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Internetherzschmerz

Beitragvon casia » Fr 30 Sep, 2016 04:51


Geisterstunde 2.0

ich hasse dich dafür wie du dich mit deinen worten in mein bewusstsein gefressen hast.
bald kenne ich dich ein halbes jahr. alles surreal. alles fern.
seit dem ist kein tag vergangen an dem ich nicht an dich gedacht hätte.
deine prüden lockrufe wirkten wunder.
alte wunden hast du aufgerissen um sie endlich heilen lassen zu können.
als wärst du ein rabe und ich prometheus.
und du kamst und fraßt mich mit deiner sprache und
entfesseltest mich gleichzeitig.
endlich frei sitze ich trotzdem hier und drehe daumen in
die bedeutungsleere luft.
bedeutungsvolle stille.
die mich zerreißt.
aber ohne dich.
ich zerreise für mich, kann ich mir schön einreden,
alles ist meine entscheidung.
dass ich nicht abhängig bin. doch du weißt es besser.
du hast dich daran genährt wie ein funkelndes stück scheiße sahst du mich in den tiefen abgründen des facebook.
zur hölle? fragtest du
bin ich auf dich gestoßen?
und stießt mich anschließend in deine hölle.
dein käfig aus zweifel über dich,
dein leben,
die welt.
sei doch nicht so.
lass dich in ruhe.
dein kopf kommt auch ohne diesen
selbsthass klar.
denke ich.würde ich nie schreiben.
wie denn auch? was wäre falscher?
ich weiß es nicht.
ich denke hier.
denke mein neckisches großstadt dasein in müde erschöpfung vor deinem großen fragezeichen.
es ist transparent und reflektierend gleichzeitig.
wie die fensterscheibe in die ich blicke um dich zu erblicken.
wo bist du?
Zuletzt geändert von casia am Fr 30 Sep, 2016 13:45, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Internetherzschmerz

Beitragvon findefuchs » Fr 30 Sep, 2016 11:27


Hallo casia, auch bei Auge-in-Auge-Kommunikation mit realer Anwesenheit eines Gegenübers, bleibt letztlich die Frage, ob man einander tatsächlich erreicht. Darum scheint mir, geht es in Deinem Beitrag. Die Internet-Kommunikation verstärkt das Gefühl von Unerreichbarkeit, wobei ein realer Gesprächspartner eher die Illusion von innerer Verbindung und echter Erreichbarkeit vermittelt. Es ist allerdings m. E. nur die augenfällige Ebene, welche persönliche Komunikation so viel wärmer, näher und erfüllender erscheinen macht. Letztlich, in allerletzter Konsequenz, kann dennoch in beiden Situationen passieren, dass ein Gegenüber wie Coleridge sagt: "I, sunk in Spinoza, remained untouched, like a goat on a rock." Gruß. finde
Als ich des Suchens müde wurde, erlernte ich das Finden.
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Re: Internetherzschmerz

Beitragvon vakuum » Fr 30 Sep, 2016 11:54


Hi casia,
wie eigenartig mich Deine Zeilen berühren...
Vor Äonen, als ich Studentin war und ganz furchtbar verknallt in einen Typen an der Uni, der von fast allen bewundert wurde ob seiner abgeklärten Einstellung zum Leben - erkannte ich, dass es gewisse Chraraktere gibt, die nicht geliebt werden wollen - können - sollen...die sich ständig nur ergießen in eine vermeintliche Selbstanklage, Hass auf die Welt, die große Konstrukte denken über Veränderungen (ebenfalls vermeintlich), und die eigentlich nur eines sind: Die Egomanen, denen wir Blindnasen bisweilen auf den Leim gehen. Deren Welt im Grunde genommen nur aus dem eigenen Bauchnabel und dem eigenen Spiegelbild besteht. Aber das erkennt man nicht sofort. Und zwar vollkommen unabhängig, ob real oder virtuell.
Muss auf Dein Internetgegenüber ja nicht zutreffen...erinnerte mich nur an das, was ich damals zu erkennen geglaubt habe.
Vielen Dank - Du hast einen Zauber in diese Worte und Zeilen gelegt, dem die Erkenntnis schon zugrunde liegt.
Was für ein famoses Intermezzo meiner so öden und anstrengenden Arbeitswoche!
Mit Dank, lg
vakuum
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Re: Internetherzschmerz

Beitragvon gerlind58 » Mo 09 Apr, 2018 16:04


Irgendwie haben diese Zeilen was eigenartiges und interessantes. Beim Durchlesen fand ich, dass ich mich an manchen Stellen wiedergesehen habe. Oh man, das wäre echt schlimm, wenn es mir im Unterbewusstsein auch so gehen sollte...
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