Pessimistische Lyrik

blattwende

Beitragvon apnoe » Fr 07 Nov, 2008 19:40


unbehütet steigen wir auf und über
dem wind strauchelt dein schritt
bricht sich dunkler glanz an der sichel
trägt mich weiter innen laufe ich
zu ihm über
es gibt augenblicke, in denen eine rose wichtiger ist als ein stück brot. (rilke)
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Re: blattwende

Beitragvon blaue_Raupe » So 09 Nov, 2008 12:24


Hallo pnoe.


Mal sehen, ob und wie das Blatt sich wendet. Wenn ich das Lesen zwischenzeitlich auf weniger Aspekte zusammenziehe, als der Text im Grunde hergibt, liegt die Blattwende nicht allein im Sprichwörtlichen, sondern auch im bildlichen Blatt im Wind.
Was ich konkret ausmachen kann, ist das „wir“, ist der Wind, der Mond und ein dunkler Glanz, den ich nicht recht füllen kann. Aber mal nach Einzelnem sehen …

blattwende
~
Nach dem zweiten oder dritten Lesen bin ich schon dazu übergegangen, die Enjambementstruktur daraufhin zu erlesen, ob sich aus dem Textbild vielleicht eine Blattwende dahingehend zwiebeln lässt, dass die einzelnen Zeilen sprunglos im „Liegen“ des Blattes eingangs sitzen und später durch Brüche eine Seite des liegenden Blattes anheben. Vermutlich war die Spielerei ner Neugierde geschuldet, und ich bleibe besser erstmal beim Sinnfälligen.
„Das Blatt wendet sich“ für die sprechende Instanz, wie’s aussieht, im Rahmen des Textverlaufes im getragen Sein vom Wind zusammen mit einem anderen, der auf der Strecke bleibt, woraufhin das Sprecher-Blatt auf neue Wege schwebt.
Was ich recht passend finde, ist, dass der Text nicht zu sehr ausufert, sondern sich auf eine Art kurze Böe beschränkt, wobei ich mich dann noch frage, wie die Anteile des bewussten & unbewussten Überlaufens liegen mögen.


[size=85:4j5y7ce0]unbehütet steigen wir auf und über
dem wind strauchelt dein schritt
~[/size]
Zweierlei … am „unbehütet“ habe ich anfangs rumgebissen, weil es auf erste Blicke zu sehr einer Meta-Ebene entsprungen schien, nach mehrmaligem Lesen gefällt es mir jetzt besser, auch in seinen Bildanteilen des „ohne Hut/ohne (Kopf)schutz“. So seh ich die Verbindung „Mensch/Blatt“ doch noch recht passend umrissen, zwar nicht zwingend im „unbehütet“ als „nicht mehr von einem Baum gehalten“, aber in dem Hut-Strang, wo der Wind den Hut vielleicht schon genommen hat.
Den Zeilensprung kann ich noch ganz gut lesen, zumal ein anderer Anschluss nach dem „über“ zu erwarten war. Was mir aber nicht so schmeckt, ist das „strauchelt dein Schritt“ für das Straucheln einer Person, der „anderen“. Selbst, wenn ich „dein Schritt“ nicht in der Körpermitte ansetze, ist der Ausdruck doch etwas fremd, da zum einen im Singular, wo ich mir zum Straucheln schon mehr eine Schrittfolge vorstelle, zum anderen, weil der Schritt als etwas Selbständiges gezeichnet wird, obwohl er immerhin mit dem in Verbindung steht, für den es eine Rolle spielt – den „anderen“, der dadurch an Farbe verliert, weil der Restkörper verschwunden ist und ich nicht soweit reingerissen werde, dass ich auf den Trichter komme, wie es wohl für ihn aussieht, in möglichen Reaktionen im Zurückbleiben etc.
Finde ich also noch nicht optimal.


[size=85:4j5y7ce0]bricht sich dunkler glanz an der sichel
~[/size]
Wir steigen also in einen Nachthimmel auf, zumindest hängt die Mondsichel am Zelt, an der sich „dunkler Glanz“ bricht. Zwar seh ich den Kontrast „heller Glanz (Sichel)/dunkler Glanz“, aber es ist mir nicht klar, was der dunkle Glanz inhaltlich herzugeben vermag. Ein hell/dunkel-Schema, okay, aber worauf schimmert dieser Glanz, wohin gehört er?
Vielleicht eine dunkel gewordene Verbindung zweier, die den letzten Rest Glanz noch nicht einbüßen musste … beide sind noch darin unterwegs, bis die Silbersichel die Beziehungsblase, die dunkel glänzende, aufschneidet und „der andere“ zurückbleibt, während die sprechende Instanz weitergetragen wird. Möglich. Dann müsste ich die Klammer zum Textende hin zukriegen, in der ich lese, dass der/die Sprechende überläuft, zum „dunklen Glanz“. Gehört der dunkle Glanz zur zum „anderen“? Vermutlich, sonst wäre ausgelegt, dass der Überläufer dorthin überläuft, woher er kommt. Geht also nicht.


[size=85:4j5y7ce0]trägt mich weiter innen laufe ich
zu ihm über
~[/size]
Davon ausgehend, dass der dunkle Glanz dem anderen gehört – die nächste Zeile finde ich deshalb ganz spannend, weil sie das Aktive & das Passive im Sprecher beinhaltet. Der Wind trägt eins der Blätter weiter, nach dem Zurückbleiben des zweiten, es ist ausgeliefert, läuft allerdings aus eigenem Antrieb wieder in Richtung des Gestrauchelten, blickt zurück, verfolgt nicht den Weg, der nicht vom Straucheln & Fallen gezeichnet ist, sondern hält am zweiten Blatt trotz der Schwierigkeiten fest.
Was sich nicht soo bombig liest, ist der vorletzte Vers im ersten Aufwasch, ohne den Sprung, was am „trägt mich weiter innen“ liegt.

Ich hab also noch ein paar Fragen an die teils romantischen Motive des Textes, an den Mond im Gedicht, wobei ich das Blatt besser einordnen kann. Und an den „dunklen Glanz“, der zwar eine nette Assoziation mitbringt, aber inhaltlich für mich einen Tick zu unkonkret ist.
Teile der Klammer haben mich im Lesen gehalten, zuletzt doch wirklich V1, von der ich es nicht erwartet hätte, und der Raum, der aus der vorletzten Zeile aufgeht.
Die Bilder im ganzen verknüpfen sich noch nicht so „natürlich“ mit Thema & Aussage für mich, als dass sie mich richtig begeistern könnten.

Soweit ein Eingangsblick.

viele Grüße,
r~~~
you cannot unscramble scrambled eggs.[links:3fqyydm7][/links:3fqyydm7]
blaue_Raupe
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Re: blattwende

Beitragvon apnoe » Do 15 Jan, 2009 23:32


liebe raupe, sei bitte nicht böse, dass ich so spät antworte und dich dann doch nur vertrösten muss.
ich möchte dir trotzdem für die mühe danken, auch wenn ich im augenblick nichts am text ändern, auch nicht wirklich überlegen kann, wie ich deine kritik verwerte.
es liegt jedenfalls nicht daran, dass ich uninteressiert an deiner meinung bin, ganz im gegenteil.
lieben gruß und danke,
du bist immer sehr konstruktiv.
a


:)
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