von Friederich » Fr 18 Jun, 2010 19:58
Hallo Benjamin,
einigen Stellen deines Gedichts kann ich doch einiges abgewinnen und finde sie recht gelungen, das Gedicht als ganzes zeigt meiner Meinung nach aber noch einiges Entwicklungspotential.
Das, was den Text für mich insgesamt zu einem lesenswerten Werk macht sind vor allem zwei Dinge: Der Schluss mit seiner gekonnt verdichteten Wendung, die in meinen Augen ein Ausdruck von auf bleibende Erinnerungen ist und eine gewisse, grundlegende Kohärenz in den verwendeten Bildern (wenn es regnet, wird etwas fortgewaschen, banal, aber es gibt auch Texte, bei denen eine solche Kohärenz nicht gegeben ist, ich sehe von bewussten Bildbrüchen mal ab). Sehr gut gefällt mir auch das Bild der zerbrochenen Geschichten mit seiner inhaltlichen Weite.
In meinen Augen lebt Lyrik durch die Verdichtung von Beschriebenem in Bildern. Daher hängt deren Qualität direkt mit der Qualität des gesamten Textes zusammen. Die Bilder, die du verwendest, sind, wie ich finde, hier nicht sehr aussagekräftig und sehr häufig verwendet, um nicht zu sagen blass. „Brennende Einsamkeit“ (das Nomen an sich ist schon problematisch, da so explizit und gleichzeitig sehr flach aufgrund seiner breiten Verwendbarkeit bei geringer Individualität). Dass Einsamkeit im Gefühl „brennen“ kann, ist einerseits sehr nachvollziehbar. Aber du greifst das Bild nicht wieder auf, nimmst es beinahe als idiomatische Wendung, die aber nicht durch den Kontext als solche motiviert ist (zum Beispiel durch einen umgangssprachlichen Kontext.
Besser finde ich „Erwartungen wie glühende Asche“, weil das Bild einiges impliziert, zum Beispiel die Intensität der Glut, aber auch das Erkalten möglicherweise. Doch auch hier versandet das Bild, indem seine Linie nicht fortgesetzt wird. Zwar gibt es eine Verbindung zum Anfang und der lodernden Stadt und auch die Verbindung mit dem vorangehenden „Einatmen“ ist eine schöne Wendung, weil der Luftzug, bildlich gesprochen, die Glut anheizt. Das „Lodern“ als explizite Wiederaufnahme wirkt aber klanglich etwas langweilig und ist in Bezug auf die Asche auch bildlich nicht sonderlich nachvollziehbar (glühen vs. lodern). Vielleicht wäre es hier eine Idee, statt mit einem Vergleich mit einer Metapher zu arbeiten, etwa „glimmt die Asche der Erinnerungen“.
Was ich dir, ganz subjektiv, auch raten möchte: Versuche doch, den Einsatz von Adjektiven (oder des Partizip präsens) zu verringern und gleichzeitig zu pointieren. Zu viele adjektivische Wendungen können die Nomen verwaschen und ihre Wirkung reduzieren, was nicht heißt, dass einzelne geschickt platzierte Adjektive nicht einen starken Effekt haben können. Beispiel: Vers II.
In der Hoffnung, dir durch die Anmerkungen etwas weiterhelfen zu können
viele Grüße,
Friederich
L'avenir, on ne l'attend pas comme on attend le train. L'avenir, on le fait. (Georges Bernano)
Friederich