Bereitsein

Beitragvon Antibegone » Sa 27 Aug, 2011 15:53


Da von einigen gewünscht wurde, Wettbewerbstexte zu veröffentlichen, hier meiner aus dem letzten Wettbewerb. Ich kann dazu sagen, dass ich selbst damit unzufrieden bin und an einigen Stellen Überarbeitungsbedarf sehe. Vor allem beim Titel und beim Anbringen des Zitats (das Kursivgeschriebene). Irgendwie ist das Verhältnis Zitat - Text noch nicht rund. Vielleicht habt ihr ja Ideen.

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Stimme eines Rufenden in der Wüste.
Das Telefon bewegte sich nicht. Es war auf Vibrationsalarm geschaltet. Wenn es klingelte, würde es über der Tischplatte vibrieren, ein zuckendes Geräusch. Heute würde etwas passieren. Heute wäre da Tag, an dem es passieren würde. Thomas war sich ganz sicher.
„Worauf wartest du?“
„Auf den Anruf.“
„Und wenn er anruft?“
„Das weiß ich nicht.“
Aber es verzögerte sich. Die Tastatur bildete sich in kleinen Quadraten auf seiner Stirn ab, während er darauf schlief. Als er wieder aufwachte, fasste er sich an die Stirn, schüttelte den Kopf und kochte sich die sechste Tasse Kaffee. Die Decke schwimmt über ihm. Sterne, die im Dunkeln leuchten, aufgeklebt. Der Putz in der Ecke gegenüber reißt auf. „Könnte man mal ausbessern“, murmelte er und begann Kügelchen aus Notizpapier zu basteln.
„Kommst du mit?“
„Nein. Wohin?“
„Nach draußen. Spazieren Gehen.“
„Ich warte auf den Anruf.“
„Aber du kannst das Handy doch mitnehmen.“
„Ich warte auf den Anruf.“
Er hörte, wie die Tür zuschlug. Endlich wieder Ruhe. Thomas kochte sich die siebte Tasse Kaffee und machte es sich gemütlich. Summen und Flackern – aber kein Zucken. Er änderte die Sitzposition noch einmal, schmiss die Papierkügelchen in die Blumentöpfe vor sich.
Jedes Tal wird angefüllt und jeder Berg und Hügel erniedrigt werden, und das Krumme wird zum geraden Wege und die unebenen zu ebenen Wegen werden.
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Re: Bereitsein

Beitragvon Garfield » Di 27 Sep, 2011 19:57


Moin Anti

Ich bin wahrlich alles andere als bibelfest, trotzdem musste ich bei deinem Text an eben jene denken. Rufer in der Wüste und die kursive Stelle unten scheinen mir daraus entnommen oder aber darauf deutend. Wobei ich nicht ausschließen möchte, dass ich mich irre. In diesem (religiösen) Rahmen fügt sich dann für mich auch der Text. Der Anruf als das Warten auf Gott? Vllt weniger heftig, auf Erkenntnis genrell, Spiritualität, das Wissen: da ist mehr als nichts? Möchte mich da gar nicht festlegen, bzw finde ich hast du das interpretatorisch offen gelassen.
Auffallend finde ich die Passivität des Protagonisten. Er tut nichts außer warten und konzentriert sich allein darauf bzw unternimmt sogar Dinge (Kaffee trinken) um das warten zu ermöglichen. Vorschläge zur Aktivität (spazieren -vllt als symbol der etwas aktiveren suche?) werden abgelehnt. Auch kümmert er sich nicht um den abröckelnden Putz. Etwas aus dem Fenster lehnend les ich da eine Vernachlässigung akuter, konkreter Probleme als Folge des reinen Wartens und somit Lebens für die Erkenntnis. Ebenso fällt auf, dass er nicht mal so recht weiß worauf er wartet bzw nicht was ihm der Anruf bringen wird. Könnte sein, dass der Text eine Art Aufforderung zum aktiven Suchen nach Erkenntnis ist, bzw verdeutlichen will, dass man passiv zu nichts gelangt.

Soweit ein paar Gedanken von mir zum Text,

Gruß Garf
Kurz, er bewies eine Geduld, vor der die hölzern-gleichmütige Geduld des Deutschen, die ja auf dessen langsamer, träger Blutzirkulation beruht, einfach gar nichts ist.
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Re: Bereitsein

Beitragvon Antibegone » Mi 28 Sep, 2011 20:06


Hey Garf,

Vielen Dank für deine Gedanken. Zum Teil sind sie relativ nah an dem dran, was ich mir gedacht habe. Zum anderen Teil verstehe ich sie noch nicht ganz, deswegen würde ich gerne nachfragen.

Zunächst einmal. Die kursiven Teile stammen aus Lukas 3,4-5 (wenn es dich genau interessiert). Das mit dem religiösen Rahmen ist insofern auf alle Faelle gegeben. Auch wenn es meiner Meinung nach nicht exklusiv religiös gedeutet werden muss.

Der Anruf als das Warten auf Gott? Vllt weniger heftig, auf Erkenntnis genrell, Spiritualität, das Wissen: da ist mehr als nichts? Möchte mich da gar nicht festlegen, bzw finde ich hast du das interpretatorisch offen gelassen.


Ja, genau. Es hätte gar keinen Sinn gemacht, es zu explizieren.

Wie kommst du darauf, dass es um „Erkenntnis“ geht? Vielleicht kannst du mir die Stelle zeigen oder die Deutung noch etwas mehr erklären, damit mir klar wird, wo du das Motiv ableitest?

Auffallend finde ich die Passivität des Protagonisten. Er tut nichts außer warten und konzentriert sich allein darauf bzw unternimmt sogar Dinge (Kaffee trinken) um das warten zu ermöglichen. Vorschläge zur Aktivität (spazieren -vllt als symbol der etwas aktiveren suche?) werden abgelehnt


Ja, das stimmt. Aber ich frage mich, warum der Spaziergang eine „aktive Suche“ meinen soll? Auf Textebene wird eine Aktivität vorgeschlagen ja, und zwar nämlich auch eine Soziale.

Liebe Grüße.
Anti.
Zuletzt geändert von Antibegone am Mi 28 Sep, 2011 20:06, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Bereitsein

Beitragvon El Machiko » Mi 28 Sep, 2011 21:37


Die Tastatur bildete sich in kleinen Quadraten auf seiner Stirn ab, während er darauf schlief. Als er wieder aufwachte, fasste er sich an die Stirn


Das ist die einzige stelle die ich in diesem Text wirklich gut finde.
Der rest ist mir zu simpel. Ich könnte mir vorstellen das er höchstens im nächsten wachturm oder erwachet oder wie sonst die zeitschriften der Zeugen jehovers heißt. Frei nach dem Motto Biebel ist noch immer aktuell. Was ich auch nicht anzweifeln will, aber besonders spannend fand ich es nicht. Und warum so stark den Kaffe prellen? Jeder mensch in deutschland liebt Kaffe . Das sieht in England schon ganz anders aus.
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Re: Bereitsein

Beitragvon Garfield » Fr 30 Sep, 2011 00:05


Moin Anti

Antibegone hat geschrieben:
Der Anruf als das Warten auf Gott? Vllt weniger heftig, auf Erkenntnis genrell, Spiritualität, das Wissen: da ist mehr als nichts? Möchte mich da gar nicht festlegen, bzw finde ich hast du das interpretatorisch offen gelassen.


Ja, genau. Es hätte gar keinen Sinn gemacht, es zu explizieren.

Wie kommst du darauf, dass es um „Erkenntnis“ geht? Vielleicht kannst du mir die Stelle zeigen oder die Deutung noch etwas mehr erklären, damit mir klar wird, wo du das Motiv ableitest?


Naja, ist die Suche nach Gott nicht auch gleichzeitig eine Suche nach Erkenntnis? Zumindestens wenn man Religion philosophisch betrachtet kam es mir als Außenstehendem so vor. Die kursiven Stellen kann man ebenfalls so deuten - gerades wird ungerade - unverständliches erhält einen Sinn, was wiederrum Erkenntnis bedeutet.

Mir gefällt es, dass du es nicht explizierst.
Auffallend finde ich die Passivität des Protagonisten. Er tut nichts außer warten und konzentriert sich allein darauf bzw unternimmt sogar Dinge (Kaffee trinken) um das warten zu ermöglichen. Vorschläge zur Aktivität (spazieren -vllt als symbol der etwas aktiveren suche?) werden abgelehnt


Ja, das stimmt. Aber ich frage mich, warum der Spaziergang eine „aktive Suche“ meinen soll? Auf Textebene wird eine Aktivität vorgeschlagen ja, und zwar nämlich auch eine Soziale.

Okay, das Soziale kam bei mir nicht an, dafür wird es meiner Meinung nach zu wenig angesprochen im Text. Und ein Spaziergang bedeutet Bewegung, andere/neue Orte, vllt sogar ein Ziel und somit habe ich es als aktivere Suche (keine aktive Suche, ist ja nur gemütliches umhergehen, vllt sogar sich treiben lassen) gesehen.

Gruß Garf
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Re: Bereitsein

Beitragvon Antibegone » So 27 Nov, 2011 21:11


hey garfield.

ich wusste nicht, ob ich nach so langer zeit jetzt noch antworten sollte. ich habs getan: wie du siehst.

philosophisch gesehen hast du recht. da gibt es ein erkenntnisstreben, das zum teil auch in religiöse strömungen des christentums eingedrungen ist (bei anderen religionen kenn ich mich nicht aus, deswegen rede ich darüber nicht). es gibt aber die christliche meinung, dass erkenntnis nicht vom menschen kommen kann. sie kann nur von gott offenbart werden. das christentum versucht dadurch zu vermeiden, dass man sich ein bild von gott macht und versucht gott auf etwas festzulegen. wenn die menschen das täte, wäre die transzendenz nichtig. gott ist so groß, dass der mensch ihn nicht erkennen und nicht erfassen kann.


Ja, okay, ich sehe, warum das Soziale nicht so sehr herauskommt... du hast recht. wenn ich den text bearbeite, dann kümmere ich mich darum. habe sowieso überlegt, ihn mal zusammen mit dem anderen wettbwerbstext (ich glaube "gläserner schuh" oder so hieß der) zusammenzuarbeiten. weil sie eh ähnliche themen haben. im moment ist der text zu ähnlich zu "warten auf godot", ohne es gleichzeitig weiter zu entwickeln.

danke jedenfalls für dein feedback und entschuldige meine späte antwort.
einen schönen sonntag noch.
ABG
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