Möglichst normal aussehend schlenderte Ben langsam durch die Regalreihen. Klebrig süße Weihnachtsmusik begleitete ihn auf seinem Weg. Lustlos sah er sich um, auf der Suche nach einem Geschenk. Von allen Seiten sprang ihn Plunder an der gekauft werden wollte, meistens in leuchtendem Rot, so als wolle er seine Weihnachtlichkeit beweisen. Als er an einem Karton dämlich grinsender Schokoladenweihnachtsmänner vorbeiging, riss er einem den Kopf ab und verteilte den schwarzen Inhalt über den Boden. Er kam an einem älteren Pärchen vorbei. Sie schauten interessiert auf eine Kiste mit Massagemarienkäfern.
„Guck mal Schatz, nur fünf Euro das Stück!“
„Damit haben wir doch was. So einen können wir Mutter, Oma und Elisabeth schenken.“
„Ach für Susanne und Paul wäre das sicher auch was. Lass uns einfach ein paar mitnehmen, dann sind wir auch bald fertig.“
Der Mann griff tief in die Kiste und packte eine ganze Reihe der schwarz gepunkteten Käfer auf seine speckigen Arme. Als er zur Kasse gehen wollte, gab Ben ihm einen Stoß. Der Mann stolperte, konnte sich im letzten Augenblick fangen, doch ließ er dabei alles fallen.
„Ungezogener Bengel, kannst du nicht aufpassen?“
„Entschuldigung“, murmelte Ben und trat gleichzeitig den Käfer den der Mann gerade aufheben wollte unter eines der Regale. Nun wollte auch die Frau auf ihn losgehen und eine Verkäuferin kam hinzu. Hier war nichts mehr zu holen. Ben ließ die schimpfenden Leute einfach stehen und ging in den nächsten Geschenkladen. Gleiche Etage, nur drei Türen weiter, gleiche Waren.
Bunte Süßigkeiten aller Art, Weihnachtskalender, Stofftierchen, dämliche Karten, schlechte Bücher, die sonst niemals jemand kaufen, geschweige denn lesen würde, nur zum Verschenken waren sie geeignet, Sternchen, Engelsfiguren, Massagekäfer.
Ihm war es jetzt egal, irgendein Geschenk musste her. Seine Wahl fiel schließlich auf eine Tasse mit Namenszug, dem seiner Mutter. Ein kurzer Blick zur Seite, ein geübter Handgriff und schon steckte sie in seiner Jackentasche. Unauffällig ging er hinaus. Vorbei an Dutzenden weiteren Geschäften und Hunderten Menschen verließ er das Einkaufscenter und betrat die Straße.
Als er vorhin hineingegangen war, hatte es gerade begonnen zu schneien. Nun war der gesamte Straßenzug weiß verziert. Es war dieser reine Neuschnee, noch nicht zertrampelt von etlichen Füßen oder zu braunen Matsch verkommen durch Autoreifen.
Ben konnte sich nicht erwehren, die Welt sah friedlicher, Weihnachten erträglicher aus. Eine fröhliche Familie zog an ihm vorbei, der Junge fragte seine Mutter, ob der Weihnachtsmann auch wirklich wisse wo er wohnt. Selbst die Budenverkäufer schienen weniger missmutig ihre potenzielle Kundschaft zu betrachten.
Kalt fühlte sich mit einem Male die Tasse in Bens Jacke an, die er noch immer mit der Hand umschlossen hielt.
Sein Blick streifte einen Penner auf der anderen Straßenseite. Er saß unverändert wie es schien am selben Platz, wo Ben ihn vorhin bereits bemerkt hatte, lediglich die schwarze Jacke etwas fester um den Körper gezogen. Ein Mann kam aus dem Laden, vor dem er saß. Ben konnte nicht hören was er sagte, doch verstand er die herrischen Gesten. Der Penner stand langsam auf und trottete ziellos davon.
Ben schimpfte sich einen Trottel. Nichts hatte sich geändert. Er zog die Hand aus der Tasche und die Kapuze über den Kopf. Als er ging versuchte er zu lächeln. Er musste üben, damit es morgen Abend echt aussah.