von findefuchs » So 20 Jul, 2014 11:42
Hallo Icarus,
die unbedingte Zuweisung von Schuld an einen Protagonisten, halte ich nicht für in der Literatur in der Tiefe wirklich vorhanden, sondern es ist der Versuch einer solchen Interpretationsweise, die je nach Zeitgeist passieren kann. Autoren haben solche Schuldfragen in den Raum gestellt, die dann je nach Jahrhundert entsprechend beantwortet wurden. Von unserer heutigen Sicht aus, sind es wohl überholte Blickwinkel, eine eindeutige alleinige Schuld zuweisen zu wollen, ein Erklärungsversuch aus Zeiten, in denen eine eindeutige Auflösung des Geschehens an der gesellschaftlichen Oberfläche sein musste, die mit der "erwiesenen" Schuld weltanschaulichen und sozialen Frieden wiederherzustellen suchte.
Wir neigen heute zu der moderneren Denkweise (glücklicherweise), dass immer die Funktionsweise eines ganzen Systems Verstrickungen und Zerrüttungen hervorruft. Unter diesem Aspekt werden doch Protagonisten wie Karenina, Effi Briest, Le Grand Meaulnes, oder auch Dostojewskis "Idiot" erst interessant, denn ich glaube, die Autoren waren ihrer Zeit weit voraus, sie wollten mit der Darstellung der, in ihrer eigenen Zeit schuldigen Protagonisten, sicher auch anregen über das zeitgebundene Denken hinauszuwachsen, um die handelnden Personen in einem größeren Kontext zu betrachten.
Sonst müssten wir ja glauben, Romeos Liebeswerben habe die ganzen Capulets mitsamt Montagues und seiner Julia allein zerstört.
Auch Othello wirft diese Frage sehr deutlich auf.
Soviel.
finde
Als ich des Suchens müde wurde, erlernte ich das Finden.
Friedrich Nietzsche