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Alle Texte, die nicht eindeutig der Lyrik, Epik oder Dramatik zuzuordnen sind
von Marius Nam » Di 18 Sep, 2012 21:10
Marius Nam Mein Freund Mohammed
Ich habe einen allerbesten Freund, der heißt Mohammed. Seit nunmehr dreizehn Jahren gehen wir miteinander durch dick und dünn. Wir machen alles gemeinsam, Mohammed schläft sogar in meinem Bett und ich kann nicht auf die Toilette gehen, ohne dass er mir folgt. Dreizehn Jahre, das ist ein ehrwürdiges Alter für einen Hund. Man sieht Mohammed seine Jahre an. Sein weißbraun gemustertes Fell ist nicht mehr so glatt und glänzend wie früher. Auf einem Auge ist er seit einem Kampf mit einem anderen Hund blind, das andere Auge leidet an grauem Star. Vor allem aber kann er seine Hinterläufe nicht mehr so gut bewegen. Ein Bein schleppt er ein wenig hinterher; der Arzt sagte, das sei Arthrose. Wenn er läuft, hat Mohammed Schmerzen, das sieht man ihm an. Aber auch ich bin nicht mehr gut zu Fuß und so passen wir zueinander. Unten im Haus ist ein kleines von Vietnamesen betriebenes Lebensmittelgeschäft, um die Ecke der Waschsalon, ein Stückchen weiter der Dönerladen, den Abou, mein Freund betreibt. Hier im Kiez sind die Wege kurz und das ist gut für uns beide. Es war ein Freund von Abou, der mir Mohammed überlassen hat. Damals, kurz nach dem Tod meiner Frau, saß ich häufig in seinem Laden, ich trank ein Bier oder auch mehrere und er nippte an seinem arabischen Tee, bediente Kunden, klopfte mir auf die Schulter und teilte mein Schweigen. Eines Tages sagte er: Mein Freund, hab ich eine Idee. Du brauchst Hund, damit du nicht so allein bist! Ich war überrascht, denn ich hatte noch niemals ein Haustier besessen. Vielleicht war ich zu schwach, um mich gegen den wohlmeinenden Rat zu wehren, am nächsten Tag jedenfalls war besagter Freund in dem Laden und hielt einen entzückenden kleinen Welpen in seinen Händen, kaum größer als ein Handteller. Es war ein Cockerspaniel mit braunen Hängeohren, geflecktem seidig schimmernden Fell, noch tapsigen Beinen und sehr sehr müde. Hier, ist für dich, sagte der Freund mit breitem Grinsen und legte mir das Tier in die Hände. Musst du gut auf ihn aufpassen, nicht ganz reinrassig, aber ist edles Tier! Wie heißt er denn? Heißt Mohammed, wie ich, sagte der Freund nicht ohne Stolz. Musst du ihn noch kastrieren lassen. Ich war sofort in Mohammed verliebt und zum ersten Mal seit vielen Wochen ging wieder ein Lächeln über mein Gesicht. Es war der Beginn einer echten Freundschaft. Ich weiß nicht mehr, wie viele unbeschwerte Jahre wir hatten, ich müsste das nachrechnen. Aber dann kam die Sache mit den Karikaturen. Irgendein Zeichner hatte Karikaturen des Propheten Mohammed veröffentlicht und plötzlich gab es Anschläge auf Zeitungen, Botschaften, Leute wurden erschossen und so weiter. Mein Freund Abou tippte sich an die Stirn und sagte: Spinnen, die Leute, werden sie hoffentlich bald wieder vernünftig, Inshaallah! Mich aber beschlich ein ungutes Gefühl. Zu jener Zeit begann ich mich intensiver mit dem Islam zu befassen. Ich kaufte mir Bücher, auch eine Übersetzung des Heiligen Koran und ich las Mohammed laut daraus vor. Er ist ein geduldiger Zuhörer, er legt seinen Kopf in meinen Schoß und manchmal stößt er dumpfe Laute aus, als wollte er das Gehörte kommentieren. Einige Tage haben wir uns sogar am Fasten versucht. Und dann haben sich die Ereignisse überschlagen: In Afghanistan verbrannten amerikanische Soldaten Koran-Exemplare und wieder kochten die Emotionen hoch. Abou fluchte zusammen mit seinen Gästen auf Arabisch und spuckte auf den Boden. Dann verbrannte ein Sektenführer in Amerika den Koran. Abou sagte zu mir: Mein Freund, du weißt, ich freu mich, dich zu sehen. Aber es ist besser, wenn du kommst ohne Hund! Ohne Mohammed irgendwo hinzugehen? Wie soll ich das machen, habe ich Abou gefragt, aber der hat nur mit den Schultern gezuckt und mir vieldeutige Blicke zugeworfen. Ich dachte nach. Und je mehr ich mir Gedanken machte, desto mehr bemerkte ich auf der Straße Menschen, die mir feindselige Blicke zuwarfen, wenn ich mit meinem Hund spazieren ging. Kaum traute ich mich noch mit ihm auf die Straße. Ich verzichtete darauf, ihn laut beim Namen zu rufen. Ich kaufte mir eine Hundepfeife, aber Mohammed heulte nur, wenn ich sie benutzte. Ich überlegte mir, ihm einen anderen Namen zu geben, experimentierte mit Moritz und Hamlet, aber Mohammed tat, als hörte er mich nicht rufen. Wie soll man auch jemandem einen anderen Namen geben, der nun mal so heißt? Als dann die Sache mit dem Mohammed-Film passierte, ertappte ich mich dabei, mir zu wünschen, der Spuk möge ein Ende haben. Mohammed ist doch alles, was mir nach dem Tod meiner Frau noch geblieben ist! Er ist mein Bindeglied an frühere Zeiten. Gewiss ist er alt und wird nicht mehr lang leben, aber ich würde es niemals übers Herz bringen, ihn einschläfern zu lassen. Das wäre eine Sünde, so viel ist mir klar. Ach, wir leben in schwierigen Zeiten ...
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von rivus » Fr 21 Sep, 2012 13:27
hallo marius, es menschelt hier doch sehr. ich wünschte ein korankundiger würde das besser interpretieren und analysieren, doch hier spiegelt sich für mich etwas fatales und zugleich unmenschliches wider, das sich in der parabel im verhalten der leute zum hund mohammed ausdrückt. es ist beschämend wie schnell und zwingend zur wiederherstellung der eigenen identität die negation oder verletzung des anderen herhält. schon ein name eines tieres erfährt eine feindseligkeit, eine dimension des ungleichen, die aus einer pathogenese des religiösen zu stammen scheint. (hierzu die studie der forschungsgruppe mitkom http://www.risp-duisburg.de/144-0-erweiterte-Projektbeschreibung.html , die allgemeingültiges, den quell für fanatische interpretationen und verhalten herausfand.) die parabel zeigt aber auch wie individuell, unreligiös und ausgrenzend menschliche verhalten in geschürten konfliktsituationen sein können, wie sie sich in die seelenlandschaften einfräsen und wie sie verstören und aufgebautes zerstören können und wie selbst darin paradoxerweise so etwas wie die religiösität des einfachen menschen noch durchschimmert und hoffnung birgt für ein versöhnliches koexistieren. das erst mal grüße rivus
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von Marius Nam » Mi 26 Sep, 2012 23:33
Hallo rivus,
Danke für deine treffende Analyse. Mir kam es vor allem auch darauf an zu illustrieren, wie sich unser Freiheitsverständnis allein durch solche Debatten verändert. Wir beginnen darüber nachzudenken, ob wir bestimmte Gedanken äußern dürfen, Texte schreiben, etc. Wir beginnen, auf Dinge zu verzichten oder sie zu verleugnen, weil wir Angst vor Anfeindungen haben. Die Parabel lässt sich aber auch als Auseinandersetzung mit dem Islam bzw. dem Religiösen selbst lesen, das der Protagonist nicht verlieren möchte.
Schönen Gruß,
Marius
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von rivus » Do 27 Sep, 2012 10:32
hallo marius, danke für das feinsinige und detaillierte darlegen deines ansinnens. unser universelles und individuelles freiheitsverständnis wird durch solche debatten wirklich strapaziert, auf die probe - glaubensbezogen, lebenspraktisch - gestellt und in deren folge werden schutz- und abwehrmechanismen in uns allen in gang gesetzt, die in ihren extremen ungeheuerliches, existenzen bedrohendes, beschädigendes, tötendes freisetzen, die jeglichen positiv besetzten freiheitsbegriff dann außer kraft setzen. dennoch ist ja gerade in dieser parabel das bemerkenswerte, dass eine persönliche auseinandersetzung passiert, die hoffen lässt.
grüße rivus
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von Gast » Do 27 Sep, 2012 13:17
"Wir beginnen darüber nachzudenken, ob wir bestimmte Gedanken äußern dürfen, Texte schreiben, etc."
Das problem besteht darin, dass ihr erst angefangen/begonnen habt, darüber nachzudenken, ob man manches vllt nicht äußern sollte (nicht dürfte).hier hat jeder das Recht seine Meinung in Wort Bild Schrift Frei zu äußern und zu verbreiten. Die Frage ist, ob man das sollte. Es gibt einfach Bereiche die man bei anderen personen, ganzen Kulturen nicht verstehen kann. Du kannst dir dann selber aussuchen welchen Herangang du wählst.
Nur weil man sich über Jesus lustig machen und darf, heißt dass z.B. lange noch nicht, dass man sich auch über einen Mohamed lustig machen darf.
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von Marius Nam » So 07 Okt, 2012 10:50
Hallo Senator,
ich stimme dir im Grundsatz uneingeschränkt zu, und es liegt mir völlig fern, den Islam zu verunglimpfen. Das Problem ist m.E., dass es für uns sehr schwer ist, einzuschätzen, was man sagen darf/soll und was nicht, einerseits, weil wir zu wenig von der fremden Kultur wissen und andererseits, weil die Befindlichkeiten in dieser Kultur durchaus verschieden sind. Es gibt ja sehr viele unterschiedliche Richtungen im Islam, die das, was erlaubt oder verboten ist, ganz verschieden sehen. Woran soll man sich also orientieren? Ich empfinde eine fundamentale Unsicherheit, was man sagen darf/soll und was nicht. Das Resultat davon ist, dass wir uns im Zweifel besser gar nicht äußern, aber dieses Ergebnis möchte ich eigentlich nicht akzeptieren, denn es würde in der Tat eine gravierende Einschränkung unserer Kommunikationsfreiheit und -bereitschaft bedeuten. Mit anderen Worten: Eine gewisse Selbstkontrolle/Eigenzensur ist sicherlich Ausdruck von Verantwortung und Wertschätzung gegenüber anderen, aber wie weit muss sie gehen, wie sehr Befindlichkeiten Rechnung tragen, die uns schwer nachvollziehbar sind?
Ich glaube, dieses Problem überhaupt zu thematisieren ist auch Aufgabe einer zeitkritischen Literatur. Ich würde mir viele Texte wünschen, die sich damit auseinandersetzen, aber ich sehe in unseren Medien nur Beiträge, die - politically correct - zu Selbstkritik und Mäßigung aufrufen. Zeigt das nicht, dass da schon etwas im Argen liegt?
Schöne Grüße,
Marius
Zuletzt geändert von Marius Nam am So 07 Okt, 2012 10:54, insgesamt 1-mal geändert.
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von kokoschanell » Sa 13 Okt, 2012 15:42
hi marius,
an meinem ersten tag hier stoße ich hier auf deine exzellente geschichte. leicht kommt sie daher, wie ein wüstenwind und doch tiefgründig. ausgerechnet einen hund mohammed zu nennen, wo der orient doch das schimpfort "sohn einer hündin"kennt, was zeigt, welchen stellenwert dort ein hund hat, ist gewagt und pfiffig. es passt genau zu der zweischneidigkeit der geschichte: einerseits geht es um die beziehung zu einem hund, der hier auch nicht nur namentlich für freund und hilfe steht wie es auch die religion kann. andrerseits geht es um vorurteile, menschliches unvermögen, aktuelles, was den hundebesizer wegen des namens und auch die religion in ihren festen erschüttert. nette anspielungen. alt, auf einem auge blind ect. zudem die scheinheiligkeit des allen und die zweifel, die ein mensch bekommen kann. und doch auch festhalten an mohammed (hund und religion). klasse geschrieben- siehst mich begeistert. grüße von dem frischling koko, die noch nicht weiß, wie man hier empfehlungen gibt...
Vielleicht stünde es besser um die Welt, wenn die Menschen Maulkörbe und die Hunde Gesetze bekämen. G.B. Shaw
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von rivus » Sa 13 Okt, 2012 18:53
hi koko, herzlichst willkomm hier!
du kannst den text emfehlen, indem du in der textüberschriftzeile ganz nach rechts gehst und nach der zitierfunktion den daumen anklickst!
lg rivus
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von Garfield » So 14 Okt, 2012 01:40
Allerdings geht das erst, wenn man 10 Beiträge verfasst hat, koko und rivus Aber wo ich grad mal hier bin: Hey Marius Deine Parabel gefällt mir, bringt interessante Gedanken auf den Punkt und beschreibt gut Schwirigkeiten, die mit diesen ganzen Debatten einhergehen. Was mich stört ist der Threadtitel, warum hast du da nicht "Mein Freund Mohammed" genommen? Man muss ja nicht gleich auf das parabelhafte und diesen ollen Film gestoßen werden. Gruß Garf
Kurz, er bewies eine Geduld, vor der die hölzern-gleichmütige Geduld des Deutschen, die ja auf dessen langsamer, träger Blutzirkulation beruht, einfach gar nichts ist. Gogol - Die Toten Seelen
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