Pessimistische Lyrik

bob dir was

Beitragvon atti » Di 05 Apr, 2011 17:15


bob dir was

for the times
they are
a-changin',
was? und
ich spüre das
Drängen und
will dieses Weiter,
von dem wir uns
trunkengeflashed
berauscherzählen,
das wir wählen, in
unsrer Version
der Demokratie!die
Bewegung bewegt mich
zu auf euch, weg von denen,
andersherum, wer kann das wähnen?
wir altern, verdammt, wir altern,
und morgen schon werde ich gähnen!

doch mehr
ist da nicht,
was sich
ändert, mit
Blick aus der
Ferne, die
grinsen
mich lässt und das
Wie
frei-
stellt.
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Re: bob dir was

Beitragvon Antibegone » Fr 08 Apr, 2011 12:36


Hey atti,


Ich versuch mich mal wieder an einem text von dir, nachdem ich die Vielschichtigkeit und Doppeldeutigkeit von „webusstsein“ katastrophal unterschätzt habe….

Diese Zeile „wir altern, verdammt, wir altern,/ und morgen schon werde ich gähnen!“ zusammen mit dem Bob Dylan Lied will mir sagen, dass es um den Alterungsprozess der Gesellschaft geht, nicht des individuellen, denn „wir“.
Dann haben wir diese Wörter von „Bewegung“ und „Drängen“ und „Weiter“ mit dem Richtungswort „zu“ und „weg“. Vielleicht meint es eine Art von Zeitverstreichen. Eine Annäherung an etwas. Aber es ist mir im Moment zu ungenau, um tiefer zu gehen – Dass irgendeine gesellschaftliche Fragestellung im Vordergrund steht, ist mir dann ab „Demokratie“ klar. Wobei du mit „unsrer Version von Demokratie“ klar machst, dass unser politisches System, nur weil es die in ihm existierenden Elemente der Herrschaftsausübung als demokratisch bezeichnet, von „Demokratie“ spricht, sozusagen aus der Wirklichkeit die Definition ableitet und rück-appliziert, nicht die einzige Variante von der Idee einer Herrschaft des Volkes darstellt und es durchaus andere Entwürfe gäbe. Also eine Distanzierung davon, wie demokratisch wir eigentlich wirklich sind. Okay, dieses Herrschaftssystem ist jenes „Weiter“, meint ein propagiertes „Yes, we can“ und „Vorwärts“. Eine auf oktroyierte Bewegung statt der natürlichen, die verändernde Zeiten eben nun einmal mit sich bringen? Die Unterscheidung von „euch“ und „denen“ ist mir unklar. Soll ich das auf „gesellschaftliche Insider“ und „Outsider“ anwenden? Auf die politischen Akteure, als das „euch“, das ja vom Bezug her passen würde, nämlich die Leute im „Weiter, die wir wählen“. Tja dann, würde ich sagen – außer, dass wir altern passier halt nichts. Kein großer Fortschritt, keine Allversöhnung, sondern die Zeit bringt natürlicher Weise nur das Altern mit sich. Bewegung ins Altersheim…?
Mehr als das ist es nicht. „doch mehr/ist da nicht,/was sich/ändert, mit“.

Es liest sich abgehackt wegen der Zeilenumbrüche. Und mir ist nicht ganz klar, nach welchem Konzept sie gesetzt sind – es sei denn du wolltest unbedingt diese krubbelige Form erreichen, wolltest du das?
Ich hab mir mal nen Spaß gemacht und deinen Text verunstaltet, das heißt die Zeilenbrüche heraus genommen.

for the times they are a-changin', was? Und ich spüre das Drängen und will dieses Weiter, von dem wir uns trunkengeflashed berauscherzählen, das wir wählen, in unsrer Version der Demokratie!die Bewegung bewegt mich zu auf euch, weg von denen, andersherum, wer kann das wähnen? wir altern, verdammt, wir altern, und morgen schon werde ich gähnen!

doch mehr ist da nicht, was sich ändert, mit Blick aus der Ferne, die grinsen mich lässt und das Wie frei-stellt.


Man merkt, dass du eigentlich vollständige Sätze schreibst. Die Interpunktion stimmt auch. Du benutzt eine Inversion, die aber auch nur schief klingt „Die grinsen mich lässt“ und einen Reim, „wähnen“ auf „gähnen“. Das ist äh… mittelmäßig ungelungen. Zumal ich „wähnen“ auch im Sprachgebrauch deines Ichs mal überprüfen würde. (ah ja, da wir gerade dabei sind nach ! kommt eig nen Leerzeichen)
Es liest sich auch nicht wie ein Gedicht, oder? Eher wie prosaische Sprache.

Das heißt das einzige, womit du es zu einem Gedicht machen willst, sind Zeilenumbrüche am Ende von Sinnabschnitten (meist noch mit Interpunktion gekennzeichnet), die eine krubbelige Form ergeben. Aha. Ist das dein Konzept? Ich meine, das könnte ja eins sein… (Gefallen muss es mir darum ja noch lange nicht)
Da fällt mir noch was ein (ich vergessliche, oh). Am Ende arbeitest du etwas kreativer mit den Zeilengrenzen. "Wie/ frei-/stellt". Das liest sich einerseits als: Das Wie freistellt. Und aber auch als: Das wie frei? (als frage) stellt. Wie frei sind wir eigentlich... das finde ich nicht schlecht!

Wenn ich es mit dem „webusstsein“ vergleiche, hast du wenigstens inhaltlich etwas gearbeitet. Beziehungsweise es bleibt inhaltlich nicht in sich, stellt Bezüge und Verknüpfungen her, sodass man – wie du siehst, was ich ja auch getan habe – sich wenigstens damit beschäftigen kann.

So long.
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Re: bob dir was

Beitragvon atti » Sa 09 Apr, 2011 19:52


Hey, Antibegone--

zunächst mal: Danke für deine erneute Mühe um mein Schaffen und dann auch noch in einer solchen Ausführlichkeit! (Ich werde zeitdruckbedingt dem leider nicht entsprechen können...)

Also. Zu deinen Anmerkungen. Insgesamt fehlt dann dem Gedicht wohl eines: Kongruenz. Ich fürchte mich generell, die Polysemie beim Schreiben zu sehr einzuschränken. Zu wenig Eindeutigkeit sollte aber auch nicht sein - auch wenn Beliebigkeit oder der Gedanke der Beliebigkeit für mich bei diesem Gedicht eine große Rolle spielt (siehe das "Weiter, [...] das wir wählen"). Ob dieses Gedicht an zu "freien" Deutungsmöglichkeiten krankt, vermag ich nicht zu beurteilen, deine inhaltlichen Interpretationsansätze machen mir aber Hoffnung, dass es mindestens als Denkanregung funktioniert.

Was die Form angeht. Ich versuche mich mal an deinen Kritikpunkten entlang zu hangeln und wo möglich ein anderes Licht zu werfen.
Die erste Strophe hat - so wie ich sie lese, wenn ich die Versenden als kurze Pausen verwende - etwas atemloses, das sich steigert bis zu einem, naja, Reim. Ein Reim ist es ja, aber dazu gleich mehr. Weiter mit den Zeilenumbrüchen: In der zweiten Strophe, besser gesagt an ihrem Ende, wird inhaltlich von der Freistellung des Wie schwadroniert. Inhaltlich ruft das bei mir so "anything goes"-Kram auf und formal wird es für meinen Blick - und auch für deinen, da du ja den Sinn der Versenden hinterfragst und ja nicht ohne Recht einen Prosatext bastelst - aufgegriffen. Mit dem Wie ist auch die Form freigestellt.
Wenn die Form freigestellt ist, ist dann auch eine schiefe Inversion zu rechtfertigen? Wahrscheinlich schon. Und vielleicht gelingt ihr ja auch die Betonung des Wörtchens "grinsen". Und vielleicht fehlt das von dir beanstandete Leerzeichen ja auch bewusst, entgegen der Vermutung, dass hier nur korrekte Prosa zerstückelt wurde?
Wähnen - Gähnen. Scheiß Reim. Langweilig obendrein. Zum Gähnen. (Kalauer, auch zum Gähnen usw.) War ein Versuch: Steigerung bis zum Reim, aber dann: Nicht gerade die Offenbarung. Die Form würde sich in dieser Hinsicht auch mit deiner inhaltlichen Interpretation decken. Was den Sprachgebrauch angeht: Der Wähnen-Gebrauch ist zwar sprachhistorisch in der Bedeutung gedeckt, aber ich muss dir schon rechtgeben, dass zu fragen bleibt, warum das Ich sich einer solchen Altertümelei bedient. Man könnte sich etwas zurechtbiegen von wegen der zwanghaften Erfüllung eines Reimgelüstes, was wiederum den eben angerissenen Punkt stützen würde, aber vielleicht wäre das etwas zu viel des Guten.

Mein Konzept. Hab ich eines? Während ich gerade versucht habe, die angesprochenen Stellen von einer anderen Seite zu beleuchten, schien mir, dass man, wenn man etwas Konzeptuelles will, den Versuch erkennen könnte, Formkniffe nur dann einzusetzen, wenn sie Inhalte zu stützen vermögen. Die Abbildung des frei gestellten Wie ließe sich da dann eben zum Beispiel in den teilweise eher wahllosen Versenden erkennen usw.

So. Ich schließe hiermit. Es war mir eine Freude und ich nehme vor allem deinen letzten Absatz vor der Grußformel mit:

Wenn ich es mit dem „webusstsein“ vergleiche, hast du wenigstens inhaltlich etwas gearbeitet. Beziehungsweise es bleibt inhaltlich nicht in sich, stellt Bezüge und Verknüpfungen her, sodass man – wie du siehst, was ich ja auch getan habe – sich wenigstens damit beschäftigen kann.


Einerseits wegen der Gnade, dass meine inhaltlichen Bemühungen rudimentär anerkannt werden. Andererseits, weil ich es durchaus sehr bedenkenswert finde, ob eine inhaltliche Geschlossenheit nicht wünschenswerter wäre oder ob sodann nicht die produktive Polysemie (siehe diesen unseren Austausch über das Gedicht) verloren ginge.

Bis bald hoffentlich und keinen Gram, wenn ich vorerst nicht mehr antworte, in der kommenden Woche fehlen mir dafür einfach die Voraussetzungen...
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