Optimistische, fröhliche Gedichte

Maiglöckchen

Beitragvon Nachfrager » Fr 17 Jul, 2015 15:43


Die Trauer, die nun
in die Herzen zog um all die Toten
der zwölf Jahre – sie lächelt,
als sie spricht, doch ernst
ihre Augen.

Wir waren Kinder,
und es war Mai, der Wald
ein Grab der Toten letzter Kämpfe -
sie sieht mich an, als könne
ich ihr helfen.

Vögel sangen, nicht
vorstellbar, sagt sie. Und da sahen wir
sie - Maiglöckchen! Im Wald
der Toten.Wohl mehr als Glück,
sagt sie und lächelt.
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Re: Maiglöckchen

Beitragvon rivus » Do 23 Jul, 2015 20:15


ach, lieber nachfrager,
dieser text berührt mich sehr und er blättert mehrschichtig und verzeih, er führt vielleicht in die falsche zeit (1933-45), aber sicherlich zum richtigen ort, der doch alle zeiten verknüpft die mit der trauer verbunden sind, wenn man in so einem zeitraum mehr menschen verliert, als ein mensch vertragen und ertragen kann. die natur hat solche geballheit von tod doch eigentlich nicht vorgesehen und sie war wohl nur von wenigen in diesem schreckens-ausmaß vorhersehbar. die trauer, die um alle toten zwölf mal zwölfmonatskreise in herzform der übriggebliebenen zog, begreift scheinbar noch nicht wirklich den verlust und zieht fast anmutig, vorsichtig in die herzen derer, die mit dem leben davongekommen sind. das lächeln einer "lyrsie", nur sie die gebärt, kann auch die dimension der verluste erfassen, wie ein käthe kollwitz; sie ist die personifizierte trauer, eine leiderprobte gäa. nur sie vermag wahrhaft zu lächeln und doch mit dem ernst in den augen die toten zu sehen, die vor ihrer zeit gegangen sind. zurückgebliebene kinder, ein du und ich, in einem wald mit einem maienkleid von toten konfrontieren sich mit bildern, die nicht zum mai gehören sollten und sie benötigt hilfe von einem ich, das alles um sie her dennoch zu erfassen, was sie im wald eigentlich im monat mai zu finden hoffte. das lärmen des waldes spricht aber eine andere, die zwölfjahresprache der toten und ist im "vögel-sangen-nicht" surreal überkompensiert. das kann kein gemüt aushalten und ist so, zumal für kinder, nicht vorstellbar und so kann nur die weiße magie helfen und es wird in all dem unnatürlichen etwas vorstellbar wie die maiglöckchen, die wie ein zauber, sogar die bilder der toten verdrängen können und in den kindern und in die trauer das glück so installieren, dass ein maienbild mit maiglöckchen eine bessere, eine dem leben und dem lebendigen wieder zugewandtes wald-zeit-kontinuum erschafft, das auch die 12monate wieder so platziert und ausgestaltet, dass wir menschenkinder, trotz aller toten, wieder aus der hoffnung kraft zum leben und träumen schöpfen können ..


gern gelesen
der rivus
Zuletzt geändert von rivus am Do 23 Jul, 2015 20:31, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Maiglöckchen

Beitragvon Nachfrager » Fr 24 Jul, 2015 16:17


Hey Rivus,

ja, wenn von zwölf Jahren gesprochen wird, ist das schon richtig, es handelt sich um die Nazizeit. Ich habe das Gedicht als Gespräch geschrieben, mal anders als sonst. An diesem Sujet hat mich fasziniert, dass in all dem Sterben sich die Natur immer wieder durchsetzt, trotz Tod und Trauer - das Leben geht weiter, ein neuer Anfang ist möglich. Hab Dank für deinen ausführlichen lesenwerten Kommentar.

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