Alle Gedichte, die in keine andere Kategorie passen

Hell gefangen

Beitragvon Alcedo » So 24 Jan, 2010 12:56


Hell gefangen


Meine Freiheit ist aus Seide.
Seide führt zum Mond.
Wenn ich falle, wenn ich leide, bin ich es gewohnt.

Mein Gefängnis ist die Erde.
Erde führt ins Nichts.
Wenn ich steige, wenn ich werde, bin ich schweren Lichts.

Mein Erlöschen ist wie Seide.
Seide netzt zum Mond.
Falls ich schimmere bleibt Schreibe, dort wo Leiden lohnt.

Dunkel nimmt mich nicht gefangen.
Licht entsteht im Nichts.
Ich erlösche und ich bleibe hellen Angesichts.
Alcedo
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Re: Hell gefangen

Beitragvon Drehrassel » Di 26 Jan, 2010 00:37


"kahaya! you fuck! come hell or high water / [size=85:1gm84zjy]i might have fucked your misses but i never fucked your daughter[/size] [...]" -(shane mc gowan)


hell gefangen, du meinst es also wirklich ernst? dies deutsche attribut, dies arme kleine, in wahrheit gefangen in allzu "poetisch" (was sich hinz & kunz darunter vorstellen und gegenseitig zu weihnachten, geburts- und st. nimmerleinstag schenken, etwa eine hübsche schachtel gerade - oh wunder! - neu herausgebrachter und compiled-ter best-of-rilke-bändchen - "liebeslied" auf jeden fall mit drin! und: "du musst das leben nicht verstehen, / dann wird es werden wie ein fest") daher kommenden bekenntnissen eines artikulierten ich, dessen es erst syntaktisch in diese pretentiös-pretiose metrik und versbau einbettende (wörtlich zu nehmen! und: *schnarch*) metaphorik anachronistisch - und, wer weiß? in postmoderner manier? - veritabel und goutierbar zu werden lassen scheint. / aber, knüpfen wir an an hier in unserem forum unlängst wieder einmal schwelender diskussionen und streits (politik der verbrannten erde, nenne ich sowas) über das wesen des kitschs. wie man ihn - den literarischen kitsch - bestimmen, und ob man dabei noch außerdem zwischen einem "guten, spannenden, gelungenen" einerseits, andererseits einem "schlechten", einem... nun... also, quasi... wie soll ich sagen? "kitschigen kitsch" unterscheiden solle.

man muss nun nicht allzu sehr zwischen den zeilen lesen können, umzu merken, dass ich persönlich diesen disput für einen schein-diskurs halte. ein wetterleuchen, irrelevant und ohne jeglichen nachhall. nicht einmal boden, worauf es sich entladen könnte. - "guter kitsch", das wäre immer noch - und an dieser stelle halte ich rülfig die stange (den blitzableiter) - eine form der literarizität, die sich zwar überkommenener bilder und sprechhaltungen bedient, sie aber - na, selbstverständlich! leute leute! - sie gleichzeitig im textgefüge zu ironisieren und perspektivisch SOOO! nah hinzuhalten verstünde, dass sie zugleich distanziert wirken müssten. [exkurs modus /off]

ich jedenfalls erkenne in deinen zeilen, alcedo, einen willen zur strengen form, der mir fast wie wut vorkommt. das ist es auch, was ich an diesem text noch an sich interessant finden kann. sein semantisches innenleben allerdings aus kokettem selbstdarstellungseifer des artikulierten ich, plus dessen meta-physisch-neo-romantischen sentiments... langweilt mich... nein! ich lüge! ärgert mich! ich will von solchen versen, die gefühlte 100 personal- und possesiv-pronomina montieren mit "seiden-leiden-freiheits-monds"-geschwätz nichts wissen. spannender wäre, du liest mir das telefonbuch vor. auch wenn die einzige - ausgerechnet in eine eigene zeile versteckte - aussage: "erde führt ins nichts" (also! die MATERIERE AN SICH ist es explizit, die worauf wir uns nicht verlassen können. das licht allerdings als eine zwitterform vom welle und partikel, SIE! ist es, worauf es in diesem poetologischen lied ankäme!) einen nicht uninteressanten (wenn auch uralten) gedanken beinhaltet: handwerk ist nicht alles in der kunst. - im gegenteil. mir steckt da - trotz der verbissenen konfessionalität - und rekurrieren auf bestimmte autoren im spannungsfeld zwischen naturalismus, neu-romantik, lyrischem mysthizismus - einfach zu wenig an eigener autorenleistung drin, um es auch nur vergleichen zu wollen mit autoren wie mombert, dehmel, dem jungen rilke (ode dergleichen). - gefällt mir gar nicht.

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Re: Hell gefangen

Beitragvon kirmesbollo » Di 26 Jan, 2010 12:12


Huiii!
Rassel, wenn ich Deine Repliken lese, nimm mir die Plattitüde nicht übel, auch nicht die verhasste und nur oberflächliche Metakritik - denke ich, dass ein wenig Sex Dir gut tun würde. Klaro, wer ist nicht genervt von Befindlichkeitslyrik? Doch hier gibt es mehr zu entdecken, mehr als eine(r) akademisch und wortreich herausprokeln könnte. Hier bist Du ein bisken übers Ziel hinausgeschossen. Nicht alles wohlempfunden niedergeschriebene ist sofort Kitsch, nur weil man sich deutlicher Worte bedient. Selbst wenn Deine analytischen Betrachtungen zu Form und Kitsch zutreffend sind (sind sie es Alcedo?), finde ich, darf auch mal pathetisch gelitten werden, wenn es so geschmeidig daherkömmt. Ich lese das jetzt mit meinem (wemauchimmerseidank) beschränkten theoretischen background immer wieder laut vor mich hin und freue mich an Klang und Licht und Schatten (muss man auch mal machen).
Sorry, bin einfach zu emotional mit dem Lesen.
Heulsusig: der bollo
Ja Ja Ja
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Re: Hell gefangen

Beitragvon Drehrassel » Di 26 Jan, 2010 13:04


bevor es hier in dem faden, wegen mir und meinen selbstverliebten verrissen mal wieder [ :rolleyes2: ], rund geht... : ja, du hast recht, bollo. ich bin hier tatsächlich "ein bissken übers ziel hinausgeschossen". ich muss und werde meine *hüstel* "methode", mich - von einem allerersten leseeindruck ausgehend - in einen gewaltakt von verriss hineinzuknilchen, oder vice versa: flötentöne der entzücktesten begeisterung zu flöten, überdenken und gegebenenfalls modifizieren lernen müssen. meine bornierte besserwisserei steht im krassen widerspruch zu diesem rein assoziativen umgang mit meiner lektüre (die sich zu allermeist auch noch auf ein mehr als nur flüchtiges überfliegen beschränkt), dem aber darin angeschlagenen naseweisen vokabular... /

ich führe hier nur vor, gerade im hinblick auf das zentrale thema meiner kritik, die kitsch-debatte, wie oberflächlich ich mich mit alcedos text beschäftigt habe. so oberflächlich nämlich, dass es fast spottet, überhaupt von "beschäftigung" zu reden. sonst wäre mir vielleicht - um nur ein beispiel zu nennen - aufgefallen, dass es durchaus wendungen in dem gedicht gibt, die das rhythmisch und melodisch hübsch gedrechselte versgefüge mit einer sanften ironie leise umspielen und konterkarieren. die zeile etwa:"falls ich schimmere bliebt schreibe, dort wo leiden wohnt" hat fast schon etwas rühmkorffsches an sich und kann eigentlich nur als versierte paraphrase romantisierender techniken und topoi gelesen werden...

etwas zerknirscht,
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Re: Hell gefangen

Beitragvon OlafmitdemTraktor » Di 26 Jan, 2010 16:34


die "eigenleistung" des autors wird hier angezweifelt - ja, besser noch: sie fehlt - und das ganze erscheint unnötig verschnörkelt, fast wie eine ungewollte parodie.
nun, ich muss schmunzeln ob der leidenschaft derer, die sich vom text nicht angesprochen fühlen.

die letzten tage habe ich mit genuss theodor kramer gelesen. dazu hans eckhardt wenzels "lied am rand" (wenzel singt theodor kramer)- cd gehört.
weshalb erzähle ich das? weil meine empfangskanäle für dieses alcedo-gedicht gerade geöffnet sind, weil es mich anspricht jenseits von irgendwelchen kitsch-diskussionen - und mir das auch ziemlich egal ist. weil ich alcedos "lied" hier vor mir sehe und weil ich mit meiner gitarre dazu klimpere.
weil ich mich dabei wohlfühle.

so unterschiedlich sind die situationen, aus denen wir kommen, und manchmal fallen solche worte wie mond-seide-erde-licht unvermittelt auf fruchtbaren acker.

grüße von omdt
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Re: Hell gefangen

Beitragvon OlafmitdemTraktor » Di 26 Jan, 2010 18:23


und du gibst das schönste beispiel das der text aus sich herraus nicht viel stimmfühlungsarbeit leisten kann - wenn man vorher gewisse musik oder gewissen text genießen muss um ein fruchtbarer acker für den text zu werden. nichts gegen intertextualität und ein text alleine ist immer nichts... blabla. ich kann mir das werk auch schön trinken.

weil mich der text berührt, weil ich ihm gerade zufällig aus einer so oder so gearteten persönlichen situation heraus begegne (was ja immer der fall ist), lässt doch nicht schlussfolgern, dass der text aus sich heraus keine "stimmfühlungsarbeit leisten kann".
ich werde einem text immer nur begegnen können aus einer gewissen situation heraus, einer gewissen laune entsprechend, nachdem ich gewisse musik gehört habe, gewisse texte gelesen, gewisse kritiken geschrieben, gewissen frust vor mich her geschoben habe, gewisse unlust verspüre, gewisse traurigkeit sich in mir drängt ...
du stellst es dar, als hätte ich mich gedopt, um ihn gut finden zu können.
nein, den text muss niemand gut finden, aber man darf.

und man darf ihn auch kritisieren. nur verstehe ich die angemahnt fehlende eigenleistung des autors nicht. es sei denn man ginge davon aus, lyrik müsse sich in jedem text neu erfinden.

lg omdt
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Re: Hell gefangen

Beitragvon Alcedo » Di 26 Jan, 2010 22:40


@Drehrassel:
besten Dank für das unmittelbare Feedback beim allerersten Leseeindruck und ein bisschen auch fürs Nachlegen. die fette assoziative englische Hölle war mir vom Fleck weg am sympathischten.

@kirmesbollo:[quote="kirmesbollo":1du6frit]sind sie es Alcedo?[/quote]ja, selbstverständlich. zum Teil sind sie es.
[quote="kirmesbollo":1du6frit] bin einfach zu emotional mit dem Lesen.[/quote]und ich war es beim Schreiben. passt doch. und beim Lesen ging es mir ja auch schon mal so, etwa bei deinem "Schneetraum". jetzt muss ich deshalb auch gleich fragen: hast du auch geheult als du das damals verfasst hast?

@Mo.-:
merci für das spröde Lob, für die Wühlversuche und für die epigonale Ehrlichkeit.

@OlafmitdemTraktor:[quote="OlafmitdemTraktor":1du6frit] ich muss schmunzeln ob der leidenschaft derer, die sich vom text nicht angesprochen fühlen. [/quote]ja, ging mir auch so.
merci für das Dazugeklimpere.

Grüße
Alcedo

und Mo,-sens korrigierten Satz nehme ich unbedingt zum Unterschreiben:

Lyrik sollte sich in jedem Gedicht neu erfinden, sonst ist der Text diese Bezeichnung nicht wert.
Alcedo (eigenhändig)
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