Geschichten zum Thema Alltag

Ohne Nachtrag.

Beitragvon Neruda » Mo 01 Mär, 2010 23:26


Da liegst du nun in den verschwitzten Laken. Ich beobachte das schwere Heben und Senken deiner Brust. Du sagst gerne, du wärst nicht leicht zu haben. Ich kann dich haben. Jederzeit. Wann immer ich es will bist du nackt.
Während du deine gerötete Wange gegen meine Schulter presst, starre ich an die Decke. Ich denke darüber nach, wie es wohl gelaufen wäre, hätte ich dich lieben können. Würde ich dich jetzt in den Arm nehmen, dir einen Kuss auf die Stirn geben, vielleicht zärtlich mit den Fingern deinen Nacken kraulen? Ein sinnloser Gedanke. So bin ich nicht. So sind wir nicht.
Nach einigen Minuten stehst du auf, greifst nach einer Zigarette und steckst sie dir an der offenen Balkontür an. Ich ärgere mich und sage: „Ich mag es nicht wenn du in der Wohnung rauchst“. Du guckst mich an und antwortest schnippisch: „Ich mag es auch nicht wenn du nach fünf Minuten kommst“. Dann schweigen wir uns in den Mondschein hinein. Du schaust sehnsuchtsvoll zum Horizont. Ich weiß, dass du dir jetzt ein anderes Leben vorstellst. Ein besseres Leben, mit einem anderen Mann. Jemandem, der dich nicht um zwei Uhr nachts mit der U-Bahn nach Hause schickt.
Einmal bist du an der Haltestation überfallen worden. Danach saßt du mit blauen Flecken und aufgerissenen Jeans wieder bei mir in der Wohnung. Du sahst nicht mal verängstigt aus, nur deine Augen trugen einen traurigen Glanz. Du warst enttäuscht von mir, von mir und der Welt. Da habe ich mir vorgenommen dich das nächste Mal bei mir zu behalten und von nun an auf dich aufzupassen. Aber ich kann diese bleischweren Augen nicht ertragen, diese Augen, die mich erwartungsvoll anschauen, die das ganze Gewicht ihrer Tiefe auf mir abladen wollen. In der nächsten Nacht habe ich dich wieder zur Haltestation geschickt.
Ich weiß, dass du davon träumst, eines Nachts imeine Hand auf deiner Hüfte zu spüren.

Die Realität sind die weißen Flecken auf den Laken, in denen ich die Nächte alleine verbringe.
"...and the poets are just kids who didn't make it." -Fall Out Boy-
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Re: Ohne Nachtrag.

Beitragvon Antibegone » Sa 10 Apr, 2010 12:19


Huhu Neruda :)

Handwerklich, denke ich, ist dein Text sauber gearbeitet. Einigen Formulierungen kann ich nichts abgewinnen. Aber dazu später.

Du beschreibt vor allem die Leere. Das, was nicht ist. Den Wunsch, dass dort etwas sei. Aber gleichzeitig die Gezwungenheit der Charaktere. Der Mann kann jener Frau keine Liebe, keinen Halt, keine Geborgenheit geben. Dabei ist ihm klar, dass genau das der Wunsch der Frau ist, kann ihn aber nicht erfüllen. Sie hingegen ist gefangen in genau diesem Verlangen. Hierbei mag man sich streiten, ob das mit dem Überfall nicht zu dick aufgetragen ist, jedenfalls wird hier der Zwang mehr als offenbar. Aufhängen tu ich mich dagegen am „Ein sinnloser Gedanke. So bin ich nicht. So sind wir nicht“. Ich verstehe, dass du hier die Determiniertheit zum Ausdruck bringen willst und ich denke innerhalb des Textes funktioniert das durchaus. Aber darüber hinaus: Bei echten Menschen kommt es nicht vor, dass sie so sind oder so nicht. Sie sind. Und das unterschiedlich. Dadurch ist auch dein Text in sich gezwungen und kann nicht über sich selbst hinaus wachsen, bleibt beschränkt. Vielleicht ist es auch nur, dass ich gerne mal von dir einen Text der Fülle lesen würde…

Noch mal zu Kleinigkeiten, die mir auffielen. Erst mal: Es fehlen dir ein paar Kommata: Wann immer ich es will (Komma) bist du nackt.// „Ich mag es nicht (Komma) wenn du in der Wohnung rauchst“// und du schreibst lustiger Weise „imeine“ Hand, schätze du kannst auf das i verzichten.
Ah ja und dann: „Die Realität sind die weißen Flecken auf den Laken, in denen ich die Nächte alleine verbringe.“ Ich finde, du benutzt „Realität“ hier sehr leichtfertig. Vielleicht wolltest du es dem Wunschdenken gegenüber stellen. Das geht aber meiner Meinung nach nicht auf, wenn du keine Realität darstellen kannst. Sie dann zu erwähnen kommt mir platt vor oder eben wie gesagt: leichtfertig.
Die Rollen sind etwas klischeehaft, aber mir persönlich ist das egal, wenn ich bedenke, dass Klischees zu brechen genauso klischeehaft ist.
Den Titel finde ich so mittelmäßig. „ohne Nachtrag.“ Nichts was folgt, nichts womöglich, was sich ändern könnte. Passt; genauso leer wie der Text.

Muss zugeben etwas ungeübt zu sein, im Kommentare schreiben, daher die Kürze, hoffe du kannst dennoch etwas damit anfangen. Musste dein Text jetzt grad mal dran glauben :)
Herzliche Grüße,
Traumi
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Re: Ohne Nachtrag.

Beitragvon Drehrassel » So 11 Apr, 2010 17:56


hallo. [...] ich finde diesen text nicht schlecht. man kennt zwar tatsächlich viele andere versuche aus allen möglichen gattungen von dir, neruda, ein mindestens ähnliches thema literarisch zu verarbeiten, eine emotional abgekühlte und hoffnungslose liebesbeziehung im zentrum des geschehen, mit einem sprecher oder einer sprecherin, welche/r sich direkt an ein gegenüber, ein du, wendet, aber mehr "fülle", wie das traumi nennt, wünsche ich mir nicht; zumindest nicht was das sujet, das gestörte verhältnis zwischen den handelnden figuren, anbelangt. hier finde ich es nur konsequent, dass du bei der "leere", den unerfüllten wünschen und sehnsüchten bleibst. außerdem überzeugt mich, dass du mir hier, wiederum bezogen auf den inhalt des textes, keine längere geschichte mit z.b. mehr hintergründen oder einfach mehr handlung erzählst (bzw. besser: vom ich erzählen lässt). eine solche geschichte lebt meiner meinung nach davon, dass sie kurz ist und mit wenigen andeutungen, aber auch plastischen bildern, auskommt. es ist keine geschichte, welche durch ihre narration ihre protagonisten möglichst viele begebenheiten erfahren lassen will. das, was hier im mittelpunkt steht, ist das innere. das mit allen möglichen klischees auch angereicherte innere der beiden figuren. gefühle, sehnsüchte, welche sich durch bilder und verzweifelte versuche, das scheitern der beziehung (oder das nicht-scheitern lassen können gerade, das nicht in er-füllung gehen lassen können) in worte zu fassen. immer und immer wieder gleiten die gedanken und sätze dieser liebenden ab am ziel, sagen zu können, wie sie glücklich miteinander sein könnten. sie sind für sich selbst nicht glücklich, oder wissen zumindest auch nicht, wie das aussehen soll: das glück. aber wer weiß das schon? im grunde ist diese geschichte eine geschichte genau darüber, nämlich dass glückliche und glückende liebe, erotische liebe zwischen zwei menschen (es gibt ja viele sorten von liebe, das ist ja nur eine) nicht über den moment hinaus fassbar ist, nur sinnlich (nicht sinn-los!) vorübergehend zu erfahren, und zuallermeist nur in der retrospektion - also im schwinden der gefühle - beschreibbar. davon, denke ich, handelt diese kürzestgeschichte. sie ist wie ein song. sie bedient sich sprachlich und von den darin vorkommenden denkmustern her einiger klischees, plattheiten und hülsen. aber auch das ist hier nur folgerichtig und konsequent umgesetzt. was sollten die beiden denn denken und reden, traumi? sollten sie über platon, seneca, aristoteles diskutieren? augustinus? watzlawick? - nein, das ist ein missverständnis. dieser text hier ist nicht das, was neruda über liebe denkt; es ist eine montage aus sprachlichen klischees, wie wir sie aus dem alltag kennen. und das finde ich an sich so gelungen. einige formulierungen dabei würde ich allerdings auch als "over the top" bezeichnen. oder direkter ausgedrückt: sie gefallen mir nicht. lustigerweise decken sich diese allerdings wiederum nicht mit den von traumi herausgedeuteten. welche diese sind, en detail, und welche alternativen dabei für mich denkbar wären, davon vielleicht später, falls du, neruda, daran interessiert sein solltest. / zum abschluss noch zwei bemerkungen: diese sentenz:"Die Realität sind die weißen Flecken..." würde ich sogar sprachlich noch hervorheben. es hat zwar etwas von in der literatur schon oft gehörtem, besser "gelesenem", an sich; hat so ein bisschen den sound von bukowskis "Ein Gedicht ist ein nasser Lumpen im Ausguss", nur auf bürgerlichere privatverhältnisse getrimmt. aber, das stört mich nicht. ob das wort "realität" dabei aber vom klang her die richtige wahl ist, weiß ich nicht so genau. überhaupt gibt ein paar sachen in dem text, die mir einfach von der wortwahl her nicht so gefallen, die ich aber von der grundsätzlichen art und weise der darstellung in ordnung finde. / so, und die zweite der beiden letzten bemerkungen: diese geschichte von dem "überfall" (ist z.b. auch so ein wort. klingt einfach nicht gut) könnte tatsächlich auch überflüssig sein, wie traumi sagt.

dein (nein, euer)

dreh


edit: fuck, wieviel rechtschreibfehler! meinerseits. mir knallt die sonne gerade direkt auf den bildschirm. deswegen. (hoffe ich zumindest :D )
dreimal selig, wer einen namen einführt ins lied!
- ossip mandelstam
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Re: Ohne Nachtrag.

Beitragvon Antibegone » So 11 Apr, 2010 20:02


Lieber Drehrassel, liebe Neruda.

Ich gebe zu, ich habe hier einen Sprung gemacht, der an und für sich nicht legitim ist. Die Geschichte geht in sich auf. Sie funktioniert. Das beschreibst du treffend, Drehrassel. Und ich würde, wenn auch nicht uneingeschränkt, zustimmen; es ist konsequent, wie du, Neruda, das arbeitest, das wollte ich mit dem „sauber“ zum Ausdruck bringen. In so einen Text „Fülle“ zu bringen, kann nur schräg und schief daher kommen. Das „wünschte“ ich mir nicht.

was sollten die beiden denn denken und reden, traum? sollten sie über platon, seneca, aristoteles diskutieren? augustinus? watzlawick?


Das wär’ doch mal was.
Irgendwie surreal wär’s.
Lach. Nein. Zum Text. Der Sprung, den ich vollzog, liegt im Grunde hier:

ein mindestens ähnliches thema literarisch zu verarbeiten, eine emotional abgekühlte und hoffnungslose liebesbeziehung im zentrum des geschehen,


Ich habe an der Stelle über die Geschichte hinaus gedacht und mich gefragt, ob du, Neruda, nicht Lust hättest, mal über etwas anderes zu schreiben. Und um ein Beispiel zu geben, nur um es gegenüber zu stellen, schlug ich vor „Fülle“ zu benutzen statt „Leere.“ Aber nicht hier. Lass das Arrangement bloß so - es geht auf, „in sich“ und „an sich gelungen“, mitreißen muss es mich darum ja noch lange nicht.

Das mit der „Realität“ - vl. habe ich da wieder zu weit gedacht. Ich meine, ich habe nicht mehr innerhalb deiner Geschichte gedacht, sondern schon darüber hinaus in die Realität, die aus dem Wechsel zwischen Leere und Fülle besteht.
Ob es innerhalb der Geschichte aufgeht - das weiß ich nicht, fällt mir gerade auf. Der Begriff an sich ist so „abgegriffen“, so „überlaufen“. Na ja, vl. hälst du dich im Falle der "Realität" lieber an Drehrassels Ausführungen :)

Liebe Grüße,
an euch beide,
Das Traumi
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Re: Ohne Nachtrag.

Beitragvon Old Gil » Mo 23 Aug, 2010 18:54


Hallo Neruda.
Als ich (vor ewig und drei Tagen) das letzte Mal etwas von dir gelesen habe, ging es, glaube ich, in eine ähnliche Richtung. (Etwas mit Kotze und Plastikblumen, wenn ich mich recht erinnere, aus dem Lyrikbereich.) Dem, was Traumi über die "Leere" gesagt hat, stimme ich zu.
So bin ich nicht. So sind wir nicht.

Ja, das scheint auch mir seltsam. Vielleicht bin ich einfach in diesem Alter, in dem man noch meint, Menschen könnten sich verändern um ihre Sehnsüchte zu erfüllen. Du solltest eigentlich auch noch in diesem Alter sein. Ein Grund für die Unveränderlichkeit des [b]Verhaltens[b] deines Protagonisten müsste dann allerdings gefunden werden. Aber dass er einfach so ist? Das halte ich für eine Vereinfachung. Und sicher, man kann mir jetzt entgegenhalten, dass der Protagonist sich selbst dieser Vereinfachung des eigentlichen Sachverhalts bedient… vielleicht fehlt mir einfach die wertende Instanz hier, vielleicht liegt es also an mir, keine Ahnung.

Dass der Klischeebruch schon selbst so weit Klischee geworden ist, dass das genutzte Klischee wiederum Klischeebruch ist, zeigt meiner Meinung nur, dass man in der Frage nach Klischee oder Nichtklischee einfach Individualismus walten lassen sollte. So lange gute Gedanken hinter einem Text stehen, wird sich ein kluger Lesen schon nicht vom klischeehaften Klischeebruch oder dessen Gegenteil abschrecken lassen.

was sollten die beiden denn denken und reden, traumi? sollten sie über platon, seneca, aristoteles diskutieren? augustinus? watzlawick? - nein, das ist ein missverständnis.

Warum sollten nur ungebildete Menschen so eine von Neruda beschriebene Beziehung führen? Um ehrlich zu sein fände ich eine ähnliche Situation mit zwei Philosophiestudenten fast interessanter.

[…] die das ganze Gewicht ihrer Tiefe auf mir abladen wollen.

@Drehrassel - Ich weiß nicht, was für einen Menschen du im Kopf hast, wenn du fragst "was sollten die beiden denn denken und reden[…]?" - aber es ist bestimmt nicht einer, der den oben zitierten Satz ein paar Sekunden später spricht. Der Protagonist wird hier irgendwie sentimental, auf eine zwar immer noch platte, aber auf eine sich dem Platten nicht völlig hingebende Weise. (Er sagt nicht zB.: "Wenn dein halbes Geflenne wieder losgeht kommt mir bald das Kotzen, dann schmeiß ich dich lieber raus.")

- Was mich dann wieder zu dem einen eigentlichen Kritikpunkt zurückbringt, den ich ganz am Anfang angeführt habe: Meiner Meinung verstehe ich nicht, warum der Protagonist nicht etwas an seinem Verhalten ändern sollte. Das es einfach an seinem "Sein" liegt - das könnte nur so sein, wenn sein "Sein" einfach ausmacht, dass er sein Verhalten gegenüber dem Text-Du gutheißt. Aber das tut er nicht. Er sagt, es gäbe ein "besseres Leben". Warum gibt er sich nicht einmal Mühe, in Richtung dieses besseren Lebens zu gehen? Genau hier reicht mir die kurze Geschichte nämlich nicht mehr aus, mir fehlen die Hintergründe, und da kann es noch so schön in die Verkümmertheit der beschriebenen Beziehung passen, dass auch die Form des Textes kurz, gar rudimentär wirkt. "So bin ich nicht. So sind wir nicht." - Hier spiegelt sich eine Resignation wieder, die den ganzen Text durchzieht - die unbegründet bleibt und die ich somit nicht wirklich ernst nehmen kann.

Ach ja: Ich habe den Text gern gelesen. Einerseits hat das Lesen nämlich Spaß gemacht, andererseits das Nachdenken über den Text. Das wollte ich noch gesagt haben, sonst käme ich mir ganz und gar runtermachend vor.

Ich hab das Ganze, was ich da geschrieben habe übrigens nicht mehr durchgelesen. Ist wohl sehr ungeordnet. Eine sehr beschränkte Kritik noch dazu, aber zumindest habe ich mal was gesagt, darum geht's doch wohl. ;)

Besteste Grüße,
Gil.
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