Deine Reste liegen verteilt auf dem Boden. Hier und dort sammle ich ein Stück auf. Ich gucke unter dem Sofa, hinter der Tastatur, sogar in den schmalen Spalten der Heizung. Dann setze ich mich an den Küchentisch und beginne zu puzzeln. Einige Fetzen passen zusammen, hier und dort fehlt ein Teil. Ich frage mich, ob es reichen wird. Kannst du mit einer halben Lunge noch atmen? Deine blasse Haut und die bläulichen Lippen verraten mir, dass ein halbes Herz nicht reicht um dich mit Blut zu versorgen, um dich mit Leben zu füllen. Du bleibst reglos. Schon ein Zucken in deinem kleinen Finger würde mir reichen. Nichts tut sich.
Ich erinnere mich plötzlich an unser erstes Zusammentreffen. Dein Lachen faszinierte mich, dein offenes, ehrliches Lachen, ein Lachen das ich verlernt hatte. Zwischen deinen schmalen Lippen blitzen schneeweiße, unschuldige Zähne hervor. Über die Jahre habe ich sie dir nach und nach ausgeschlagen. Das wird mir nun schmerzlich bewusst und hättest du noch ein Gebiss, hätte ich es mir in die eigene Haut gerammt. So muss ich mich mit deinen spitzen Hüftknochen begnügen, die ich neben einem Berg von alter Wäsche gefunden habe und mir nun in einer Mischung aus Lust und Leid in den Unterleib stoße.
Bitte glaube mir, ich wollte dich nicht zerbrechen, es war ein Versehen.
Mit dröhnendem Schädel erwache ich aus einem komaähnlichen Zustand. Ich erinnere mich nur dunkel an den Traum der letzten Nacht. Was sich tatsächlich in meinen Leistenbereich bohrt, ist das Bein eines umgekippten Tisches über dem ich eingeschlafen bin. Der Raum riecht nach Rauch und billigem Parfum. Gott, war eine Nutte hier? Ich schaue auf die Uhr. Verdammt, noch zwanzig Minuten bis du durch die Tür kommen wirst. Die Erinnerung an den gestrigen Abend ist vollkommen verblasst. Hektisch versuche ich das Chaos zu beseitigen und mich schnell unter kaltem Wasser frisch zu machen. An meinem Hals entdecke ich einige frische Bissspuren. Verdammt. Schnell suche ich meinen Rollkragenpullover, der sich irgendwo zwischen den Wäschebergen versteckt. Am linken Ärmel sind graue Flecken, vermutlich Asche. Scheiß drauf, überziehen, noch schnell mit dem Raumduft herumsprühen und dann klingelt es auch schon an der Tür. Mein Herz hätte anfangen sollen schneller zu schlagen, aber inzwischen blieb es merkwürdig ruhig. Ich habe kein schlechtes Gewissen, nur keinen Bock auf Stress. Deswegen das Theater. Du betrittst die Tür mit einem skeptischen Blick. Du riechst den Rauch und das fremde Parfum, eine dir fremde Vertrautheit liegt in der Luft. Wie gern hätte ich mit dir darüber gesprochen, ich weiß nur nicht wie. Du hättest es ja doch nicht verstanden.
Du stehst vor mir. Noch vor einigen Monaten hättest du dich über das Chaos aufgeregt, über meine Lügereien (ich hatte dir erzählt ich müsste für die Uni lernen) und über mein kindisches Verhalten. Jetzt hast du mich akzeptiert. Oder hast du mich aufgegeben? Dein resignierender Blick begleitet mich auf dem Weg zum Sofa. Deine Augen scheinen mir irgendwie dunkler zu sein, fast schwarz. Vielleicht liegt es an den tiefen Schatten, die Haut ist irgendwie zerknittert. Deine Haut war nie dick genug.
Nach kurzem Zögern setzt du dich neben mich und schweigst. Wir haben uns schon lange nichts mehr zu sagen. Es wäre Zeit zu gehen. Mit ruhigen, geschickten Händen drehst du dir eine Zigarette, siehst mich an und drehst mir dann auch eine. Ich nicke dir dankend zu und zünde sie an. Durch die Rauchschwaden bist du so schön, liebes. Ich streiche dir durchs Gesicht und es kommt mir vor als müsste mein Arm kilometerlang sein; du bist so weit entfernt. Du lehnst den Kopf zurück und entblößt die Stelle am Hals, oberhalb des Schlüsselbeins. Ich weiß, was du jetzt willst. Mit den Fingerspitzen streiche ich ein paar verirrte Haarsträhnen von deiner Haut. Ich beuge mich über dich und berühre dich nur flüchtig mit den Lippen, ein paar Mal lasse ich meine Zunge über die Stelle gleiten, an der du das so magst. Du schmeckst bitter, nach Parfum und während ich das Gesicht verziehe stöhnst du unter mir leise auf und drückst mir deine Brust entgegen. Du trägst keinen BH. Ich reiße dir die zerknitterte schwarze Bluse auf und fasse ungeschickt und grob an deine kleinen, festen Brüste. Du erwartest jetzt liebkosende Küsse, zärtliches Streicheln, vorsichtiges Vordringen. Stattdessen entferne ich deinen Slip mit einer einzigen Handbewegung, schiebe deinen Bleistiftrock bis zum Bauchnabel hoch und dringe unsanft in dich ein. Ich habe keine Lust auf Liebesbeweise. Du würdest sie erwidern und ich habe sie nicht verdient. Ruckartig drücke ich dich immer wieder in die Kissen, so als könnte ich die Distanz zwischen uns wettmachen, indem ich tiefer vordringe. Es ist nicht auszuhalten, ich schließe die Augen und versuche es hinter mich zu bringen. Nach ein paar Minuten ist alles vorbei. Das Theater hat mir die letzten Kräfte geraubt. Dein Gesicht wirkt wie eine verzerrte Maske. In deinen fremden Armen schlafe ich ein.
Da liegst du nun auf dem Fußboden. Das hier und dort ein paar Teile fehlen fällt kaum auf. Vielleicht finde ich sie bald. Ich habe mir deine Hüftknochen wieder aus dem Unterleib gezogen. Mein Blut dient als Kleber, hält dich zusammen. Du siehst glücklich aus. Es ist als wärst du wieder bei mir. Nur, dass du puppenartig keine Mine verziehst, dein Lächeln ist zusammengebastelt, wirkt künstlich. Vielleicht bist du das: künstlich oder mein Kunstwerk. Es tut mir Leid wie es gekommen ist, liebes. Ich wollte dir doch nicht wehtun, du hast nur so furchtbar geweint. Jetzt siehst du so friedlich aus, nur die Nähte sind mir nicht ganz gelungen. Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel. Glaub mir, du warst nie schöner.
Als ich aufwache bist du weg.