Geschichten zum Thema Alltag

als wäre er was wichtig / alltage / or:well ...

Beitragvon cube » Di 31 Jan, 2012 21:55


So stehen und sitzen sie zusammengedrängt in diesem Bus, der nicht mal zur größten Fahrzeugkategorie des Fuhrparks gehört. Der zu dieser Zeit auf dieser Linie regelmäßig Fahrgäste stehen lassen muss, weil beim besten Willen kein Platz mehr ist. Orwell fährt seit einigen Monaten mit diesem Bus der Linie 21, zuerst drei Mal, mittlerweile vier Mal die Woche. Gerade hält der bei der Haltestelle Katzenbachstraße.

Ein dicker Junge rennt mit verkniffenem Gesicht und durch die Luft schneidenden Handkanten auf die 21 zu, sein locker eingestellter Ranzen pendelt von Seite zu Seite. Die Fahrerin sieht ihn im Rückspiegel, verzieht den Mund und - wartet. Der ankommende Dicke erkennt sofort, dass es keinen Platz mehr gibt. Orwell sieht das Pfannekuchengesicht vor Enttäuschung noch runder werden, als das dazugehörige Hirn realisiert, dass seine Playsie weitere kostbare zehn Minuten wird warten müssen. Die Großen sehen von oben herab, wie es nun mal ist, wenn sie nach unten blicken müssen, und die Fahrzeugführerin krächzt "watt denn nu?!", bevor sich die Türen schließen. Es geht weiter.

Als er diese Strecke das erste Mal fuhr, streng nach den Anweisungen des Verkehrsleitprogramms des öffentlichen Nahverkehrs, war er ungefähr an dieser Stelle von der zunehmend lückenhaften Bebauung alarmiert worden und hatte den Busfahrer erschrocken gefragt, ob die Reise der '21' tatsächlich zu einem Ort namens 'Stadtzentrum' führe.

Es hatte alles seine Richtigkeit: Der vorgestellte heimelige Ortskern hatte sich als ein Neubau herausgestellt, in dem eine Shopping Mall untergebracht war, die den Namen 'Stadtzentrum' trug. Dieses Stadtzentrum war umgeben von Baracken und Betonklötzen, die im Regen dunkelgraue Flecken bekamen – und hier regnete es oft; derweil war nichts in Sicht gewesen, was Orwell unter lebendiger Stadt verstehen konnte. Und das passte dann, irgendwie, zum Stadtzentrum, das keins war.

"Sie müssen hinter die Absperrung", zickte ihn die Fahrerin an.

"Da ist kein Platz", sagte Orwell.

"Das wird schon gehen", beharrte sie. Und, nach etwa zwanzig gefahrenen Metern: "Sonst gibt es Ärger mit der Polizei, wenn die sie hier vorne stehen sieht."

"Ich werde dahin gehen, aber erst beim nächsten Halt, nicht jetzt."

'Ärger mit der Polizei!', dachte Orwell. 'Fahr danieder in die Hölle schlechter Ausreden!' Als sie hielten, stieg er aus und eine Tür weiter hinten wieder ein, schaffte sich Platz in der teilnahmslos wirkenden Fahrgastschaft, die ihn vieläugig und ausdruckslos beglotzte. Als wären die Menschen Automaten, die in Bussen inaktiv sind.

"Dass die Verantwortlichen auf dieser Strecke keinen größeren Bus einsetzen! Der ist doch jedes Mal überfüllt!", rief er von hinten. Und hätte sich am liebsten im selben Moment auf die Zunge gebissen, welches aufrührerische Gen brachte ihn nur immer wieder dazu, in solchen und vergleichbaren Situationen Ärger zu machen, der verlässlich auf ihn zurückfallen und sein Leben unbequemer machen würde.

"Der ist nie so voll wie jetzt. Das ist das erste Mal", entgegnete sie, begleitet von einem Bulldoggen-Blick in den Rückspiegel. Mitte fünfzig, schätzte er. Kurzhaarschnitt mit Pony, einer der drei Frisurtypen, die zugeknöpfte Alte kriegen, wenn sie beim Friseur 'was Flottes' bestellen. Eine nichtssagende runde Brille, ein vielsagender Mund, der gerade jetzt ausdrucksvoll schwieg; sie schien einen unerfreulichen Gedanken zu haben, sie kniff die ohnehin schmalen Lippen noch enger zusammen, was das Netz aus Falten vertiefte, die wie stilisierte Sonnenstrahlen von ihrem Mund abgingen.

Diese Dame ist vor Zeiten auf dem Jahrmarkt der Preußischen Tugenden mit kostenloser Schlechter Laune ausgestattet worden und ist seitdem ihrem Stil treu geblieben. So leben die meisten Leute: ein, zwei gute Jahre und dazwischen nichts als kleinkarierte Schlechtgelauntheit. 'Bürgerliche', dachte Orwell, mit der gleichen verächtlichen Arroganz, wie sie eine höherentwickelte, auf Silizium beruhende Lebensform, die Mario Barths nicht mehr witzig findet, für terranische Stoffwechsler empfinden könnte.

Bei der Haltestelle 'Stadtzentrum' stieg er aus, und machte sich schlechtgelaunt auf dem Weg zu seinem neuen Job; er verdiente zu wenig, hatte einen zu weiten Arbeitsweg, mochte die meisten Kollegen nicht und sein Betätigungsfeld beschränkte sich aufs Abkassieren.


Er hatte den Fehler gemacht, den Jungspund Mario darauf aufmerksam zu machen, dass neun von zehn Sprüchen, mit denen er die jungen Aushilfen /-innen und Orwell zu beeindrucken versuchte, aus einer Fernsehserie namens 'Breaking Bad' stammten. Anstatt dass er beschämt die Klappe hielt, freute sich der geistlose Kopist, mit jemandem diese Medienerfahrungen teilen zu können. Das war nicht ganz, worauf Orwell spekuliert hatte.

"Das wär doch total geil, eine Unze von diesem Zeug und du kannst von morgens bis abends eine nach der anderen ziehen!" Ein Hippie-Mädchen, das als Einpackhilfe in der Weihnachtszeit angestellt worden war und aufgrund ihrer 'Umgänglichkeit' hatte bleiben können, kicherte. "Kannst du dir das eigentlich vorstellen?", fragte der Jungspund.

"Ja", sagte Orwell. "Klingt furchtbar langweilig." Zwei irritierte Gesichter vermittelten ihm das Gefühl, er hätte eben etwas verstörendes gesagt. "Und wie Jesse das Lösungsmittel in die Badewanne gekippt hat und die ganze Suppe eine Etage tiefer klatschte!" Mario sah ihn erwartungsvoll an. "Weißt du noch, was Walter dann gesagt hat? Na?"

'ADHS', dachte Orwell. Das war kein gutes Zeichen, wenn er anfing, die Verhaltensmuster seines Umfeldes in Krankheitsbilder zu übersetzen. "Ich werde mit dir nicht die Szenen einer Serie nachsprechen, das habe ich dir bereits gesagt. Vergiss es."

Oberflächenwesen waren das, beide, schillernd und schmierig zugleich, wie Ölpfützen. Solche Gutfinder und Mitmacher werden ihn ersetzen, da ist er sicher. Wie die Filialunternehmen nach und nach Inhabergeführte Buchhandlungen ersetzten; wie Amazon und ein paar große konzerngelenkte Verlage die Vielfalt deutschsprachiger Verlagslandschaft ausradieren werden; wie der glatte und nach Plastik riechende Reader die wunderschönen Printerzeugnisse, wie hießen die gleich?, überflüssig machen wird. Er sah das und er mahnte das an. Natürlich interessierte es niemanden, was ihn nur motivierte, sich stärker zu engagieren. Schwarzseherei und Untergangsprophetie waren genau seine Sache, was Orwell dafür prädestinierte, tatsächlich und als erster unterzugehen, zumindest im Kaufmannsladen, wo es eher nicht um die ganz großen Themen ging, vor allem nicht für ihn.


Seine Chefin hatte auf seine Bitte nach etwas Abwechslung reagiert. Heute durfte Orwell, dessen Kürzel - mit dem er sich in den Kassencomputer einwählen musste, damit man die einzelnen Vorgänge den verschiedenen Kassenknechten zuordnen konnte - OTZ lautete, dabei helfen, die Inventur vorzubereiten. Die hat mich also auf dem Kieker, dachte er. Und verschwieg, wie gerne er Sachen zählte.

Nach zweieinhalb Stunden Zählen fühlte er sich recht erschöpft, Orwells tragisch-heroische Natur ließ ihn trotzdem noch eine Stunde durchhalten, ohne Klage!, bevor er die magnetische Plakette mit dem Namensschild an seinen Spind heftete, Mantel und Mütze nahm, und gehen wollte.

Doch ein Gespräch aufgeregter Buchhändlerinnen ließ ihn innehalten, sie beschnatterten die morgige Inventur und berieten sich, wie den platten Scherzen, dumpfen Anmachen und vor allem dem fachlichen Dreinreden des berüchtigten Asistenten der Geschäftsführung, His Nerdness Lord Faak, am besten zu begegnen wäre.

Orwell registrierte das Maß der Aufregung und spürte erwachende Neugier auf den Prokuristen des mittelständischen Unternehmens, in dessen Filiale er seit kurzem sein Arbeits-Dasein fristete; der Faak war nach den Eigentümern die höchste Nummer im Laden.

'Kleinheit', beschwor er sich. 'Ausnahmsweise Schnauze halten.' Orwell grüßte die Buchhändlerinnen zum Abschied - die erschrocken zu reden aufhörten, liebenswert unverstellte Geschöpfe, die sie waren – und verließ den Laden, das Stadtzentrum und die Arbeitswelt. Und erwog ernsthaft, ein paar beschwingte Schritte zu machen. Am nächsten Tag war er freigestellt, damit er für die anschließende Inventurnacht fit wäre.


Für den Rückweg wählte er eine andere Buslinie, die eine Haltestelle in der Nähe von Angelas Wohnung anfuhr; dort stieg er aus. Auf dem Weg zu ihr kaufte er ein. Sie hatte sich etwas Frisches gewünscht, damit meinte sie Obst oder Gemüse - er tat ihr den Gefallen.

Merkozy stand an ihrer Wohnungstür, ein kleiner Scherz, der außer beim Liebesspiel, wenn sie "Gib es Merkozy, Gibs uns!", schrie, kaum störte.

Jetzt war aber kein Liebesspiel, jetzt war nach Hause kommen. Orwell hatte sich seit langem nach Normalität gesehnt: ein Zuhause, eine Frau, die den Haushalt machte und abends mit dem Essen wartete, das sie gegebenenfalls ohne zu Murren aufwärmte, wenn es 'mal später' wurde. Selbstredend durfte sie eine moderne Frau sein, die ihr eigenes Geld nach Hause brachte, sich flott anzog und der man beim Blasen ruhig anmerken sollte, dass sie ein bisschen was von der Welt gesehen hatte; ja, Orwell seufzte leise, etwas aufgeklärte Normalität, endlich – hatten nicht auch sexistische Arschlöcher Menschenrechte?

Sie begrüßte ihn mit einem Kuss und hängte eine Blumengirlande um seinen Hals, aus dem Wohnzimmer hörte er 'Sex Machine'. "Hallo Ang..." Da küsste sie ihn schon wieder, lang und zärtlich, umspielte mit ihrer Zunge seine Lippen, bis er sich, etwas unwillig, löste und anmerkte, dass seine Füße weiterhin beschuht seien. Sie bückte sich, ja!, öffnete die Schuhe, schubste ihn spielerisch auf den Flurstuhl, dann zog sie die Lederlatschen energisch über seinen hohen Spann. Als Angela seine Nikes (Airmax) beiseite gestellt hatte, luscherte sie in seinen Einkaufsbeutel – zwei TK-Pizzen. "Ich wollte doch was Frisches!", schmollte sie.

Orwell suchte in seiner Jacke und holte eine Tomate aus der Innentasche, sie war prall und glänzte. "Bio." Sie verzog das Gesicht, auf eine ganz eigentümliche Weise, die Orwell an eine glückliche Mutter erinnerte, die versuchte, streng zu ihrem heißgeliebten Kind zu sein. "Macht ja nichts", sagte sie, nahm ihn bei der Hand und zog ihn ins Wohnzimmer.

Vor dem Massagesessel dampfte ein Fußbad, Orwell erlaubte, dass sie seine restliche Kleidung auszog, setzte sich nackt in den Sessel, fuhr den Sitz nach hinten und stellte 'Wellenmassage / Rücken, Gesäß' ein. Als er die Augen schloss und endlich, endlich seinen wohlverdienten Feierabend zu genießen begann, spürte er wie von Ferne Angelas so sanfte und doch starke Hände, die seine müden Glieder mit ätherischen Ölen einrieb und seine Füße, nachdem sie sie aus dem Wasser gehoben hatte, voller Liebe mit ihrem Haar abtrocknete, das sie ausschließlich mit Kiefern-Spülung wusch, weil Orwell Kiefer so gern roch. "Warum können wir nicht einfach wie ein ganz normales Pärchen sein ... ein bisschen streiten, wenn ich nach Hause komme, uns wieder vertragen, Pizza essen und ein Bier trinken und danach irgend eine Sendung sehen ... so machen das doch die anderen Bürgerlichen auch, warum vergötterst du mich so?"

"Willst du denn, dass wir so ein Leben führen?", fragte sie.

"Natürlich", sagte er. "Wieso sollte ich sonst eine Frau abgeschleppt haben, die Angela heißt?"

"Wir können das auch anders machen, wenn du willst."

"Nein, nein. Ich bin da modern eingestellt, es muss nicht alles nach dem Mann gehen, sollst du deinen Willen haben ..."

"Gefällt es dir denn, Orwell?"

"Ich lasse es dich schon merken, wenn etwas nicht in Ordnung ist."


Figgn und Aasch


Schreibtisch und Rückenlehne des Sessels hatten sie schon durch, jetzt war die Waschmaschine dran. Orwell trug Angela, die sich in seinen Nacken verbissen hatte, in Richtung Badezimmer. 'Zwei Jahre noch, dachte er, dann bin ich dreißig und dann ist Schluss mit dieser Turnerei!'

"Wir haben ein Sexleben, was?", fragte Orwell, während er sie auf die Waschmaschine hievte. Sie nickte. "Wie oft bist du schon gekommen?"

"Weiß ich gar nicht mehr", behauptete sie. "Es ist so schön!"

"Du musst schon mitzählen. Was soll ich sonst notieren?"

'Dann gibts Missionarsstellung und fertig!', dachte er sehnsüchtig.

"Notieren?"

"Klar." Sie sah ihn entgeistert an. "Passt dir das nicht oder was ist jetzt los?", schnauzte er.

"Doch, doch", sagte sie und stöhnte, als er sich, stirnrunzelnd aber schwungvoll, wieder der Kopulation widmete.

Drei, vier Stöße später umfasste er ihren Arsch und hob sie mit einem Ruck von der Maschine - beide hörten es knacken, "Nichts passiert!", presste Orwell hervor, Schweißperlen standen auf seiner Stirn. "Lass mich runter!", rief Angela.

"Nichts da! Alles in Ordnung, wir machen im Schlafzimmer weiter! Alles in bester Ordnung! Wir haben ein Sexleben, was?"

Schritt um Schritt kämpfte sich Orwell zum Schlafzimmer, mittendrin spürte sie 'IHN' aus sich herausflutschen, Orwell schwankte wie ein trunkener Belagerungsturm und Angela befürchtete, dass beide umkippen werden, aber es passierte nichts, außer dass er sie und sich irgendwann ins Schlafzimmer schleppte, wo beide aufs Bett fielen, er obenauf liegend; lange Sekunden gelang ihm nichts, außer Atmen.

"Das tut weh", sagte sie.

"Nein, alles in Ordnung. Es ist nichts."

"Nein, mir tut es weh, wenn du so auf mir liegst."

"Halt das bitte aus jetzt, ich brauch mal nen Moment."


erste Worte, ähem nee, ernste Worte


"Du arbeitest zu viel", sagte sie. "Ist ja klar, dass das irgendwann auf die Knochen geht."

"Meinst du?"

"Frag die Chefin doch, ob du zweistündige Schichten machen kannst. Das mit dreieinhalb geht einfach nicht."

"Ich weiß nicht, meinst du wirklich, das liegt an der Arbeit?"

"Sonst frage ich sie. Ich lass mir doch meinen Mann nicht kaputtmachen!"

"Nein, nein. Man hat ja als Deutscher auch die tradierte Pflicht, ein wenig zu leiden ..."

"Spiel das jetzt nicht runter!"

"Weißt du, Angela, wie gerne würde ich alles hinschmeißen und einfach tun, wonach mir der Sinn steht. Aber ich kann nicht einfach tun, als gäbe es den preußischen Arbeitsethos nicht. Auch wenn der mich in diese tragische siebzehneinhalb-Stunden-Woche führte – da stehe ich meinen Mann, wie der Held, als der ich geboren wurde."

"Wieso siebzehneinhalb?! Arbeitest du denn jetzt vier Tage?!!!!???"

"Ach, Schatz – ich wollte es dir eigentlich nicht sagen, aber vielleicht ist es besser, wenn du es weißt. Wir führen ja eine moderne Beziehung, ich will dir nichts verheimlichen, auch wenn es mein Herz beschwert. Mach dir bitte keine Sorgen, es wird schon gehen, irgendwie ..."

"Und was wird mit mir, wenn du nicht mehr bist?" Angela presste das Gesicht ins Kissen, um ihr Schluchzen zu ersticken. "Denk doch auch mal an mich! Du weißt genau, ich verdiene genug für uns beide. Du könntest den Haushalt füh..."

"Auf keinen Fall! Ich putz doch nicht die Wäsche, das ist Weiberarbeit!"

"Vielleicht ... vielleicht könntest du die Haushaltshilfe beaufsichtigen?"

Orwell überlegte. "Ja, das ginge eventuell. Das Personal macht sonst, was es will."

"Na also, siehst du. Wir schaffen das schon irgendwie."

"Aber nur so zu Hause sitzen ist mir auch nichts. Man soll tätig sein, sich selbst verwirklichen, wer bin ich denn, wenn ich nicht mehr arbeite?"

"Du könntest Künstler werden – bräuchtest nicht mal deinen Namen ändern!"

"Orwell Trotzli klingt für mich nicht gerade nach Künstler ... was sollte ich überhaupt künstlern? Malen, Singen, Schreiben?"

"Ist doch egal! Du kannst alles sein, jeder ist ein Künstler!"

"Was? Dann will ich keiner sein, was ist schon toll daran, das zu sein, was jeder ist?"

"Ist ja jeder anders."

"Das sieht man aber von außen nicht, ist ja wie mit den Chinesen, da musst du schon selbst einer sein, wenn du Unterschiede sehen willst – wenn da überhaupt Differenzen sind." Angela näherte sich mit ihrem Mund seinem Ohr, "ich verrate dir das Geheimnis wahren Künstlertums, warum das so stark ist, ein Künstler zu sein, warum Künstler der einzige Beruf ist, der heutzutage überhaupt noch Berufung sein kann, eine Lebensform, die voller Leben steckt, die nicht nur so eine lahme Pseudo-Identität stiftet und die man wählt, weil es besser ist, beispielsweise Raumpfleger zu sein und zum Stamm der Raumpfleger zu gehören, als überhaupt niemand zu sein und sich allein durch die feindliche Umwelt schlagen zu müssen, mit Ausnahme vielleicht davon, Bundespräsident zu sein, Pornostar, Gummientendesigner, Karikaturist, Tierpfleger, Erfolgsautor, Popstar, Busenwunder, Postar, Oligarch, Kampfhubschrabschrabpilot, schriftstellernder Drache in Moers Wunderwelten, Arzt in der Dritten Welt, Hochhaus-Architekt in Schwellenländern, afghanischer Warlord, BBC-Tierfilmer, Sniper für die Navy Seals, tragisch-heroische Figur in Kubus Geschichten, Thomas Pynchon, Hedgefonds-Manager, Steuermann der Nebukadnezar, christlicher Missionar in West-Papua, Löwendompteur, Pantchen Lama, Rübezahl-Füllhorn-Befüller, führender Theoretiker, Erfinder, Moralapostel mit Doppelleben, Fremdenführer in Nordkorea, Fotograf der 'Kim-Jong-Un looking at things'-Webseite, Doodle-Designer, Patriarch eines Zigeuner-Clans, Philosophenkönig, Götzenanbeter, der Electronic-Act des Jahres, Crystal-Koch, minderjährige drogenabhängige Straßenprostituierte, Alzheimer-Patient, Beichtvater einer erzkatholischen Gemeinde jwd, Schokoladen-Fabrikant, Super-Bitch, Vamp, Diva, ewiger Dirty-Talk-Ohrenzeuge als Putzfrau der Wichskabinen in Bahnhofsvierteln, Leibwächter von Obama oder Osama, Svetlana Medvedew, Chefstratege beim Mossad, Hiro Protagonist, Kindergärtner, Marihuana-Plantagen-Besitzer, Dozent an der Gras-Uni in Kalifornien, Mister Nice, Scharfrichter, Chisinaus Staatsoberhaupt, William Burroughs, Lisbeth Salander, der vorzeitliche Schamane aus Herrmann Hesses fiktiver Biografie im Glasperlenspiel, Paris Hilton, Chef-Analyst einer Rating-Agentur, Mekkas Obermullah, Polytoxikomane, Alan Greenspan, Staatssekretär im Außenministerium, Birgit Minichmayer, Hadschi Halef Omar, Ernst Jünger ... Jünger, Jünger ... Moment ... ist der nicht tot?" Angela überlegte eine Weile, bevor sie nach etwa fünf Minuten den Kopf schüttelte. "... aber nun zum Geheimnis ..."

Gerade als Angela ihre Zunge in sein Ohr stecken wollte, stellte sie fest, dass Orwells Kopf zur Seite gerutscht war, weil er schlief.

'Das mit der einschläfernden Taktik funktionierte ja schon mal, nächstes Mal den Effekt früher setzen', dachte sie und forschte mit ihrer Hand unter der Bettdecke nach seinem Geschlecht, massierte es so eifrig wie zärtlich und saß schon auf seinem (Schwengel), als Orwell, dem zeitgleich zu träumen begann, er schwimme durch ein organisches Meer auf einem fremden Planeten, durch eine geheimnisvoll intelligente und zärtliche Materie, die sein (Ding) liebkoste, wach wurde. "Nimmersattes Weib!", rief er.

Angela lachte nur ein hexenhaftes Lachen und griff sich mit beiden Händen zugleich wild in das Haar, während sie ihre Kiste auf seinem (Penis) bewegte wie ein, also in rhythmischem Kreisen, ihre großen und doch prallen Brüste, die mit eins-A-Silikon gefüllt waren, reckten sich keck nach oben.


Nach dem Sex: Beide liegen heftig keuchend auf dem Rücken. "Ein Pferd – ein Königreich für ein Pferd!", rief Orwell.

Angela:


"ha


haha


ha! hahaha!


versteh ich nicht."


"War ein Zitat."

"Ach so."

"Sag mal, das ist doch ein völlig hirnloses Klischee, oder, dass es beim Sex nur auf die Länge des männlichen Geschlechtsteils ankommt?", fragte er.

"mmhmmm, ja, stimmt, das ist ein Klischee."

Orwell streichelte sanft ihre Wange, "ich hab dich lieb, du!", sagte er.

"Aber wichtig ist das natürlich trotzdem."

"Ja, aha." Orwell hörte mit dem Streicheln auf, verschränkte die Arme hinter dem Kopf, kaute auf einem imaginären Grashalm und besah einen imaginären Sternenhimmel. Hätte er einen zweiten Mund, pfiffe er unverfänglich.

"Aber nicht nur", sagte sie.

"Und – was zählt außerdem?"

Angela tat, als überlegte sie. "Na ... Umfang und Technik."

"Ach", sagte er. "Soso, und ...?"

"Und was?"

"Na, bin ich ... äh ... ausreichend?"

Angela seufzte, zeigte auf einen blinkenden Satelliten am imaginären Himmel und fragte, ob der eine Sternschnuppe sei.

"Ja, du kannst dir was wünschen!"

"Brauch ich nicht", sagte sie. "Hab doch alles." Sie wollte seine Wange streicheln, bis er eingeschlafen war, wortlos Liebe gebend bei ihm sein, um dem irritierten Männerstolz über die erste Zeit und in den Schlaf zu helfen. Schlief aber bei dieser gleichförmigen Bewegung bald selbst ein.

Orwell nahm ihren Arm und bettete ihn so, wie es für Angela bequemer sein musste. Er war hellwach vor innerer Bewegung und bemühte sich, die Frau zu ergründen, ihre unergründliche Antwort auf seine dumme und plumpe Frage – warum hat sie nicht einfach etwas harmloses und beruhigendes antworten können? Eine taffe und sensible Frau hätte eine elegante Lösung finden müssen. Aber war es überhaupt möglich, auf so eine unelegante und direkte Frage geschickt zu antworten - war das von ihm aufgeworfene Problem überhaupt mit den Möglichkeiten der Sprache lösbar? Und wenn die korrekte Taktik in der von ihr begonnenen nonverbalen Kommunikation lag, hätte sie dann nicht durchhalten müssen, bis er schlief, wenn ... sie ihn liebte? Hätte sie, wäre er - könnte es sein, dass des Konjunktivs Zeit für diese Nacht vorbei sein sollte?

Er zählte Sterne, bezeichnete eine bestimmte Menge Sterne jeweils als Haufen, addierte dann die Haufen, bis er einen Klops hatte, ja, einen Sternenhaufenklops! aber all das Gezähle konnte ihn nur bedingt ablenken, denn er befingerte permanent seinen Penis (Schicksal) und haderte mit dem Gegebenen und versuchte angestrengt, von dieser etwas albern anmutenden Maßnahme abzusehen und seine Überlegungen zu transzendieren. Nach zwei Stunden Wachliegen die Quintessenz seiner Wandergedanken: Frauen sind Verführung und Geheimnis, mein Penis ist schön, stark und tapfer, morgen werden Bücher gezählt.


Nächste Haltestelle: "Stadtzentrum". Die Busfahrerin mit der flotten Frisur fuhr den Bus so schwungvoll in die Kurve, dass Orwell umgefallen wäre, wenn ihn die hinter ihm stehende Alte nicht gestützt hätte. "Sie müssen die Füße so stellen und den Schwerpunkt weiter nach unten verlagern, wenn sie sich nicht festhalten können", sagte die vielleicht Fünfundsiebzigjährige, zeigte ihre vorbildliche Fußstellung, und lächelte aufmunternd.

Orwell fühlte sich an eine Situation im echten Winter letztes Jahr erinnert, als er vor der Kunsthalle gestürzt war und eine noch ältere Frau ihm geraten hatte, Spikes zu tragen; er hatte gehofft, in diesem Winter bliebe ihm eine ähnliche Erfahrung erspart. Es war demütigend.

"Müssen se hier nicht raus?", krächzte die Busfahrerin, "hier iss 'Stadtzentrum'!" Orwell fühlte eine Mischung aus Dankbarkeit fürs Bescheidsagen und Ärger über Big Sister, die ihn anscheinend ziemlich gut im Auge behielt. Was eine Haltung war, die er folgerichtig auf das eigene Verhalten zurückführte - wer sich zur Sensation macht, sollte damit rechnen, beobachtet zu werden, und, je nach dem, beklatscht oder belauert. Momentan sorgte sie dafür, dass er nicht zu spät zur Arbeit kam und sich also eine hervorgepresste Entschuldigung sparen konnte. Orwell griff sich dankend und grüßend zugleich an die Mütze, nickte knapp und drängte sich durch die passive Fahrgastgesellschaft, die wie stets in den überdimensionierten Metallbüchsen der Öffentlichen kaum nach Schwarmintelligenz aussah.

Bei ihm lag der Fall anders, Orwell war so voller hochvitaler Gedanken, dass er auch in Bussen intelligent aussah, da war er sicher; Orwell wäre sicher auch ohne das Eingreifen der Alten nicht hingefallen. Im letzten Augenblick hätte er sich gefangen, ganz sicher, seine Reflexe hätten das schwankende Gleichgewichtsorgan am Schlaffitchen gegriffen,
nachdem er den aktuellen Gedanken zuende gedacht hatte
, wie es sein sollte für einen, der gewisse Prioritäten setzte und bestimmten Prinzipien folgte.

Geist über Materie, dachte er auf dem Weg zur nächtlichen Bücherzählerei, der Weg des Krieger-Philosophen.
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Re: als wäre er was wichtig / alltage / or:well ...

Beitragvon rivus » Mi 01 Feb, 2012 20:02


hi cube,
also mich hat dein text überzeugt und zugleich amüsiert, frauen haben halt das stärkere geschlecht!

hier sollten dann noch einige zeilen mehr stehen, aber als ich den antworttext abgesendet habe, bekam ich die meldung, die nachricht ist zu kurz und ich konnte anstellen, was ich wollte, ich bekam ihn nicht mehr ins antworttextfeld zurück.

hier paar kleinigkeiten:

"watt denn nu?!" versus "Watt denn nu?!"

etwas verstörendes versus etwas Verstörendes

nach und nach Inhabergeführte Buchhandlungen versus nach und nach inhabergeführte Buchhandlungen

des berüchtigten Asistenten versus des berüchtigten Assistenten

"Gib es Merkozy, Gibs uns!" versus "Gib es Merkozy, gibs uns!" oder "Gib es Merkozy! Gibs uns!"

"Auf keinen Fall! Ich putz doch nicht die Wäsche, das ist Weiberarbeit!" ... XD wenn gewollt! ich wasche, bügle wäsche ....

während sie ihre Kiste auf seinem (Penis) bewegte wie ein, also in rhythmischem Kreisen, ihre großen und doch prallen Brüste, die mit eins-A-Silikon gefüllt waren, reckten sich keck nach oben. .... wie ein Vamp, wie ein Femme fatale, wie ? ist der bruch so gewollt?


"ha versus "Ha
haha versus Haha
ha! hahaha! versus Ha! Hahaha!
versteh ich nicht." versus Versteh ich nicht.

"mmhmmm, ja, stimmt, das ist ein Klischee." versus "Mmhmmm, ja, stimmt, das ist ein Klischee."

"ich hab dich lieb, du!" versus "Ich hab dich lieb, du!"

etwas harmloses und beruhigendes versus etwas Harmloses und Beruhigendes


Aber all das Gezähle ..

"hier iss 'Stadtzentrum'!" versus "Hier iss 'Stadtzentrum'!"


lg der rivus
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