Alles, was mit dem Thema Literatur zu tun hat und in keine der anderen Kategorien passt

Streitfall: Porsagedicht.

Beitragvon Le_Freddy » Do 16 Jun, 2011 23:56


Was ist ein Prosagedicht?

zunächst sollten wir uns um eine tragfähige definition bemühen, was ja auch asugangspunkt der debatte ist.

"Ein Prosagedicht kennzeichnet sich dadurch, dass Elemente wie Verse und Strophen fehlen und lyrische Sprache in prosaischer Form erscheint" lautete die definition der wettbewerbsleitung am 08.06.2011

dem möchte ich als input eine definition von "dedicht" entgegenstellen:
Dieter Burdorf findet auf seite 20, bereits, in "Einführung in die Gedichtanalyse" (was wohl als 'Standartwerk' anerkannt werden kann.) u.a. folgendes einfache (notwendige) merkmal der lyrik:
Es [das gedicht] ist eine mündliche oder schriftliche Rede in Versen, ist also durch zusätzliche Pausen bzw. Zeilenbrüche von der normalen rythmischen oder graphischen Erscheinungsform der Alltagssprache abgehoben.

außerdem führt er noch eine abgrenzung von der dramatik ein, die hier nicht thema ist und lediglich deshalb interessant, weil in diesem system sehr klar die einordnung eines textes mölich ist. was also laut burdorf kein gedicht ist ist entweder prosa oder ein theaterstück. burdorfs defnition lässt außerdem keine 'zwischendinger' zwischen prosa und lyrik zu, denn entweder ist es alltagssprachlich (bzw. einer ehemaligen alltagssprache entspringend oder an sie angelehnt) oder es ist ein gedicht. die defiition der wettbewerbsleitung fiele mit burdorf recht einwandfrei unter "gedicht".

was also ist dieses ominöse prosagedicht in wahrheit?

ihr seid dran!

liebe und friede
fred

ps: versteht das als anregung. / als impuls.
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Re: Streitfall: Porsagedicht.

Beitragvon rivus » Fr 17 Jun, 2011 07:32


hmm, ich denke zum beispiel an hans christian andersens bilderbuch ohne bilder. da poetisiert für mich die prosa lyrisch, da ist lyrik prosaisch.

burdorf spricht ja vom sogenannten "prosagedicht und ist auch so radikal: "entweder ein text ist in versen verfaßt: dann ist er ein gedicht; oder er ist nicht in verse gegliedert: dann ist er prosa und eben kein gedicht - wie immer er auch mit anderen mitteln als dem vers rhythmisiert oder sonstwie sprachlich an gedichte herangerückt sein mag. so sind beispielsweise novalis 'hymnen an die nacht in der handschriftlichen versfassung gedichte, in der athenäums-fassung, in der die verse aufgelöst sind, aber prosa ...

......

friedvolle grüße, rivus
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Re: Streitfall: Porsagedicht.

Beitragvon Antibegone » Fr 17 Jun, 2011 08:43


ich wollte nur hinzufügen:
die wettbewerbsleitung hat sich jene definition nicht aus den eigenen hübschen zehn fingern gesogen, sondern aus wikipedia geholt. klar fraglich, inwiefern man wiki vertrauen will, aber zumindest ist es eine quelle.


ps: porsagedicht klingt wie pornogedicht. aber ist vermutlich nur meine blühende phantasie... dum di du...
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Re: Streitfall: Porsagedicht.

Beitragvon Le_Freddy » Fr 17 Jun, 2011 14:46


hi.

anti,
habe ja nicht behauptet, du habst sie (die definition) dir aus deinen sicherlich hübschen fingern gezogen oder an den haaren herbei. :)
die gefällt mir nur nicht.
& da ich jetzt endlich mal nen grund habe die "hymnen an die nacht" zu lesen werde ich das (dank dir!) demnächst mal tun, dann ergibt sich da vllt. was neues in meiner denke?

lg
fredi
rivius,
wie kann denn nu, wenn wir mal behaupten die begriffe "lyrik" und "prosa" seien formaler natur, ein prosatext lyrisch werden? hier stoßen sich die begriffe. ich weiß ja was es meint, das 'prosagedicht' ich wäre nur stark für einen anderen begriff, etwas wesentlich konkreteres, weil weniger widersprüchliches.

hm.
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Re: Streitfall: Porsagedicht.

Beitragvon Ruelfig » Fr 17 Jun, 2011 19:50


Ich würde mal unter "Blankvers" nachsehen, da scheint es schon Berührungspunkte zu geben zwischen gebundener und ungebundener Sprache. Für mich wäre ein Prosagedicht oder Gedichteprosa ein Text, der auf die strengen Lyrikregeln verzichtet (kein Reim, freier Rhythmus), aber doch einen formalen Willen erkennen lässt, zu gliedern und zu gestalten. Das wäre ein Text, der sich liest "als ob...". Ich habe mich letztens mit ein paar jungen Rappern unterhalten, die starkes Interesse am reimlosen Rap haben und auf der Suche sind nach einem freieren "flow", der aber immer noch fliessen müssen können sollte.
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Re: Streitfall: Porsagedicht.

Beitragvon struktur-los » Fr 17 Jun, 2011 22:39


Ein Prosagedicht "ist" ...

* ein evolutionäres Literaturphänomen

... oder doch...

* ein Ergebnis literarischer Revolution ?

... wörtlich & schlicht...

* ein "ungebundenes" Gedicht (unabhängig von lyrischen Kriterien)

... obwohl ...

* ein eigenes Werk ohne Mauern - kein Grenzfall - und doch zwischen beidem (Lyrik - Prosa) schwankend bzw. sich ineinander ver-schiebend (wobei der prozentuale Anteil einer literarischen Gattung überwiegen kann, es aber nicht muss) ...

... es wohl am ehesten trifft.


Demnach haben, meiner Denke nach, fast alle Wettbewerbsteilnehmer/innen die Kriterien erfüllt. =)
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Re: Streitfall: Porsagedicht.

Beitragvon rivus » Fr 17 Jun, 2011 23:45


* ein eigenes Werk ohne Mauern - kein Grenzfall - und doch zwischen beidem (Lyrik - Prosa) schwankend bzw. sich ineinander ver-schiebend (wobei der prozentuale Anteil einer literarischen Gattung überwiegen kann, es aber nicht muss) ...


ja. :)

also das ist interessant u. schaffen wir es, das interesse, das zwischen dem sein, "zwischen seinem dunkel und seinem schimmer" (benn), dem nietzsche-olymp des scheins mit den mitteln besonderer metaphern und besonderer inhalte sowohl prosaisch als auch lyrisch zu positionieren und zu transportieren, dann haben wirs!


bertolt brecht verteidigte seine deutschen satiren, die laut seiner kritiker keine lyrik sein sollten [aus versuche 27/32(heft 12), berlin 53] so ;): "Die Deutschen Satiren wurden für den deutschen Freiheitssender geschrieben. Es handelt sich darum, einzelne Sätze in die ferne, künstlich zerstreute Hörerschaft zu werfen. Sie mußten auf die knappste Form gebracht sein, und Unterbrechungen (durch die Störsender) durften nicht allzuviel ausmachen. Der reim schien mir nicht angebracht, da er dem Gedicht leicht etwas in sich Geschlossenes, am Ohr Vorübergehndes verleiht. Regelmäßige Rhythmen mit ihrem gleichmäßigen Fall haken sich ebenfalls nicht genügend ein und verlangen Umschreibungen, viele aktuelle Ausdrücke gehen nicht hinein.: der Tonfall der direkten, momentanen Rede war nötig. Reimlose Lyrik mit unregelmäßigen Rhythmen schien mir geeignet.

@fredi
ich persönlich empfinde texte mit besonders lyrisch schwingenden metaphern mit prosaisch verdichteten handlungen als wirkliche prosagedichte (wie schon geschrieben andersens bilderbuch ohne bilder)

lg, rivus
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