Alle Gedichte, die in keine andere Kategorie passen

irgendwas im letzten jahr

Beitragvon Anna Lyse » So 03 Jan, 2010 12:57


verblieben sind die geister
der alten oder urahnen
oder ähnliches,
in hohen gebäuden
vielleicht auch niedrigen häusern,
flachgedacht, noch nie
gesehen hast du sie oder ich
du glaubst es nicht wirklich,
genausowenig wie an lebendes
ohne wind.
.
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Re: irgendwas im letzten jahr

Beitragvon Friederich » Mi 06 Jan, 2010 15:35


Hi Isabel,

das Gedicht scheint mir eine ebenso tiefgründige wie spontane Reflektion zu sein. Was mir vom Gesamteindruck nach dem dritten Lesen gefällt ist, dass dieser kurze Moment der Reflektion über das "Du" vom tiefen Verstehen geprägt ist, das sich in einer äußeren Unzugänglichkeit einstellt (dies kommt für mich vor allem durch den unvermittelten Einzug des "du" auf). Formal gefällt mir einiges an deinem Text gut, andere Dinge würde ich vielleicht noch einmal überarbeiten.

Stark finde ich, dass du zu den schwer, ein wenig pathetisch wirkenden Gedanken an "Urahnen" durch eine lakonische Ausdrucksweise ein Gegengewicht schaffst.

der alten oder urahnen
oder ähnliches


Dies ist wohl nicht zuletzt auch der gekonnt geschaffene Anlass dafür, dass der Schwerpunkt sich beim Lesen von einer Reflektion über das Spirítuelle langsam zu einer Reflektion über die Sichtweise des Du verlagert.

Die folgenden Zeilen sind für mich vor allem im Bereich Zeilenumbrüche verbesserungswürdig.

flachgedacht
noch nie gesehen
hast du sie oder ich


Irgendwie löst sich hier, vielleicht sogar ab Zeile vier, der Lesefluss auf. Enjambements an sich sind für mich kein Grund für einen solchen Bruch, eher im Gegenteil. Vielleicht könntest du aber nochmal darüber nachdenken, ob eine Veränderung der Zeilenstruktur eine Verbesserung wäre, vielleicht sogar neue Lesarten ermöglichen würde. Z. B. so:

in hohen gebäuden
vielleicht auch niedrigen häusern
flachgedacht, noch nie
gesehen hast du sie oder ich

Auf der anderen Seite ist ja der konsequente Verzicht auf Interpunktion hier auch ein Stilmittel, das du bewusst gewählt hast. Hm...

Super ist der Schluss; hier wird, ganz subtil, ein Urteil über das "du" gefällt, dessen emotionale Konnotation so unterschwellig ist, das die Interpretation beim Leser bleibt. Insgesamt ein richtig starker Text

Grüße, Friederich
L'avenir, on ne l'attend pas comme on attend le train. L'avenir, on le fait. (Georges Bernano)

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Re: irgendwas im letzten jahr

Beitragvon rivus » Do 07 Jan, 2010 10:00


hallo isa,
dein textstück gefällt mir. das flachgedacht lässt viele oberflächen u. tiefen auslotbar gedrückt oder abhebend zurück u. zeichnet die winde wie die geister der vorzeiten vieldimensional, flach u. auch in einem raum-zeit-mensch-kontinuum denkbar. beides ist nicht wirklich, sondern nur konstrukt der lildbezüge mit all ihren verwurzelten, verbauten da- u. sosein im nachhinein unbestimmbaren, denn das lebendige ist nicht in räumen vollständig fassbar, sondern behält sich gottseidank ein geheimnis, ein etwas unfassbares, das unser aller leben motiviert u. voran- oder auch zurücktreibt oder eben auch im nicht sichtbaren verankert. wir können daran glauben oder es anzweifeln, gar ignorieren, doch wir u. sie sind u. bleiben verblieben in gedankentraummärchengebäuden, die sehr mit unseren bewußten u. unbewußten archetypen affinieren.


gern gelesen

lg, rivus
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Re: irgendwas im letzten jahr

Beitragvon Anna Lyse » Fr 08 Jan, 2010 11:13


hallo friederich,

bin ja überrascht so einen ausführlichen kommenentar zu einem so unreflektiertem stück zu erhalten :) denn damit hast du recht allerdings ist es nur unreflektiert und tiefgründig kann ich erst jetzt etwas erkennen was aber vorher gar nicht so vorgesehen war.

ich war mir auch wegen der ziemlich pathetisch wirkenden zeile mit den urahnen ziemlich unsicher und habe wie du schon richtig erkannt hast aus dem grund das "ähnliche" drangehängt, weil es sonst eine ziemlich eigenartig geschmack bekommen hätte. das ganze fing an mit dem tatsächlichen geister glauben und sollte dann aber umschwenken zu einer geister metapher...weg von dem spirituellen und hin zu dieser sichtweise des lyr.dus, die sprache des lyr.dus auch eher in dieser einfachheit aufgegriffen anstatt mich noch mit tiefgründigen wörtern ausgedrückt :p

das ganze auch als selbstgespräch gesehen, "glaubst du an geister? ne nicht wirklich oder? und wenn es deine urahnen sind? glaubst du es dann eher?"
ich denke man würde den urahnen eher glauben schenken als irgendwelchen anderen, die haben ja eine gewisse legitimation :D

deine kritik an den zeilen, wie sich aufgebaut sind kann ich gut verstehen, mir gefällt dein vorschlag spontan gut, überlege sogar ob ich nicht noch interpunktiere. denn dein vorschlag wäre erst dann so richtig passend.

auf alle fälle danke ich dir sehr für deinen kommentar.

gruß,
isabel

hallo rivus,

deine interpretation ist ja ein fass ohne boden ;) und vieldimensional so wie von dir so schön beschrieben, das sollten es sein. deshalb auch das "flachgedacht" da es hier auch das lyr.ich untersucht, ob dieses flache in flachen häusern oder nur dem flachen denken auch wirklich ein dasein fristet oder ob es doch nur so gut konstruiert durch ängste usw... das es manchmal zu einer last wird.
das glauben an sich.

danke fürs lesen und natürlich für deinen kommentar, war schön zu lesen.

gruß,
isabel


edit. der text wurde am 9.01.10 geändert, habe vorschlag von friederich angenommen. zeilenumbrüche verändert und interpunktiert. dankeschön!
.
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