Alle Gedichte, die in keine andere Kategorie passen

haldenromantik

Beitragvon Perry » Mi 25 Mär, 2009 16:05


wind hat das weiße laken des schnees
von der müllkippe gezogen,
regen den dreck aus den augenhöhlen
eines puppenkopfs gewaschen,
einen plastikteller randvoll gefüllt,
in dem spatzen plusternd plantschen.

aus der eben geschobenen fläche
ragt ein gitarrenhals, die gerissenen saiten
zu bizarren notenschlüsseln gerollt,
waren einst spielwiese flinker finger
bis sie deren kuppen blutig schnitten
selbst alkohol ihr zittern nicht mehr dämmte.

zwei schritte weiter ein zerknüllter hut.
ausgebeult und neugefalzt
bietet er schutz vor der frühen sonne,
die tiefstehend mein auge blendet.
auf der anhöhe sehe ich sein kreuz
kicke die halbvolle essigflasche beiseite.


1. Fassung:

haldenromantik


wind hat das weiße laken des schnees
von der müllkippe gezogen,
regen den dreck aus den augenhöhlen
eines puppenkopfs gewaschen,
einen plastikteller randvoll gefüllt,
in dem spatzen plustern und spielen.

aus der eben geschobenen fläche
ragt ein gitarrengriff, die gerissenen saiten
zu bizarren notenschlüsseln gerollt,
waren einst spielwiese flinker finger
deren riffs die charts erobern wollten.

zwei schritte weiter ein zerknüllter hut.
ausgebeult und neugefalzt
bietet er schutz vor der frühen sonne,
die tiefstehend mein auge blendet,
bei der suche nach verwertbarem,
auf den heiligen hügeln der zivilisation.
Perry
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Re: haldenromantik

Beitragvon Perry » Fr 03 Apr, 2009 16:10


Hallo esb.,
man kann Vieles. Die Frage ist, ob es der Stimmung, bzw. der Aussage hier föderlich ist. Manchmal ist eine stilistische Brechung hilfreich, hier bin ich der Meinung, dass die Bildfolge den Blick genug wendet, um die Gedanken des Lesers in Bewegung zu halten. Zudem sind die Bilder mehrdeutig von der realen Umweltproblematik bis zur Erinnerungshalde des LI. Wusstes du übrigens, dass sogar das Kreuz Christi auf einem ehemaligen Müllberg gestanden haben soll.
Danke für die Anregung und LG
Perry
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Re: haldenromantik

Beitragvon anikaya » Fr 03 Apr, 2009 19:56


@esb
Diese Lyrik lebt von ihrer Semantik, den Metaphern, die Perry gefunden hat und die ich recht ausdrucksstark finde – sie sind auch ziemlich unverbraucht.

Die Bilder tragen den Text durch ihre dichte Folge und stilistische Kniffe scheinen mir nicht in jedem Fall nerforderlich, um den Anspruch auf Lyrik zu begründen.

In eine Kurzgeschichte übertragen, müsste Perry Füllmaterial einarbeiten, das die Dichte des Textes in jedem Fall beeinträchtigen würde.

Joris Karl Huysmans hielt das Prosagedicht für die essentiellste Literaturgattung – so nachzulesen in ‚Gegen den Strich’. Er war auch ein großer und einer der ersten Bewunderer von Baudelaire.

Ich füge hier einmal einen Link zum ‚Prosagedicht’ auf Wikipedia ein.
http://de.wikipedia.org/wiki/Prosagedicht

Perry arbeitet in seinem Gedicht mit ähnlichen Mitteln wie Bukowski, dessen Gedichte ich revolutionär und wirklich quintessentiell finde.
Er beschreibt Situationen, Beziehungen, Zustände durch eine ganz dichte Aneinanderreihung von Einzelbildern, die hoch charakteristisch sind und durch eine Übertragung auch nur in die Form einer Kurzgeschichte ‚verdünnt’ würden.

Ganz ähnlich macht es Sylvia Plath, die hoch bildmächtige Metaphern aneinanderreiht.

Sowohl Plath als auch Bukowski verzichten praktisch völlig auf die Nutzung üblicher formaler lyrischer Stilmittel. Nur Metaphern eben – und sie reichen.

Ich finde nicht, dass stilistische Kniffe zwingender Bestandteil jeder Lyrik sein müssen. Lyrik funktioniert auch semantisch.

Ich habe eine Lyrik von Bukowski abgetippt weiß aber inzwischen, dass ich sie hier nicht einstellen darf. Ohne die Admins zu ärgern. Sie heißt ‚Cowboy der Apokalypse’. Ich habe sie nach ihrer Länge bzw. Kürze ausgewählt. Es gibt deutlich bezeichnendere Texte für Bukowskis lyrischen Stil. Ich schicke den Text mal per PN an esb + Perry, weil ich annehme, dass er euch beide in jedem Fall interessiert.

Ich habe gestern eine ‚Hommage an Sylvia Plath’ veröffentlicht – unter ‚Schwarzlicht’- Hommagen an Sylvia Plath kann man nur unter ‚Schwarzlicht einstellen .
Heute habe ich einen Nachtrag hinzugefügt.

Nachtrag vom 03.04.09

Ich habe ja gehofft, dass einer das unter das Gedicht schreiben würde, aber da es niemand getan hat, muss ich es nun selber nachtragen:

Das Gedicht ist verfasst als
Hommage an Sylvia Plath

Ich füge einen Link auf einige Gedicht von Sylvia Plath in deutscher Übersetzung ein.
http://www.jbeilharz.de/plath/crossing.html


Einige Gedichte von Plath, die nur von den Metaphern leben und ohne sonstige lyrische Stilmittel auskommen, sind im Netz frei zugänglich.

Ich habe mich gewundert, dass niemand hier die Ähnlichkeit erkannt hat.
Entweder wird Plath in diesem Forum weniger gelesen als Celan – meine Celan-Hommage ist ja erkannt worden, ohne dass ich es extra dazu schreiben musste - oder die Hommage ist mir missraten.

Der Sinn dieser Publikation war jedenfalls genau die Diskussion zu führen, zu der nun Perrys Gedicht Anlass gibt: Die Berechtigung von Lyrik ‚ohne formale stilistische Kniffe’.
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Re: haldenromantik

Beitragvon Perry » Sa 04 Apr, 2009 15:03


Hallo anikaya,
danke für die engagierte Auseinandersetzung zu dem Thema. Ich oute mich gerne als Bukowskibewunderer, zwar weniger inhaltlich aber formal auf jeden Fall. Ich werde gerne auch mal etwas von Sylvia Plath lesen, die mir bisher noch nicht so augenfällig war.
Ansonsten finde ich eine Diskussion über die Berechtigung bzw. Notwendigkeit lyrischer Spielarten nebensächlich, wichtig ist nur, ob ein Text den Leser ansprechen und möglicherweise sogar begeistern kann. Zumindest bei dir scheint mir das hier gelungen zu sein und darüber freue ich mich erst einmal.
LG
Perry
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Re: haldenromantik

Beitragvon anikaya » Sa 04 Apr, 2009 17:17


Hallo, Perry,

auch ich bin Bukowski-Fan – formal UND inhaltlich.

Insofern sind für mich Müllkippen als solche ein unstreitiges Vorzugsthema moderner Lyrik und ich bin dir richtiggehend dankbar, dass du sie zum lyrischen Thema gemacht hast.
Die Bilderflut, die sich einem im Zusammenhang damit quasi unweigerlich aufdrängt ist wirklich inspirierend.
Maden, die in den schimmeligen Resten schlecht geleerter Konservendosen und – gläser wimmeln, vollgeschissene Babywindeln, die in vom Schmutz regenbogenschillernden Pfützen durchweichen. Die reinsten Weidengründe für einen abgrundtief schlechten Geschmack wie den meinen. Und alles Motive, die meines Erachtens am besten gerade durchgereicht werden - ohne jeden stilistischen Schörkel – was immer es sein mag - es kann die urtümliche Ausdruckkraft solch starker Bilder nur schwächen.

Darf ich in diesem Sinne vielleicht eine Kritik äußern, die nicht die Form, sondern die Bildführung deines Gedichts betrifft. Ich glaube, da eine kleine Schwäche zum Ende hin zu erkennen.
Nämlich ab dem Ende der 2 Strophe.

'waren einst spielwiese flinker finger
deren riffs die charts erobern wollten.'


Ab hier wird mir das Gedicht von der Bildsprache her zu matt, die es ja ausschließlich trägt.
Die Assoziatonist so nahe liegend, dass sie schon fast trivial ist.

Du hast selbst die schöne Anmerkung gemacht, dass selbst das Kreuz Christi auf einem Müllberg gestanden haben soll. Warum verwendest du nicht diese wunderbare, weit ausgreifende Assoziation, die überhaupt nicht nahe liegend ist – weder im Zusammenhang mit Müllbergen im Allgemeinen noch mit Gitarrenhälsen im Besonderen? Etwas so:

aus der eben geschobenen fläche
ragt ein gitarrengriff, die gerissenen saiten
zu bizarren notenschlüsseln gerollt,
seile jetzt, mit denen der gott des wohlklangs
an sein kreuz gekettet ist - ein golgatha


Dann die letzte Strophe:

'zwei schritte weiter ein zerknüllter hut.
ausgebeult und neugefalzt
bietet er schutz vor der frühen sonne,
die tiefstehend mein auge blendet,
bei der suche nach verwertbarem,
auf den heiligen hügeln der zivilisation.
'

‚Zivilisation’ ist - fast – überhaupt kein mögliches Wort für eine Lyrik.
Viel zu allgemein. Nach dem schönen Grundsatz von Jean Paul: „Die Sprache der Literatur kann gar nicht bildhaft genug sein. Schreibe nicht: Er war mutwillig. Schreibe: ‚im Vorüberreiten warf er den Schiffern Pferdeäpfel in die Kojen’.“

Zweitens: Das ganze Gedicht ist – für meinen Geschmack - grenzwertig unerträglich politisch korrekt.
Kritik an der Wegwerfgesellschaft ist heute kein Gegenentwurf zu konventionellen Meinungen mehr, sondern eine konventionelle Meinung. Wenn das deine Meinung ist, ist es nicht zu ändern und du musst sie in einem Gedicht, das dein Gedicht ist, auch zum Ausdruck bringen – sonst ist es das Gedicht einer anderen Person.

Wenn du am Ende eines solchen Gedichts aber auch noch auf Müllrecycling zu sprechen kommst, und ein weggeworfener Hut dabei zum Hilfsmittel wird, nimmst du deiner eigenen Lyrik jede mögliche Spitze. Die ist da, wenn Zivilisationsgüter auf dem Müll unter ‚umgekehrten Vorzeichen’ funktionieren – und zu Gebrauchsmitteln einer Gegenzivilisation werden. Ohne deine grundsätzliche Einstellung zum Müllproblem in Fragen zu stellen.

Wäre das auch so für dich akzeptabel?

zwei schritte weiter ein zerknüllter hut.
ausgebeult und neugefalzt
bietet er schutz für ein nest von maden,
die dünnhäutig in den schimmeligen resten
eines Gläschens Babynahrung wimmeln
Karotte mit Apfel – aus garantiert biologischem Anbau

__________________________________

Ich habe Kritik an deinem Gedicht aber für nachgeordnet gehalten, gegenüber dem grundsätzlichen Problem, das ich darin sehe, dass in diesem Forum ein offenbar sehr enger Lyrikbegriff im Besondern und auch Literaturbegriff im Allgemeinen allseits geteilt wird, der sehr an Stil und Form orientiert ist, weniger an Inhalten. Die Priorität ist mir nicht einsichtig.

Esbs Kritik an deinem Gedicht – die ja als solches genauso berechtigt und genauso unberechtigt ist wie meine, ganz anders motivierte und die er ja auch ganz moderat anbringt – scheint mir dafür ein gutes Beispiel zu sein.

Da ich nicht so ein liebenswürdiger Mensch bin wie du Perry, möchte ich auch gern bei dem Thema bleiben und wiederhole meine Frage @ESB:
Wieso hältst du ‚formale stilistische Kniffe’ in der Lyrik für unverzichtbar?
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Re: haldenromantik

Beitragvon Drehrassel » Sa 04 Apr, 2009 19:16


nur eine kurze verständnisfrage: hast du mit der wendung "ragt ein gitarrengriff", perry, beabsichtig, so ein doppeltes bild ein zu führen: die gleichzeitigkeit eines gitarren-griffbretts (besser hals!) und eines (sozusagen noch in der "aura", im "gedächtnis" des gegenstands weiter "lebender" - die vergangenheit gleichsam "spukhaft" noch vergenwärtigender) griff NACH der gitarre oder griff IN, AUF oder AN die gitarre? - im hinblick auf die parallelführung von körperteilen fort geworfener unbelebter gegenstände, zweitens die dann etwas inkohärente weiterführung des bildes in den aus den wirbeln des kopfs der gitarre springenden saiten, drittens dieser "heimlichen" personifikation ("ragen" - wird heute kaum noch als eine solche wahr genommen) würde ich zu der alternative "gitarrenhals" raten. / den versuch, hier dingen - gerade noch dazu - lieblos auf einer mülldeponie herum liegenden dingen eine lebendigkeit "ein zu hauchen", so in der altbekannten manier fantastischer literatur, finde ich grundsätzlich gut. aber gerade DANN solltest du solche sich gerade zu aufdrängende lexikalische und bildfelder besser nutzen, wie sie zum beispiel im vokabular des aufbaus einer gitarre eben liegen: kopf, hals, wirbel usw.

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Re: haldenromantik

Beitragvon Perry » So 05 Apr, 2009 11:07


Hallo anikaya,
schön, dass du nun auch noch ein paar kritisch konstruktive Anmerkungen gemacht hast. Diese zeigen klar, dass wir was die Intention einer Müllhaldenromantik anbelang gerade zu gegensätzliche Sichtweisen haben. Mir ging es nicht um "Maden in Konservendosen" etc. sondern um die innere Leere dieses gestrandeten LI's, das sich verzeifelt an seinen Erinnerungen festzuhalten versucht und sich in Sonnenuntergangsromantik flüchtet, um zu überleben. Erst zum Schluss habe ich den Blick etwas auf die allgeine Umweltproblematik geöffnt, da aber auch mehr die "heiligen Hügel" (an ihren Müllhalden erkennst du den wahren Wert einer Zivilisation) aufs Korn genommen mit einem Seitenblick auf das Kreuz Christi.
Deine Textvorschläge werde ich natürlich in Ruhe abwägen.
Danke und LG
Perry


Hallo Drehrassel,
Ich kann nur staunen, was du aus dem Bild mit dem Gitarrengriff alles rausgeholt hast. Da bin ich nun wiederum zu wenig Musiker, um so tief einzusteigen, aber ich werde natürlich versuchen noch mehr rauszuholen. Jedenfalls geht deine Interpretation genau in die Richtung, wie sie auch mir vorgeschwebt hat.
Danke, den Hals übernehme ich natürlich gern und LG
Perry
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Re: haldenromantik

Beitragvon anikaya » So 05 Apr, 2009 17:07


Hallo, Perry,

das sehe ich genauso: Wir haben geradezu gegensätzliche Sichtweisen auf die Müllhaldenromantik in jedem Sinne.
Nicht nur deswegen bin ich dir nicht böse, wenn du die Textvorschläge, die ich gemacht habe, nicht berücksichtigst.

Deine Antwort auf drehrassels Kommentar hat mich gefreut, aber auch etwas verblüfft.
Ich weiß nichts über Drehrassel: Ist er Musiker?

Seine Anmerkung habe ich jedenfalls nicht als die eines Musikers, sondern als die eines Lyrikers verstanden. Er weist dich auf eine Technik der Bilderzeugung hin, die generell angewandt werden kann und auch ständig angewandt wird – auch ganz unabhängig von Gitarren.

Du kannst unbelebte Gegenstände daraufhin abklopfen, was sie mit dem menschlichen Körper gemein haben und so Metaphern erzeugen, die sie als Humananaloga darstellen.

Beispiel:
„Das stählerne Gerüst, das von dem Regenschirm übriggeblieben war, lehnte am Tischbein.
Ich erschrak, als mein Blick darauf fiel. So wie ich immer erschrocken war, wenn ich die stählerne Beinschiene am Unterschenkel meines Großvaters gesehen hatte.“

Man muss nicht unbedingt nach Analogien suchen, Das Verfahren funktioniert auch in einer anderen Richtung. Man nehme unterschiedliche Gegenstandsbereiche – die immer auch unterschiedliche Bildfelder sind – zum Beispiel Körper, Erde(n), Pflanzen – und mische die Bestandteile der Bildfelder über Kreuz.

‚Jeder halbrunde Baumstumpf kam ihm wie das zarte Gesäß eines zehnjährigen Knaben vor und selbst zu Paaren gewachsenen Kirschen als ihre Hoden’

Man nennt diese Kreativtechnik ‚Morphologische Matrix’ und du kannst damit Metaphern wie am Schnürchen quasi auf dem Rechenblatt erzeugen.

Das gestrige Gedicht von apnoe 'erlaubt' ist ein gelungenes Beispiel dafür

'im efeudalen pflanztrog vergriecht
sich das braun ins graugrün
aus nacktem leibhaftiger erde
tief gewunden reißt es wurzeln in
sprünge auf beerenobst im griff
moosfeuchte zwischen den
marmorbeinen und augen so
leer der mund gemeißelt die toga
in hartem faltenwurf über der
leichten schulter liegt glanz
schleim haut in steinerner brust'


Apnoe 04.04.09

‚Nackt’ ist ein Epitheton, das sowohl in Bezug auf Erde als auch in Bezug auf Körper gebräuchlich ist. Durch ‚leibhaftiger’ verstärkt sie den Zusammenhang zwischen Erde und Körper und ruft den biblischen Assoziationshorizont von der Bildung Adams aus Schlamm auf. Im Bild der ‚ausgerissenen Wurzeln kommt sie auf ‚sprünge’, die sowohl in der Erde sein können als auch von den Beinen des Menschen ausgeführt werden können. – Zwischen denen sie ja dann herauskommt. Die Feuchte zwischen diesen Beinen beschreibt sie pflanzenhaft als 'moosfeuchte'. Die Überleitung zwischen ‚sprünge’ und ‚moosfeuchte' mit 'beerenobst im Griff’ lässt darauf schließen, dass man zwischen diese Beine fassen darf - daher auch der Titel 'erlaubt' - die ursprünglich aus Erde geformt zu Marmor geworden sind. Der wei die Natur aus Erde hervorgegangene Mensch ist am Ende zu einer Steinstatue geworden - auch in der Bildführung von Erde zu verhärteter Erde = Marmor/Stein konsistent - der die Natur bei den Eiern hat (‚beerenobst im griff’).

Es ist eine dichtungstechnisch andere Art, ein Umweltthema zu behandeln, das du auch in ‚Müllhaldenromantik’ zu deinem Gegenstand machst. Meines Erachtens ergänzen beide einander sinnvoll.

Aber es ist sicher wünschenswert, diese Technik zu beherrschen, damit man eine bewusste Auswahl vornehmen kann, wann man welche einsetzen will.

Insofern finde ich es gut, wenn du drehrassels Anregung aufgreifen willst.

____________________________________
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"Sprechen wir es aber aufrichtig aus: ein eigentlicher Lebemann, der frei und praktisch athmet, hat kein ästhetisches Gefühl und keinen Geschmack, ihm genügt Realität im Handeln, Genießen und Betrachten ebenso wie im Dichten..." Johann Wolfgang von Goethe[/size]
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Re: haldenromantik

Beitragvon Perry » So 05 Apr, 2009 17:19


Hallo anikaya,
der Hinweis auf das mangelnde Musikerwissen bezog sich nur auf mich, speziell auf die einzelnen Teile einer Gitarre.
Die Morphologische Matrix ist mir durchaus bekannt, nur finde ich ihre methodische Anwendung dem Textverständnis eher abträglich. Da wo sie jedoch gewollte Bezüge herstellt, mag sie durchaus reizvolle lyrische Aspekte schaffen. Ich habe mittlerweile eine neue Fassung eingestellt, vielleicht wirfst du ja noch einmal einen Blick darauf.
LG
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Re: haldenromantik

Beitragvon anikaya » So 05 Apr, 2009 17:48


Hallo, Perry,

schön, dass du Anregungen so bereitwillig aufgreifst.

Den Schluss – die letzten beiden Zeilen - finde ich jetzt so besser, besonders wenn du das ‚sein’ in ‚sein Kreuz’ in ‚ein Kreuz’ verwandelst. Das ‚sein Kreuz'muss ich rückbeziehen auf die geänderten letzten beiden Zeilen der 2. Strophe und den dort erwähnten alkoholkranken Gitarristen. Sonst ist es irgendein beliebiges Kreuz, das als Bild und Stimmungsmoment zur Müllhaldenromantik passt.

Mit den letzten beiden Zeilen der zweiten Strophe komme ich auch in der geänderten Version nicht zurecht. Mir ist das zu sentimental. Aber ich muss selber sagen, dass ich meine Meinung in diesem Punkt für unmaßgeblich halte.

Das hat etwas mit unser beider völlig abweichender Wahrnehmungsart zu tun und ist wirklich eine inhaltliche Frage. Es ist dein Gedicht. Wenn diese Zeilen so ausdrücken, was du ausdrücken willst, musst du sie so stehen lassen.

Wahlweise würde ich wirklich drehrassels Vorschlag aufgreifen. Seine Idee hat dir doch gefallen.

Jetzt mal grob aus der Hüfte:

ragt ein gitarrenhals, die gerissenen saiten
zu bizarren notenschlüsseln gerollt,
bieten keiner Kopfnote mehr Halt
in ihrer Verstümmelung zur sang- und
klanglosen Jungfrau ohne Unterleib


____________________________________

[size=85:veeibko2]"Sprechen wir es aber aufrichtig aus: ein eigentlicher Lebemann, der frei und praktisch athmet, hat kein ästhetisches Gefühl und keinen Geschmack, ihm genügt Realität im Handeln, Genießen und Betrachten ebenso wie im Dichten..." Johann Wolfgang von Goethe[/size]
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Re: haldenromantik

Beitragvon Perry » So 05 Apr, 2009 18:13


Hallo anikaya,
jetzt hast du mich zum Lächeln gebracht. Nichts gegen die Kopfnote und die Jungfrau ohne Unterleib, aber letztere ist nun wirklich ein fast zu witziges Paradoxon.
Ich habe dir wegen deines Engagements übrigens ein Gedicht gewidmet, das ich gerade als Hommage an C. Bukowski eingestellt habe.
LG
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Re: haldenromantik

Beitragvon anikaya » So 05 Apr, 2009 21:21


Hallo, Perry,

danke für deine freundliche Nachsicht mit meiner mangelhaften Einfühlung in deinen sanftmütigen Charakter. Nun habe ich mir extra vor dem Formulierungsvorschlag deine Statements noch einmal duchgelesen, worauf du mit dem Gedicht hinaus willst – trotzdem voll daneben gelegen. Mit der 'durchgesägten Jungfrau' habe ich den Ball für meineVerhältnisse schon ausgesprochen flach gehalten. Romantik ist halt nicht mein Ding - mehr Hardcore.

Was an dem Vergleich einer durchgebrochenen Gitarre mit einer Jungfrau ohne Unterleib' paradox ist, verstehe ich nicht, aber du musst es mir nicht erklären. Ich akzeptiere es ausnahmsweise ohne Begründung. Es ist, wie ich in meinem Statement von heute nachmittag schon gesagt habe: In die Inhalte des Gedichts einer anderen Person kann man praktisch nicht sinnvoll eingreifen.

Vielen Dank schon einmal an dieser Stelle für deine Hommage.
Wenn ich rechtzeitig mit Bügeln fertig werde, poste ich noch speziell etwas dazu.

____________________________________
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