Ein kleiner Zwischenfall
Wie schon öfter fuhr er auf der Straße nach P., früh war es, kaum Verkehr. Die Nacht war mal wieder kurz gewesen, zu kurz.
Diskussionen und noch einmal Diskussionen über die Lage hier und wie man sie verbessern könnte. Und viel Wein.
Er würde gleich an einem Elendsviertel vorbeifahren, es lag direkt neben der Straße. Hier war er öfter gewesen, kannte einige Leute.
Tanken müsste er bald, der Zeiger war nahe bei Null.
Dann sah er einen schwarzen Kombi ohne Nummernschilder am Straßenrand stehen. Zwei maskierte Männer schlugen auf einen anderen ein, an der Bushaltestelle vor „La Greda“.
Er kam näher, da lag ein Mann am Boden, die anderen beiden bearbeiteten ihn mit Schlagstöcken und traten ihn mit Füßen.
Er beschleunigte und drückte auf die Hupe, die Männer sprangen in ihren Kombi und rasten davon.
Er hielt an und stieg aus.
Der Mann war mühsam aufgestanden, hatte sich auf eine Bank gesetzt. Er keuchte und hielt seinen Brotbeutel mit beiden Händen fest, klammerte sich an ihn, als wenn er das einzige wäre, an dem er sich noch festhalten könnte.
Seine Kleider waren zerrissen, sein Kopf blutig, aus Mund, Nase und Ohren rann Blut. Er hatte nur noch einen Schuh an, der andere lag auf der Straße.
Er erkannte ihn, es war Manuel G.
Leicht geistig behindert war er, fuhr jeden Tag frühmorgens in einen Supermarkt, wo er Waren aus- oder einpackte. Das konnte er, hatte seit Jahren nie gefehlt.
Bei nächtlichen Treffen hatte er immer nur da gesessen, fast nie etwas gesagt, manchmal nur genickt, war immer bereit gewesen, Aufgaben zu übernehmen, die ihm übertragen wurden.
In die Stadt war er nachts gegangen, hatte Flugblätter verteilt, in denen über die jetzige Lage informiert wurde.
War er sich bewusst gewesen, dass seine Handlungen für ihn gefährlich waren, wusste er, was er da riskierte?
Hatte er verstanden, um was es eigentlich ging? Wenn nicht, er wäre nicht der einzige gewesen.
Etwa 40 Jahre war er alt. Er wohnte mit seiner Mutter zusammen in „La Greda“ und kam mit ihr mühsam über die Runden.
Jetzt rannten ein paar Männer aus den umliegenden Häusern auf die Straße.
Ja, gesehen und gehört hätten sie, wie diese Schweine auf Manuel einschlugen, aber was hätten sie denn tun können, das waren doch Polizisten.
Er holte den Verbandskasten aus dem Auto und lief zu Manuel. Der saß immer noch auf der Bank.
Wo sollte er überhaupt anfangen, ihn zu verbinden? Er würde ihn ins nächste Krankenhaus bringen.
Er fasste ihn vorsichtig am Arm und wollte ihn zu seinem Auto ziehen. Manuel sträubte sich, versuchte auf der Bank zu bleiben.
„Ich muss auf den Bus warten, ich muss zur Arbeit“, flüsterte er. .
Dann fiel Manuel plötzlich nach vorne. Er rutschte auf den Boden und blieb liegen. Seinen Brotbeutel hielt er noch immer fest umklammert.
Er beugte sich hinunter und versuchte ihn aufzurichten:
„Komm, ins Krankenhaus!“
Einige Männer versuchten mit anzupacken.
Aber Manuel rührte sich nicht mehr, sagte nichts mehr, atmete nicht mehr, würde nicht mehr jeden Tag auf den Bus warten und nie mehr zur Arbeit gehen.
Morgen würde die zensierte Presse vielleicht kurz einen kleinen Zwischenfall erwähnen.