gibt es nichts zu über-brücken. hier drängt sich gegenstand an gegenstand. gegenstände, die nichts tun, die einfach sind. da sind. stehen rum. gibt doch aber kein einfaches sein. schon gar nicht einfaches dasein. ist ein kampf im stillstand gegen den stillstand.
eines sticht hervor, das sich doch zu bewegen scheint, nein, nicht scheint, es bewegt sich definitiv. weil es nicht greifbar ist. bewegt sich im stillstand. ist da oder nicht. ist eben diffus. ein adjektiv wie ein verb. und dann noch angst. ist furchtbar, dass gerade sie diffus sein soll. ist wie eine angst vor allem. nicht greifbar der grund der angst. man kann sich nicht schützen. wie schützen vor etwas, das man nicht einräumen kann? vielleicht ist es ja auch ganz woanders. oder ist gar nicht. ist ein hirngespinnst. aber auch die sind ja /da/. /da/ ist auch kein kopfkino. kein bild. nichts, wohin man es verbringen wenn schon nicht lenken kann. ist ja verschwommen und ohne ziel. und dauert lange. zieht sich wie kaugummi. ich würde SCHWURBELIGE träume sagen, nicht SCHWUMMRIG.

und dahinter ist die realität. die gepflasterten bürgersteige. die mittagssonne. und auch ein teppich. und an der realität reibt es sich. und es geht dann plötzlich hinüber. da gibt es keinen übergang. da sind schlieren. und dann ist angst. was soll man dazu weiter sagen? das ist das ende. die letzte zeile. ist alles gesagt. am ende steht die angst. und dadurch auch am anfang. und überall. diffus eben.

[quote="Drehrassel":2yizsffl]
ein langeweiler. ein extremer langeweiler. aber methodisch-konzeptionell so sehr auf langeweile getrimmt, das es schon wieder zu einem kommentar hinreißt wie
: diesem.
[/quote]
und wenn das genau das thema ist? ist eine lange weile unwürdig verdichtet zu werden oder wo ist dein einwand? ich verstehe dein hin-und-her. du erklärst hin-und-her ja auch prima. bei mir persönlich ergibt sich aber kein ABER. warum ein aber?

ich kann mich einlassen, es tut nicht weh, stößt auch nicht ab. ist eben so.

danke, rando.[/quote]


gutes plädoyer, janus. triftige argumente. du hast aspekte aufgeworfen, die mich überzeugen. ich denke darüber nach und melde mich vielleicht noch einmal. muss los jetzt.
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Re: für j. w.

Beitragvon rivus » Fr 13 Aug, 2010 19:48


ach benka,
es gibt viele lesarten deines textes u. die meine ist nur eine. und ich versuchte deine worte interpretatorisch nachzufurchen. mein kopfkino springt bei deinen texten an ...

und in die runde: die textform macht in meinen augen sinn, transportiert diese lange, verlängerte weile, stößt-weilt unseren unterschiedlich ausgebildeten lesesinn, verbildlicht für mich die diffussion eines komprimierten da- und nichtdaseins in die zeit und das packt mich ....


danke nochmal, rando!
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Re: für j. w.

Beitragvon Rando Reinhardt » Fr 13 Aug, 2010 20:41


... danke, rivus ... is ziemlich gut getroffen ...
Wenn die Sache irre wird, werden die Irren zu Profis
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