Pessimistische Lyrik

damals sterne

Beitragvon Friederich » Di 16 Sep, 2008 21:52


damals noch auf leuchttürme zu
gleichschreiten wir heute
links zwo......drei und vier
...........schrittig halten wir hände
(träume) – damals noch
worte, atem,..... ..berühr

heute bilder
krampfhaft fest. ohne sterne
pendelt sich (hände fest wie träu
me) dein lachtaumel in
meinen mauern fest darüber
tönt ein betonmond.
L'avenir, on ne l'attend pas comme on attend le train. L'avenir, on le fait. (Georges Bernano)

Friederich
Friederich
Stammuser
Stammuser
 
Beiträge: 508
Registriert: Sa 13 Sep, 2008 20:33
Eigene Werke
 

Re: damals sterne

Beitragvon blaue_Raupe » Do 18 Sep, 2008 17:53


Hi Friederich,


nach etlichen Malen Lesen stoße ich immer wieder an textinnere Grenzen und verfolge mal diese Motivik darin, mal jene. Einiges kann mich ansprechen, anderes weniger, dazu natürlich im Einzelnen noch etwas mehr.
Was ich im Grundlesegefühl noch nicht übereinkriege durch Wortwahl & Struktur bisher, ist tatsächlich ein Verlaufsgefühl, das unterstreicht, was dir zumindest in den Teilen die ich zu erkennen denk, vorschwebte beim Gestalten.
Im Prinzip geht es wohl um eine verlorene Leichtigkeit in einer Verbindung zweier, vielleicht hin zum Festfahren, Gegebenheiten unterworfen zu sein und in Starre bis zur Künstlichkeit zu geraten mit den Jahren.
Zumindest ich hab ne Weile gebraucht, Zugangsstellen zu finden und die Motive gegeneinander zu balancieren, bzw. der vertrackten Struktur ein Stück näher zu kommen. Also erstmal sehen, was bisher dabei rumgekommen ist … dazu muss ich leider etwas fisseln.

damals sterne

damals noch auf leuchttürme zu
gleichschreiten wir heute
links zwo....
~
Gleich zu Beginn wird einem ja als Leser schon ein Bisschen was abverlangt, in der Dreifachkonnotation aus V1, 2 und dem Enjambement. Zwar sehe ich den Sinn des „gleichschreitens“ als Vollverb, um das Trio bilden zu können, aber die Eleganz der Konstruktion hat in meinen Augen auch etwas darunter gelitten.
Zuerst wollte ich eine andere vorschlagen, hatte sie ausgeknibbelt und dann zurückgenommen, weil sich die Satzsemantik reduziert hätte und ich auch noch nicht weiß, wie das zu gewichten sein sollte im Gesamten.
Ganz interessant, dass ausgerechnet das „gleich“ so trennt in der Art, wie du es gesetzt hast.
In den Motiven erscheint der gesamte Text eher lose für mich, zumal auch der eingängige Leuchtturm keinen Rahmen bietet, um etwas zu verorten, sondern als symbolischer Platzhalter eingebaut ist, den man erstmal in seinem Rahmen aufladen muss (immerhin liefe man wohl eher nicht auf Leuchttürme zu, so’s denn eine konkrete Bildstatt wäre).
Was verbinde ich da mit dem Leuchtturm … sicherlich Isolation, weniger negativ: Zweisamkeit, ein Leuchtfeuer, das allerdings nicht den Zweien leuchtet, um ein Auflaufen auf Riffs und Klippen zu verhindern, sondern anderen, die ihn sehen mögen.
Das Motiv auf Zeichnungen, Gemälden etc. ist ja meist ein idyllisches, stilles, am Meer, mit dem Feuergipfel, sozusagen.
Dann kommt allerdings gleich das Militärische hinzu … der „Gleichschritt“, das Abzählen, das Anpassen aneinander. Wenn ich jetzt auf die Idee komme, dass „(damals) sterne“ in Verbindung zu Rangabzeichen stehen mögen, die man allerdings grade nicht für den Gleichschritt bekommen konnte, sondern damals für etwas, das als gegenteilig betrachtet wird, finde ich das selbst etwas an den Haaren herbeigezogen. So fällt das Militärgesetze raus aus der übrigen Bildcollagenwelt. Aber erstmal weiter …

.____.drei und vier
...........schrittig halten wir hände
(träume) –
~
Das geht mir nicht ein, auch im Übertragenden bisher nicht. „vierschrittig halten wir hände (träume) / schrittig halten wir hände (träume)“? Nicht uninteressant ist der Bruch im Bild, weil der Schnitt aus dem Militärischen hin zu was fast Kindlichem kommt, das sich an den Händen halten & im Gleichschritt gehen. Trotzdem finde ich das Enjambement und die Einzelverse nicht sonderlich ergiebig, zumal auch mit „drei und vier / schrittig halten wir (träume)“ für mich noch nichts wirklich gerissen ist für den Text.
Sicherlich ist die Traumschatulle sehr beliebt für das, was man sich als Paar anfangs vorgenommen hatte, aber in der Kombination mit den übrigen Worten & der Parallele Hände/Träume wirkt es für mich hier noch nicht recht. Hier ist auch eine der Stellen, in der mit ein gefühlter Textverlauf verloren geht, weil evtl zu inkohärent und/oder zu viel auf einmal. Ganz sicher bin ich auch noch nicht.

damals noch
worte, atem,..... ..berühr

heute bilder
krampfhaft fest.
~
Auch bei diesem Stückchen ist es gemischt. Einerseits empfinde ich die Großlinge „worte“, „atem“ zusammen mit dem artifiziellen „berühr“ recht grob & austauschbar, andererseits sehe ich aber die Dopplung der Wortklasse des „berühr“ und die konsequente Einflechtung der eingeführten Parallele Hände/Träume. Etwas unschön darin: das „krampfhaft fest“, das zwar im Rückbezug zum an den Händen halten wirkt, aber wenig im Berühren der Bilder (heute), worin ich zumindest eine zweite Schiene befahren habe, die des sich Verfestigens der Bilder, die eine der Zwei (krampfhaft/fest) berührt, um sie wieder in Bewegung zu versetzen und wieder zu etwas Unerwartetem zu gelangen, Lebendigkeit fällt da ein.

______________ohne sterne
pendelt sich (hände fest wie träu
me)
~
Um noch an dein Einarbeiten/Durchziehen von Händen/Träumen anzuknüpfen: das „Hände fest wir träume“ empfinde ich bislang als recht gewollt; obwohl beides ins Wortfeld um „Halten“ fallen kann, teilen sie sich doch nicht wirklich viel, um mir als natürlicher zu erscheinen als in der Konstruktion.
Was mir ganz gut gefällt, ist der Bewegungsablauf des Lachtaumels, der auf mich unauffälliger wirkt, aber nicht verfehlt. Von „freier“, unkontrollierter Bewegung („Liebestaumel“ etc. in gleichmäßiges Pendeln hin zum Erstarren, wie „Traum“ & evtl Hand, wobei ich das „fest“ bei Letzteren für etwa Berührungslosigkeit nicht für die optimale Lösung halte.)

dein lachtaumel in
meinen mauern fest darüber
tönt ein betonmond.
~
Grade bin ich erstaunt, wie hier das Leuchtturmmotiv noch mal aufgegriffen wird: vielleicht gab’s einst das übermütige Lachen beim Flitzen auf der Wendeltreppe am Turm, der Taumel beim Nehmen der Wendungen nach oben, die Mauern sind noch dort und ganz an der Spitze „ein Licht“, wie ein Leuchtturm. „Mauern“ als Beziehungsbegriff für „zugemacht haben“ etc. ist zwar steinalt, aber in Verbindung mit dem unaufdringlichen Wiederaufgreifen des Ausgangsmotivs gefällt’s mir wieder.
So kann ich auch des „tönen“ besser mit hineinnehmen, wie das Horn eines sich nähernden Schiffes, das bereits mit der rettenden Lichtquelle zusammengefallen und erstarrt ist.
Find ich gut gemacht, goes Gimmick ;) .

Bleibt als erste Betrachtung … gemischt im Lesegefühl, aber auch im Gefühl, doch Einiges rausholen zu können aus den Konstruktionen. Wie gesagt: die Eleganz hat ein wenig gelitten und in kuzen, teils artifiziellen Begriffen schlummert nicht nur Gutes.

Aber das für ein erstes, zumindest schriftliches, Betrachten (ich muss mich hier auch irgendwie erst … einpendeln).

Viel Gruß,
r~~~
you cannot unscramble scrambled eggs.[links:3fqyydm7][/links:3fqyydm7]
blaue_Raupe
Etabliert
Etabliert
 
Beiträge: 382
Registriert: Mi 10 Sep, 2008 22:16
Eigene Werke
 

Re: damals sterne

Beitragvon Friederich » Do 18 Sep, 2008 18:50


Hallo raupe,

vielen Dank für dein ausführliches Eingehen auf meinen Text. Mit deiner Deutung liegst du richtig, auch hast du viele sehr richtige Inkohärenzen aufgezeigt. Diese sind zu einem gewissen Teil der Spontanität zuzuschreiben, in der das Gedicht entstanden ist und die mit der doch etwas experimentelleren Form nicht zur Gänze konform geht.

Was mich freut, ist dass du dem "gleichschreiten" die Funktion eines wortinhärenten Widerspruchs zuschreibst, also die semantisch gesehen invertierte Funktion, die das Verb in metrischer Sicht inne hat. Anders als in diesem Fall hat mich dein Kommentar auch überrascht, denn oftmals schreibst es ja durch einen, eher als dass man schreibt. Ein Beispiel ist deine Deutung des Aufgreifens des Leuchtturms in der "Mauer".

Insgesamt hast du mich auf zahlreiche wichtige Dinge aufmerksam gemacht, etwa den unbefriedigenden Abbruch des militärischen Motivs. Zu einigen Punkten möchte ich dennoch noch etwas ergänzen:

Der Begriff "fest" hat hier ja auch wieder eine Widerspruchsfunktion. Während die inneren Gemeinsamkeiten, der Blick auf das Ziel, die Träume, schwinden, bleibt das Korsett der äußeren Gemeinsamkeit ja bestehen. Es bestehen Mauern, doch die Bewegung erstarrt, du implizite lyrdu bleibt ja präsent, doch selbst Berührungen entstandenen Grenze.

Es bleibt Raum für Verbesserung ;)

Danke für deinen Kommentar und Gruß,

Friederich
L'avenir, on ne l'attend pas comme on attend le train. L'avenir, on le fait. (Georges Bernano)

Friederich
Friederich
Stammuser
Stammuser
 
Beiträge: 508
Registriert: Sa 13 Sep, 2008 20:33
Eigene Werke
 

Zurück zu Schwarzlicht

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 4 Gäste

cron